Biografie
Ernst Kunstmann wurde am 25. Januar 1898 in Potsdam-Babelsberg geboren. Sein Vater arbeitete in der Drewitzer Lokomotivfabrik von Orenstein & Koppel, nahe dem 1911 gebauten Filmatelier der Produktionsfirma Decla-Bioskop. Bereits in seiner Kindheit interessierte sich Ernst Kunstmann für die Filmproduktion und schaute 1912 bei den ersten Filmaufnahmen in Neubabelsberg zu.
Als ihm ein Job bei Orenstein & Koppel in Aussicht gestellt wurde, machte er dort eine Lehre zum Dreher. Wie viele junge Männer wurde er im Ersten Weltkrieg (1914-1918) als Soldat eingezogen. 1918 kehrte er nach Babelsberg zurück, wo er von der Decla-Bioskop als Bühnenarbeiter angestellt wurde. Auf Grund seiner technischen Fähigkeiten durfte er erste Filmtricks entwickeln, etwa bei Produktionen wie "Der müde Tod" (1921) von Fritz Lang, wo er den Schauspieler Bernhard Goetzke als leibhaftigen Tod "erscheinen" und "verschwinden" ließ.
1923 wurde er Mitarbeiter des Kameramanns und Technikers Eugen Schüfftan, mit dem Kunstmann ein Spiegeltrick-Verfahren, das sogenannte Schüfftan-Verfahren, entwickelte. Dieses Verfahren, bei dem zwei Bilder zu einem Bild kombiniert werden, ermöglichte es, Darsteller in Modellwelten zu "setzen", sie auftauchen und verschwinden zu lassen, und sogar die Illusion ganzer Städte zu erzeugen. Erstmals eingesetzt wurde das Verfahren in Ewald André Duponts Film "Varieté" (1925) eingesetzt; berühmt wurde es durch Langs "Metropolis" (1927).
Da das Verfahren einen ökonomischen Erfolg versprach, versuchte die Deutsche Spiegeltechnik GmbH & Co es weltweit zu vermarkten. Als Fachmann reiste Kunstmann daher nach Hollywood (1926-1927) und London (1930), um dort Kameramänner in der Spiegeltricktechnik zu schulen. Nachdem der Firma der erhoffte Erfolg aber nicht gelang und sie aufgelöst wurde, kehrte Kunstmann zurück nach Babelsberg und arbeitete als freier Trickspezialist. Für "Berge in Flammen" (1931, Regie: Luis Trenker) konzipierte er tricktechnisch Gewitter; außerdem arbeitete an Fritz Langs "Das Testament des Dr. Mabuse" (1932) mit und war bei Karl Hartls erfolgreichen Science Fiction Filmen "F.P. 1 antwortet nicht" (1932) und "Gold" (1934) für die Spezialeffekte zuständig.
Die Machtübernahme der Nazis 1933 tangierte Kunstmanns Karriere nicht negativ: Zu dieser Zeit arbeitete er vorwiegend für die Universum Film AG (UFA), war als Kamera-Assistent an Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" (1935) beteiligt, sowie als einer der vielen Kameramänner an Riefenstahls "Olympia"-Filmen (1938). Vor allem aber war Kunstmann bei zahlreichen Filmen für die Optischen Spezialeffekte zuständig. Obwohl er in dieser Funktion auch an Reinhold Schünzels Komödie "Amphitryon" (1935) mitwirkte, die sich über nationalsozialistische Führer lustig machte, wurde er von den Nazis nicht in seiner Arbeit eingeschränkt. Im Gegenteil baute er für die Tobis 1935 in Berlin-Johannisthal eine Trickabteilung auf. Bei Bombenangriffen am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden das Atelier und die meisten Geräte darin zerstört.
Nach dem Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft arbeitete Kunstmann zwischen 1945 und 1947 bei der Synchronisation sowjetischer Filme mit. Albert Wilkenning, technischer Direktor der DEFA, stellte ihn 1947 fest bei der DEFA als Trickspezialist ein. Dort war Kunstmann 45 Jahre tätig und baute Modelle unter anderem für Filme von Wolfgang Staudte, Kurt Maetzig und für Paul Verhoeven. Besonders erfolgreich wurden die DEFA-Märchenfilme, bei denen sich Kunstmann zahlreiche Spiegel-, Bau- und Linsentricks einfallen lassen musste. "Die Geschichte des kleinen Muck" (DDR 1953, R.: Wolfgang Staudte) und "Das kalte Herz" (1950, R.: Paul Verhoeven), der 81 Trickeinstellungen beinhaltet, zählen zu den Höhepunkten seiner Kariere.
Ab 1951 arbeite Kunstmanns Tochter Vera Futterlieb für elf Jahre in seinem Atelier mit und war unter anderem an Produktionen wie "Das Feuerzeug" (1958, R.: Siegfried Hartmann), "Das singende, klingende Bäumchen" und "Der verschwiegene Stern" mit. Auch sein Sohn Klaus Kunstmann stieg als Mechaniker in die Filmbranche ein.
Trotz der Teilung Deutschlands durfte Kunstmann auch an einigen BRD-Produktionen mitwirken, darunter an "Ein Mann geht durch die Wand" (1959, R.: Heinz Rühmann). Bis 1963 war er der Leiter der Trickfilmabteilung der DEFA. Nach seinem letzten Filmprojekt "Die Glatzkopfbande" (1963, R.: Richard Groschopp) übergab er die Leitung an seinen Schüler Kurt Marks. Er selbst zog sich vollständig aus dem Berufsleben zurück. Auch als technischer Berater stand er nicht mehr zur Verfügung.
Ernst Kunstmann starb am 30. Mai 1995 im Alter von 97 Jahren in Potsdam-Babelsberg. Über seine Leistungen schrieb Kurt Maetzig 1989 in einem Brief: "dass er [Kunstmann] den Erfahrungsschatz der Tricktechniker und Kameramänner der Zwanziger und Dreißiger Jahre für uns in einer Zeit nutzbar machte, als vieles zerstört war und die Tricktechnik uns half, Bilder zu schaffen, die in der Natur nicht zu finden oder nicht mit den üblichen filmischen Mitteln zu erschaffen waren."
Autorin: Jasmin Gröninger
Dieser Text wurde im Rahmen des Masterstudiengangs "Filmkultur - Archivierung, Programmierung, Präsentation" erstellt, der von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum gemeinsam angeboten wird.