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Alle Fotos (8)Biografie
Michael Ballhaus, geboren am 5. August 1935 in Berlin als Sohn des Schauspielerehepaars Oskar Ballhaus und Lena Hutter, absolviert nach dem Abitur eine zweijährige Fotografenlehre und arbeitet anschließend als Bühnenfotograf. 1959 erhält er eine feste Stelle beim Südwestfunk in Baden-Baden, wo er nach drei Monaten als Kamera-Assistent zum Kameramann und schließlich zum Chef-Kameramann aufsteigt. Bis 1966 arbeitet er in dieser Funktion mit Regisseuren wie Peter Lilienthal und Herbert Vesely zusammen. Sein Debüt als Kameramann bei einem Kinofilm gibt Michael Ballhaus 1968 bei der Dieter Hallervorden-Komödie "Mehrmals täglich". Von 1967 bis 1969 ist er Dozent für Kamera an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin.
Bei seinem zweiten Kinofilm "Deine Zärtlichkeiten" lernt er Ulli Lommel kennen, der ihn wiederum mit Rainer Werner Fassbinder in Kontakt bringt – der Beginn einer prägenden, acht Jahre währenden Zusammenarbeit. Nach dem ersten gemeinsamen Film "Whity" (zugleich Fassbinders erster Film im CinemaScope-Format) steht Ballhaus bis zu "Die Ehe der Maria Braun" (1978) noch vierzehn weitere Male für Fassbinder hinter der Kamera. Seine Arbeit bei "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" und "Eine Reise ins Licht – Despair" bringen ihm 1972 und 1978 je einen Deutschen Filmpreis in Gold ein.
Darüber hinaus dreht Ballhaus eine Dokumentation über seinen Weggefährten ("Fassbinder produziert: Film Nr. 8"), arbeitet als Kameramann bei dem Detlef-Sierck-Projekt "Bourbon Street Blues" (1978), in dem Fassbinder als Darsteller mitwirkt und fungiert als Kameramann bei Filmen von Mitgliedern der Fassbinder-Truppe wie Peer Raben und Ulli Lommel. Als Darsteller sieht man ihn zudem in Fassbinders "Der amerikanische Soldat" (1970) und in Christian Hohoffs "Spiel der Verlierer" (1977/78), den Fassbinder produziert und Ballhaus" Assistent Horst Knechtl fotografiert.
Auf künstlerischer Ebene führt die Zusammenarbeit mit Fassbinder zu Experimenten wie der TV-Aufzeichnung einer Bühneninszenierung von "Frauen in New York", bei der jeder Akt in einer einzigen Einstellung aufgenommen wird oder dem formal spielerischen Film "Chinesisches Roulette" (1976). Im Lauf der Jahre entwickeln Ballhaus und Fassbinder eine sehr eigene Ästhetik, bei der Ballhaus unter anderen mit Blicken durch Fenster, Türen, Gitter und Wände arbeitet, die das Blickfeld begrenzen. Außerdem werden neben seiner ausgefeilten, feinsinnigen Lichtgestaltung Stilmittel wie der "Ballhaus-Kreisel" legendär, eine ursprünglich von Claude Lelouch 1966 erfundene Kamerafahrt um 360 Grad, die durch die schwindelerregende Umsetzung in Fassbinders "Martha" (1974) Aufsehen erregt, später auch seine punktgenau getakteten, langen Plansequenzen für Martin Scorsese, herausragend etwa in "Goodfellas" (1990).
Nachdem die Zusammenarbeit mit Fassbinder während der Vorbereitungen zu dem Großprojekt "Berlin: Alexanderplatz" vorläufig endet, dreht Ballhaus mit Peter Lilienthal in Nicaragua "Der Aufstand". "Ich weiß noch," erzählt er 1985 in einem Gespräch mit dem Filmkritiker Wilhelm Roth, "was das für ein Aufatmen war für mich, was für ein Gefühl der plötzlichen Freiheit, dass plötzlich nicht mehr der schon verinnerlichte Zwang der Fassbinderschen Ästhetik hinter jedem Bild stand, sondern dass man wirklich die Kamera in die Hand genommen hat und den Film einfach aus der Hüfte gedreht hat." In den folgenden Jahren hält er - neben seinen Arbeiten als Kameramann - in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut Workshops in Lateinamerika ab, so etwa in Mexiko, wobei der vom ZDF koproduzierte Film "Kindheit in Amacueca" entsteht. Außerdem ist Ballhaus Dozent an der Hochschule für Fernsehen und Film in München (1978) sowie 1982 erneut an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. 1981 arbeitet er noch einmal mit Rainer-Werner Fassbinder zusammen, als er bei "Lilli Marleen" neben Xaver Schwarzenberger als Ko-Kameramann verantwortlich zeichnet.
1981 dreht Ballhaus mit Peter Lilienthal in New York die Tragikomödie "Dear Mr. Wonderful", in dem Joe Pesci die Hauptrolle spielt. Während der Dreharbeiten kommt er mit amerikanischen Filmmachern in Kontakt – der Startpunkt eines weiteren wichtigen Karriereabschnitts.
1982 arbeitet er erstmals an zwei amerikanischen Produktionen: Für John Sayles fotografiert er die romantische Independent-Komödie "Baby, It"s You" und für James Foley das Drama "Reckless", wofür er jedoch erst Mitglied der amerikanischen Filmgewerkschaft "Nabet" werden muss. Nachdem das Scorsese-Projekt "The Last Temptation of Christ", für den der Regisseur Ballhaus verpflichten wollte, 1984 auf Grund öffentlicher Proteste verschoben werden muss, drehen die beiden im Sommer 1984 die schwarze Komödie "After Hours". In den folgenden 25 Jahren arbeitet Michael Ballhaus fast ausschließlich an amerikanischen Produktionen und avanciert zu einem der gefragtesten und renommiertesten Chefkameramänner Hollywoods. Für Volker Schlöndorff steht er 1985 in New York bei dem TV-Film "Death of a Salesman" (1985) nach dem Bühnenstück von Arthur Miller hinter der Kamera; in Südfrankreich entsteht 1985 die zweite Spielfim-Produktion des Musikers Prince, "Unter dem Kirschmond", der zwar in Farbe gedreht wird, aus dramaturgischen Gründen jedoch in Schwarzweiß in die Kinos kommt.
Mit "The Color of Money" (1986) setzt Ballhaus seine Zusammenarbeit mit Martin Scorsese fort. Danach realisieren die beiden noch fünf gemeinsame Filme: "Die letzte Versuchung Christi" (1988), "Good Fellas" (1990), "Zeit der Unschuld" (1993), "Gangs of New York" (2002) und "Departed – Unter Feinden" (2006).
Zu Ballhaus' zahlreichen weiteren Kinoarbeiten in den USA gehören unter anderem Francis Ford Coppolas Bram-Stoker-Verfilmung "Dracula" (1992), Robert Redfords Mediendrama "Quiz Show" (1994), die Wolfgang-Petersen-Thriller "Outbreak" (1995) und "Air Force One" (1997), Mike Nichols' Politdrama "Mit aller Macht" (1998) und Nancy Myers' Beziehungskomödie "Was das Herz begehrt" (2003).
In den USA wird Ballhaus mit mehreren Kritikerpreisen geehrt und erhält unter anderem drei Oscar-Nominierungen: für "Broadcast News" (1987), "Die fabelhaften Baker Boys" (1989) und "Gangs of New York" (2002). Für die Kameraführung bei dem Bruce-Springsteen-Musikideo "I"m on Fire" (Regie: John Sayles) wird Ballhaus 1985 mit einem American Video Award ausgezeichnet.
Anfang 2007 gibt Michael Ballhaus seinen Rückzug aus Hollywood bekannt. Der inzwischen 72-jährige erklärt, künftig vor allem unterrichten und produzieren zu wollen. Im gleichen Jahr ruft er das "Ballhaus-Projekt" ins Leben, eine Klimaschutz-Initiative, die zum sparsamen Umgang mit Energie und Ressourcen aufruft.
Ab Oktober 2009 übernimmt Ballhaus, der seit 1999 Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg ist und immer wieder als Dozent an deutschen Filmhochschulen lehrte, gemeinsam mit Achim Poulheim die Fachbereichsleitung Kamera an der Hamburg Media School. Weitere Funktionen an Hochschulen folgen: So ist Ballhaus seit 2010 Abteilungsleiter für Kamera an der Hochschule für Fernsehen und Film München, 2015 hat er eine Gastprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg.
2009 stellt Ballhaus im Rahmen der Berlinale sein Kinoregie-Debüt vor: In dem Dokumentarfilm "In Berlin" (gemeinsam mit Ciro Cappellari) porträtiert Ballhaus seine Geburtsstadt und lässt prominente wie auch unbekannte Persönlichkeiten den Zuschauern ihr ganz persönliches Berlin vorstellen. Fürs Fernsehen dreht er anschließend gemeinsam mit seiner Schwester Ulla den Dokumentarfilm "Unser Franken" (2010); darin porträtieren die beiden Menschen und Landschaften in ihrer fränkischen Wahlheimat.
Als reiner Kameramann wird Ballhaus noch einmal für Sherry Hormanns "3096 Tage" (2013) aktiv, einem Drama über den Fall von Natascha Kampusch, die mehr als acht Jahre lang von einem Entführer gefangen gehalten wurde. Ansonsten bleibt Michael Ballhaus, dessen zweiter Sohn Florian, Jahrgang 1965, ebenfalls mit Erfolg als Kameramann in den USA arbeitet, aus dem aktiven Filmgeschäft zurückgezogen.
Im hohen Alter erhält Ballhaus schließlich Auszeichnungen von vielen Seiten: 2012 wird er beim Deutschen Filmpreis für "herausragende Verdienste um den deutschen Film" ausgezeichnet, im Jahr darauf würdigt ihn das Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Ehrenpreis. Im Jahr 2015 wird dem Kameraveteran schließlich das Bundesverdienstkreuz verliehen, ein Jahr später erhält er auf der Berlinale den Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Bereits seit 2010 trägt ein Stern auf dem Berliner Boulevard der Stars seinen Namen.
In der Nacht vom 11. auf den 12. April 2017 stirbt Michael Ballhaus im Alter von 81 Jahren in seiner Geburtsstadt Berlin.