Toni Erdmann

Deutschland Österreich Monaco 2014-2016 Spielfilm

Inhalt

Winfried, ein sozialromantischer Alt-68er mit einem übergroßen Hang zu Scherzen, lebt allein mit seinem Hund. Seine einzige Tochter Ines jettet derweil um die Welt und arbeitet ehrgeizig an ihrer Karriere als Unternehmensberaterin. Als sein Hund stirbt, reist Winfried spontan nach Bukarest, um den Kontakt zu Ines wieder aufzunehmen. Doch zwischen Meetings, Businessempfängen und Hotelbars fühlt er sich schnell fehl am Platz, seine unentwegten Witze irritieren seine gestresste Tochter, und bald kommt es zum großen Krach. Da verwandelt Winfried sich in sein Alter Ego Toni Erdmann – mit schlechtsitzendem Anzug, Perücke, schiefem Gebiss und neuer Persönlichkeit mischt er sich kühn und voller Witz als "Coach ihres Chefs" in Ines' Berufsalltag. Es kommt zu einem offenen Schlagabtausch, der Vater und Tochter verblüffenderweise wieder einander näher bringt.

 

 

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Falk Schwarz
Nacktparty mit Papa
Erste Szene: die Kamera steht wie fest genagelt vor dem Einfamilienhaus, links die Mülltonnen. Ein Paketbote klingelt. Niemand öffnet. Klingelt noch einmal. Ein Mann kommt angeschlurft, sieht das Paket prüfend an: „Das ist für meinen Bruder, der ist gerade aus dem Gefängnis gekommen. Er saß, weil er Paketbomben verschickte“. Geht zurück ins Haus. Nach einer weiteren Ewigkeit kommt sein „Bruder“ (der er selber ist) mit Sonnenbrille, falschen Zähnen und mit Handschellen um das Handgelenk. Er prüft das Paket. Nimmt es. Der Paketbote sieht so drein, als würde er denken: „Noch ein Irrer“. Drei Minuten sieben Sekunden Filmzeit sind vergangen. - Ein Jokecracker, dieser Musiklehrer. Aber was richtet diese erste Szene aus? Wir sind da, wo normale Logik nicht hinreicht. Überraschung, Verdrehung der Wirklichkeit. Dann also seine Tochter. Er besucht sie in Rumänien. Wir sind dabei, wenn sie in Kostümjacke und Bluse in englischer Sprache endlose Details irgendeines Projekts erläutert. Dann reist der Alte ab. Doch er kommt wieder: mit falschen Zähnen und Perücke und gibt sich als Coach aus. Tut bedeutsam und beeindruckt die Business-Typen. Eher in der Logik der Punks versucht er nun seine Tochter aus den Fängen des Kapitalismus nicht mit Worten, sondern mit verqueren Aktionen zu befreien. Das ist höchstens komisch, wenn es sich um die Nackparty handelt, auf der dann plötzlich ein riesiges fellbewachsenes Untier auftaucht, in dem natürlich der Vater steckt. Schräger Humor. Lockert aber die Tochter auf. Als sie mit schrecklicher Stimme und lauter falschen Tönen „Greatest Love of all“ singt, bleibt es nicht bei einer Strophe. Es müssen viele sein. So dauert das Absurde. - In überlangen 162 Minuten wird eine Geschichte ohne filmische Ökonomie mit Bildern und Einstellungen erzählt, die sich zwar im Nachhinein wie ein Mosaik zusammensetzen und verdichten, aber der Weg dahin ist zäh. Zügig erzählen will der Film nicht. Er ist mit Preisen und Belobigungen überhäuft worden, nur bei den professionellen Jurys in Cannes und Hollywood fiel er durch. Zu Recht.
Heinz17herne
Heinz17herne
Entsetzt vom freudlos-unerfüllten Leben seiner bei einem großen Outsorcing-Projekt in Rumänien tätigen Tochter Ines, dabei hat er von ihrem traurigen Sex mit dem Kollegen Tim, den sie auf Petit Fours ejakulieren lässt, gar keine Ahnung, gibt der unfreiwillig pensionierte Musiklehrer Winfried Conradi mit skurrilsten Erfindungen den Clown, um sie aus der Reserve zu locken. Ob im Strip-Lokal oder beim Besuch in einer vornehmen Bukarester Familie zum orthodoxen Osterfest, bei der er sich als deutscher Botschafter ausgibt und seine Tochter als Sekretärin „Whitney Schnuck“ vorstellt, die er dazu bringt, aus vollem Halse „Greatest Love of All“ zu singen.

Ganz zu schweigen von der Furzkissen-Attacke oder der total abgefahrenen Handschellen-Nummer, aus der die beiden nur mit Hilfe recht zwielichtige Freunde von Ines' rumänischem Fahrer Bogdan befreit werden. Winfried stürzt seine Tochter von einer Verlegenheit in die andere, bis Ines zurückschlägt – und aus ihrem vom Chef eingeforderten Teambuilding-Abend unangekündigt eine Nacktparty macht. Bei der ihre Sekretärin eindeutig die beste Figur abgibt. Mit diesem vor allem in den Medien als spektakulär empfundenen Befreiungsschlag der Tochter könnte Maren Ades dritter Spielfilm zu Ende sein, allein es muss noch einiges mehr passieren, bevor sich Vater und Tochter, in deutlich entspannter Atmosphäre, bei der Beerdigung seiner Mutter wiedersehen.

Zu einem in der deutschen Komödienlandschaft unter TV-Koproduktions-Bedingungen üblichen Happy End hat sich die 39-jährige Autorenfilmerin nach dann doch recht langen 162 Minuten nicht durchringen können: Ines hat zwar Bukarest glücklich hinter sich gelassen und hängt nicht mehr ganz so junkiehaft am Smartphone, hat aber einen neuen Stress-Job angenommen: für zwei Jahre geht es nach Schanghai.

Im Mittelpunkt stehen mit Peter Simonischek und Sandra Hüller zwei mutige Ausnahme-Schauspieler, deren Botschaft offenbar global ankommt: „Toni Erdmann“ ist in mehr als sechzig Länder verkauft worden. Mit dem soften Anarcho-Papa und seiner toughen neokonservativen Tochter, die sich im Macho-Business der Unternehmungsberatung behaupten muss, stehen sich nicht nur zwei Generationen, sondern auch zwei Lebensmodelle gegenüber. Maren Ade schildert bei aller Skurrilität und Überzeichnung Situationen des Alltags, die einen hohen Wiedererkennungseffekt beim Publikum haben. Und die Sympathien auf beide Protagonisten gleichmäßig verteilen.

Weshalb es doch kein so großes Wunder ist, dass „Toni Erdmann“ zu „dem“ Überraschungsfilm bei der Uraufführung am 14. Mai 2016 im Rahmen der 69. Int. Filmfestspielen in Cannes wurde, und das als erster deutscher Beitrag im Wettbewerb nach „Palermo Shooting“ von Wim Wenders acht Jahre zuvor. Es gab stehende Ovationen vom (Fach-) Publikum und wahre Hymnen auch in der französischen Presse, aber keinen Preis. Dafür ist der Eröffnungsstreifen des Münchner Filmfestes 2016 mit dem Fipresci-Preis der intern. Filmkritik ausgezeichnet worden. Free-TV-Premiere war am 12. November 2018 auf Arte.

Der sich im Kino äußerst rar machende Wiener „Burg“-Star Peter Simonischek war von seiner Doppelrolle als Toni Erdmann so begeistert, dass er das horrible Gebiss am 3. Mai 2016 zur Eröffnung der 70. Ruhrfestspiele Recklinghausen trug als Pantalone in Christian Stückls Goldoni-Inszenierung „Der Diener zweier Herren“. Man(n) kanns auch übertreiben...

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Regie

Continuity

Drehbuch

Kamera

Kameraführung

2. Kamera

Szenenbild

Kostüme

Garderobe

Schnitt

Mischung

Casting

Darsteller

Ausführender Produzent

Herstellungsleitung

Produktionsleitung

Dreharbeiten

    • 12.06.2014 - 27.09.2014: Aachen, Bukarest
Länge:
162 min
Format:
DCP, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 06.07.2016, 160275, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 2016, Cannes, IFF;
Erstaufführung (DE): 24.06.2016, München, Filmfest;
Kinostart (DE): 14.07.2016

Titel

  • Originaltitel (DE) Toni Erdmann

Fassungen

Original

Länge:
162 min
Format:
DCP, 1:1,85
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 06.07.2016, 160275, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Uraufführung (FR): Mai 2016, Cannes, IFF;
Erstaufführung (DE): 24.06.2016, München, Filmfest;
Kinostart (DE): 14.07.2016

Auszeichnungen

Deutscher Filmpreis 2017
  • Lola in Gold, Bester Spielfilm
  • Lola, Bester Schnitt
  • Lola, Beste männliche Hauptrolle
  • Lola, Beste weibliche Hauptrolle
  • Lola, Bestes Drehbuch
  • Lola, Beste Regie
Academy Awards 2017
  • Nominierung, Bester nicht-englischsprachiger Film
Verband der deutschen Filmkritik 2017
  • Bester Schnitt
  • Bestes Drehbuch
  • Bester Spielfilm des Jahres 2016
Ernst-Lubitsch-Preis 2017
  • Ernst-Lubitsch-Preis
Bayerischer Filmpreis 2017
  • Beste Darstellerin
  • Beste Regie (ex aequo >Wild<, >Vor der Morgenröte<, >Marie Curie< und >Vorwärts immer!<)
Palm Springs Film Festival 2017
  • Bester nicht-englischsprachiger Film
National Society of Film Critics 2017
  • Bester nicht-englischsprachiger Film
Europäischer Filmpreis 2016
  • Bester Hauptdarsteller
  • Beste Hauptdarstellerin
  • Bestes Drehbuch
  • Beste Regie
  • Bester Film
LUX Filmpreis 2016
  • LUX Filmpreis
Festival du Nouveau Cinema Montreal 2016
  • Bester Schauspieler
  • Louve d'Or
Film Festival Cologne 2016
  • Filmpreis NRW, Bester Spielfilm
Filmkunstmesse Leipzig 2016
  • Gilde-Filmpreis, Bester Film (national)
IFF Norwegen, Haugesund 2016
  • Norwegian Film Critics Award
FIPRESCI 2016
  • Film des Jahres
Film Festival Palić 2016
  • Goldener Turm, Bester Film
FBW 2016
  • Prädikat: besonders wertvoll
International Cinephile Society Awards 2016
  • ICS Cannes Award - Palme d'Or
IFF Cannes 2016
  • FIPRESCI Prize, Bester Film im Wettbewerb
Brussels International Film Festival 2016
  • Goldene Iris, Bester Film
  • RTBF TV Prize, Bester Film
  • Special Prize of the Jury, Bester Film im Wettbewerb