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Alle Fotos (29)Biografie
Franz Theodor Schmitz wird am 10. Juni 1903 in Hannover geboren. Sein Vater Theodor Schmitz, verheiratet mit Maria Magdalena Overzier, ist Justizrat mit eigener Anwaltspraxis für Miet- und Wohnungsfragen. Er besucht das Goethe-Gymnasium bis zur Unter-Prima, debütiert mit 18 Jahren am Hannoveraner Boulevardtheater Schauburg. Noch 1921 wechselt er ans Residenztheater, spielt in Komödien und expressionistischen Dramen. 1923 ist Lingen – er nennt sich nach der Geburtsstadt seines Vaters – am Stadttheater Halberstadt, 1924-25 am Stadttheater Münster engagiert. 1926 wird er Ensemblemitglied des Neuen Theaters in Frankfurt am Main.
Im April 1929 gastiert er als Macheath in Brecht/Weills "Die Dreigroschenoper" (R: Erich Engel) am Theater am Schiffbauerdamm erstmals in Berlin. Er spielt in Brechts "Badener Lehrstück vom Einverständnis" (1929) und "Mann ist Mann" (1931), tritt in Avantgardestücken – u.a. Ernst Tollers "Feuer aus den Kesseln" (1930) – auf, an der Volksbühne (in Zuckmayers "Der fröhliche Weinberg", Hauptmanns "Die Weber"), in Kabaretts und Revuen am Kurfürstendamm ("Alles Schwindel", R: Gustaf Gründgens, 1931). 1932/33 ist er Mitglied der Berliner Komödie und des Komödienhauses. 1936 engagiert Gründgens ihn an die Preußischen Staatstheater, denen er bis 1944 angehört. "Er ist der persönlichste Schauspieler von Unpersönlichkeiten. Er ist abstrakt. Der größte Techniker der Komik in Deutschland." (Herbert Ihering, 1942).
In diesen Jahren beginnt er mit dem Schreiben von Stücken, die er, sein eigener Hauptdarsteller, zumeist selbst inszeniert: "So kann man sich täuschen"; "Was wird hier gespielt?" (UA: 11.5.1939, Staatstheater); "Johann" (UA: 14.2.1939, Staatstheater); "Theophanes" (mit Franz Gribitz, UA: 3.4.1948, Akademietheater Wien); "Die Silberhochzeit" (mit Fritz Schwiefert, 1955). Später folgen Opern- und Operettenlibretti: "Der mysteriöse Herr X" (UA: 1966, Theater an der Wien); "Römischer Karneval".
Lingen beginnt seine intensive Filmarbeit 1930 in Komödien und musikalischen Lustspielen, in denen er auch tänzerische Einlagen gibt ("Dolly macht Karriere"). Er mimt zudem freundliche Schurken in den Kriminalfilmen Fritz Langs ("M", 1931; "Das Testament des Dr. Mabuse", 1932/33). Seine bevorzugten Regisseure aber sind E. W. Emo und Geza von Bolvary, mit denen er bis in die 1950er Jahre zusammenarbeitet.
Ab 1933 übernimmt er ausschließlich komische Rollen. Er spezialisiert sich auf penible Charaktere, näselnde Diener, Fabrikanten, Würdenträger, Impressarios, die in aussichtslosen Lagen die Etikette zu bewahren trachten. In 24 gemeinsamen Filmen mit Hans Moser personifiziert Lingen preußische Akkuratesse, gebremst vom Charme des Überforderten. "Die Diener, die er spielt, laufen auf Draht, Marionetten der Höflichkeit und des guten Tones. Er ist der Überkellner, der Überverkäufer, der Überdiener. (...) Ein Bürokrat der komischen Dinge." (Film-Kurier, 15.9.1937)
1936 führt er in der vierteiligen "Eulenspiegel"-Kurzfilm-Serie erstmals Regie; zwischen 1939 und 1956 inszeniert er, mitunter nach eigenen Drehbüchern oder Buchvorlagen, 18 Spielfilme, darunter eine beschwingte Verfilmung von Paul Linckes Operette "Frau Luna" mit Lizzi Waldmüller (1941). Zu einem der erfolgreichsten Filmauftritte wird die Doppelrolle des Bauunternehmers und Dieners in Robert A. Stemmles Verfilmung seines "Johann" (1942).
Nach Kriegsende tingelt Lingen zunächst mit der Künstlergemeinschaft Bad Ischl, zu der auch Paul Kemp und Johannes Heesters gehören, über Land. Er erwirbt 1946 die österreichische Staatsangehörigkeit, schließt sich 1948 dem Ensemble des Wiener Burgtheaters an, spielt ab 1951 auch am Berliner Renaissance-Theater, gastiert 1953 in Buenos Aires, in den folgenden Jahren an zahlreichen Bühnen der Bundesrepublik und der Schweiz. Seinen letzten Auftritt absolviert er am 30.12.1971 an der Hamburgischen Staatsoper als Styx in "Orpheus in der Unterwelt" (R: Joachim Hess; auch TV).
Der Nachkriegsfilm bietet ihm zunächst Hauptrollen in Remakes früher Tonfilm-Erfolge ("Um eine Nasenlänge", 1949), in sportivem Klamauk ("Der Theodor im Fußballtor", 1950) und Adaptionen aus der Schwankfabrik Arnold & Bach ("Die vertagte Hochzeitsnacht", 1953; "Hurra – Ein Junge", 1953). Er absolviert Auftritte in Heimatfilmen ("Heidi", 1952; "Heidi und Peter," 1954/55; "Wenn die Alpenrosen blüh"n", 1955) "und stürzt schließlich, künstlerisches Harakiri nicht scheuend, in die Untiefen des schieren Filmschunds wie "Das Liebesleben des Schönen Franz" (1956) oder "Almenrausch und Edelweiß" (1957)" (Harmssen, 1978).
Im Verlauf und gegen Ende seiner Film-Karriere verlegt er sich zusehends auf nervösere, gelegentlich entnervend hysterische Gestalten, die in turbulenten Szenen, deren Komik strikt aus der Situation sich ergibt, den Kopf und die Autorität verlieren. Nicht immer vollzieht sich die Demontage – exemplarisch als großkarierter Sir Lindsay in den Karl May-Verfilmungen "Die Sklavenkarawane" (1958) und "Der Löwe von Babylon" (1959) sowie als Schuldirektor in den "Pauker"-Filmen ab Ende der 60er Jahre – ohne Peinlichkeit, die vergessen läßt, daß einst Brecht an seinem kritischen Stil Wohlgefallen fand.
"Ich habe immer ganz bewußt für ein Publikum gespielt. Ich habe ganz bewußt immer die Wirkung gesucht. Vielleicht habe ich mich manchmal in den Mitteln vergriffen, aber das ist, finde ich, nicht gar so wichtig. Ich war und ich bin immer, wenn ich auf der Bühne stehe, ganz kalt, ganz überlegen und überlegend, kalkulierend und spekulierend, nicht im geringsten angetan von Gefühlen oder Emotionen, die ich darzustellen habe." (Lingen, 1963).
Im Fernsehen, für das er auch als Moderator von Unterhaltungssendungen ("Theo Lingen präsentiert Tierisches", "Allzu Tierisches", 1964; "Sternbild", 1968) und frühen Filmsketchen arbeitet ("Witzakademie"; "Lachen Sie mit Stan und Ollie", ab 1976), kann Lingen in modernen und klassischen Stücken zuweilen die seriöse Dimension seiner Kunst präsentieren: als Oberlehrer Krull in "Die Kassette" (1961), Riccaut de la Marliniére in "Minna von Barnhelm" (1964), Malvolio in "Was Ihr wollt" (1968).
"Er konnte (...) von einer höchst sachlichen Unheimlichkeit sein, von einer höchst würdigen, geradezu vernunftvollen Lächerlichkeit. Hinter der Eiseskälte seiner gestrengen, niemals gemütvollen Komik wurde dann fast ein Gefühl spürbar: Lebensangt. Aus der virtuosen Marionette wurde ein Mensch." (Die Zeit, 17.11.1978).
Lingen ist ab 1928 mit der Sängerin Marianne Zoff, geschiedene Brecht, verheiratet. Ihre gemeinsame Tochter Ursula Lingen (geb. 9.2.1928) wird ebenfalls Schauspielerin. Die der Ehe Zoff/Brecht entstammende Tochter Hanne Hiob (geb. 1923) wächst gleichfalls bei ihnen auf.
Theo Lingen stirbt am 10. November 1978 in Wien. Er wird auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Seinen Erben soll er 3 Millionen DM hinterlassen haben.
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film
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