Inhalt
Unter dem U-Bahn-Bogen Schönhauser Allee treffen sich regelmäßig halbwüchsige Jungen und ein Mädchen. In groben Unfug ausartende Mutproben lassen sie ihren häuslichen Frust über einen betrunkenen Stiefvater, den störenden Liebhaber der Mutter oder erste kriminelle Entgleisungen vorübergehend vergessen. Karl-Heinz zieht Dieter und Kohle in seine dunklen Geschäfte hinein. Nach vermeintlichem Totschlag fliehen die drei Jungen nach Westberlin. Nur Dieter kehrt zurück und schafft einen ehrlichen Neuanfang.
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Diese sich in der Nachkriegszeit rasant entwickelnde, in den „Kalten Krieg“ mündende Auseinandersetzung und die Vorboten der inzwischen glücklich überwundenen Teilung Deutschlands zeigt der dritte Berlin-Film des Gespanns Wolfgang Kohlhaase/Gerhard Klein so authentisch wie kaum ein zweiter. Gleichzeitig aber ist der im Stil des italienischen Neorealismus gedrehte, aus heutiger Sicht sehr düstere Streifen ein großartiges und dabei durchaus (selbst-) kritisches Zeitpanorama vom Lebensgefühl junger Heranwachsender zwischen importiertem „Halbstarken“-Gehabe und staatlich verordneter Anpassung im Blauhemd der FDJ.
Angela wohnt an besagter „Ecke Schönhauser“ an der U-Bahn-Station Dimitroffstraße (heute: Eberswalder Straße). Ihr Vater ist im Krieg gefallen und die Mutter sucht verzweifelt Halt bei ihrem Abteilungsleiter, einem verheirateten Mann, der offenbar gar nicht daran denkt, sich für die liebeshungrige Witwe scheiden zu lassen. Zumal ihn Angela, die für ihn zweimal der Woche das Feld räumen muss, stets ihre Abneigung spüren lässt.
Die Näherin ist das einzige Mädchen in einer vielköpfigen Jungenclique, die, wenn sie nicht im nahen Prater-Biergarten an der Kastanienallee sitzt, unter den U-Bahn-Bögen abhängt. Und naturgemäß auf dumme Gedanken kommt, angestiftet zumeist von Karl-Heinz. Der Sohn des Steuerberaters Fritz Erdmann, einer Karikatur des Zigarre rauchenden Kapitalisten mit West-Konto, der seine stumme Dulderin von mausgrauer Gattin kaum beachtet, stiftet Kohle dazu an, für eine West-Mark mit einem Pflasterstein die nächstgelegene Straßenlaterne zu zerdeppern.
Was den Zorn der an dieser verkehrsreichen Kreuzung schnell wachsenden Menschenmenge auf die „Halbstarken“ hervor- und die Polizei (noch in den alten Tschakos) auf den Plan ruft. Im Gänsemarsch geht’s auf die Wache, auch Angela kommt mit - „aus Solidarität“. Wohl eher aus Freundschaft zu Dieter, der sich bisher sorgsam aus allem herausgehalten hat, zumal sein Bruder bei der Volkspolizei ist. Dieter unterscheidet sich auch sonst von dem Rest der Clique: Er ist ein ruhiger, besonnener Mensch, geht einer geregelten Arbeit auf dem Bau nach, kann, wenn es Not tut, beherzt zupacken, so beim Fund eines Blindgängers in einer Baugrube.
Hält sich aber auffallend zurück, wenn es ums politisch-gesellschaftliche Engagement geht. Seinem FDJ-Vertrauensmann gibt Dieter keine Chance. Im Übrigen ebenso wenig dem „onkelhaften“ Volkspolizei-Kommissar, der rasch herausbekommt, wer den Stein geworfen hat: Kohle. Der leidet nicht nur unter seinem gewalttätigen Stiefvater, welcher seine liebevolle Mutter fest im Griff hat, sondern auch an der neuen Zeit: Es gibt nicht genug Lehrstellen in den bevorzugten Ausbildungsberufen. Und wer will schon auf den Schlachthof? Andererseits lockt der verführerische Westen – und allemal Karl-Heinz, den einzigen Jungen aus einem behüteten – und betuchten – Elternhaus.
Der macht am Bahnhof Zoo dunkle Geschäfte mit Ost-Währung und Ost-Ausweisen, einer der Geldwechsler wird von der späteren BE-Legende Jürgen Holtz gegeben. Nach einem dreisten Pass-Diebstahl in einem Tanzlokal, wo im Übrigen ganz amerikanisch-dekadente Musik gespielt wird, muss Karl-Heinz in die West-Sektoren Berlins flüchten. Dieter wird als angeblicher Freund des Täters verhaftet. Bei nächster Gelegenheit nehmen Dieter und Kohle Rache. Im Glauben, Karl-Heinz versehentlich getötet zu haben, fliehen auch sie in die Westzonen, wo sie in einem Auffanglager prägende Erfahrungen mit dem „freiheitlichen“ Teil Deutschlands machen...
Der 82-minütige Spielfilm „Berlin – Ecke Schönhauser“ ergreift Partei. Für Dieter als einen anständigen Kerl, der sich von niemandem etwas sagen lässt, auch nicht vom FDJ-Funktionär. Aber auch für die gerechte Sache des Aufbaus des ersten sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden. Hartmut Reck als idealistisches und keineswegs verbissen-ideologisches Blauhemd und Raimund Schelcher als patriarchisch-verständnisvoller Polizist sind die Guten, die Ganoven im Bahnhof Zoo, die jugendlichen Schläger und die West-Geheimdienstler im Auffanglager die Bösen. Am Ende kehrt Dieter auf die richtige Seite der noch nicht gebauten Mauer - und zu seiner von ihm schwangeren Angela – zurück.
Pitt Herrmann