Inhalt
"Die erste Polka" spielt am letzten Tag vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die großbürgerliche Familie Piontek aus Oberschlesien ist trotz des heraufziehenden historischen Unheils ganz mit sich selbst beschäftigt. Tochter Irma soll heiraten, und Mutter Valeska ist mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt, da Vater Leo schwerkrank im Bett liegt. Sohn Josel tanzt auf der Feier mit Freundin Ulla seine erste Polka, verliert sie aber an den Cousin Andreas. Ulla und Andreas beobachten zufällig den arrangierten Überfall auf den Sender Gleiwitz, der zum Vorwand für die deutsche Kriegserklärung wird. In der Nacht stirbt Vater Leo, und Josel wird durch einen Unfall zum Mörder.
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Die Klavierlehrerin Valeska Piontek, durch den bald zu erwartenden Tod ihres Gatten nun erklärtes Oberhaupt der Familie, ist zu sehr mit den Vorbereitungen der Hochzeit ihrer Tochter Irma mit dem seit einigen Tagen in ihrem Haus einquartierten Leutnant Heiko Birkner aus dem „Reich“ beschäftigt, gilt es doch, ein Mammutprogramm für die Honoratioren der Stadt und die vielköpfige, von weither angereiste Verwandtschaft auf den Weg zu bringen – in besagtem erstem Haus am Platz. So bekommt sie auch nicht mit, wie sehr sich ihr 15-jähriger Sohn Josel vor dem Tod des geliebten Vaters fürchtet.
Josel hat sich innerlich zurückgezogen und ist so mit seiner Trauer beschäftigt, dass ihm entgeht, wie sich seine Freundin Ulla in seinen am Vorabend aus Berlin gekommenen Cousin Andreas verliebt. Auf einer Radtour werden Ulla und Andreas zufällig Zeugen des von den Nazis fingierten, d.h. selbst durchgeführten angeblich polnischen Überfalls auf den Sender Gleiwitz. Der den offiziellen Startschuss markiert für den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen.
Ungerührt geht das große Hochzeitsfest im „Haus Oberschlesien“ über die Bühne – und Josel tanzt mit Ulla die erste Polka seines Lebens. Der Alkohol fließt reichlich. Als der betrunkene Feldwebel Metzmacher auf dem Heimweg Ulla anmacht und sogar zu vergewaltigen versucht, erschlägt Josel den Soldaten. In seiner Erschütterung gesteht er seine Tat aus Notwehr dem ehemaligen Landgerichtsrat Montag, einem zum Katholizismus konvertierten Halbjuden, den seine Mutter vor den Schergen der Nazis im Gartenhaus versteckt. Doch der, voller Angst, entdeckt zu werden, kann Josel nicht helfen. Sodass dieser nach Berlin flüchtet.
Am nächsten Morgen sucht die Feldpolizei nach dem nicht zu seiner Einheit zurückgekehrten Feldwebel Metzmacher. Auch der Bräutigam, Leutnant Heiko, wird vermisst. Weil Montag befürchtet, durch die Nachforschungen entdeckt zu werden, bringt er sich selbst um. Und noch einen Toten gilt es zu beklagen: Leo Maria Piontek. In der geschlossenen Welt seiner Krankenstube ahnte er die düsteren Vorzeichen kommenden Unheils, während ihm seine Gattin Valeska stets versicherte, die deutschen Soldaten seien rein zufällig in Gleiwitz versammelt. „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen“: Als im Reichsrundfunk die Übertragung der Kriegs-Rede Adolf Hitlers aus dem Berliner Reichstag beginnt, sitzt sie am Volksempfänger. Valeska werden zwar Zusammenhänge klar, die führen aber nicht zur Selbsterkenntnis, sondern nur zum Bedauern darüber, dass alles so gekommen ist – einschließlich des spurlosen Verschwindens ihres Sohnes Josel…
„Die erste Polka“, eine Adaption des 1975 erschienenen gleichnamigen Romans des 1930 in Gleiwitz geborenen Schriftstellers Horst Bienek, dem Auftakt seiner „Gleiwitzer Tetralogie“, ist im tschechischen Ostrava, dem früheren Mährisch-Ostrau, und im österreichischen Bad Gastein (die Hotel-/Hochzeits-Szenen), gedreht worden: Die Kamera Michael Ballhaus‘ schwelgt in luxuriösen Jahrhundertwende-Interieurs.
Wie in der Bieler-Verfilmung „Mädchenkrieg“ von Bernhard Sinkel und Alf Brustellin mischt sich privates Erleben mit historischem Geschehen. Doch Klaus Emmerichs Anspruch ist höher: am Schicksal der Familie Piontek soll sich das Schicksal Oberschlesiens, ja das deutsche Schicksal gleichnishaft wie in einem Brennspiegel offenbaren. Für Reinhold Jacobi („Rheinischer Merkur“ vom 21. September 1979) fehlt es an „Erschütterung“ und „Irritation“: „Es stimmt alles – Interieurs, Kostüme, Gesichter – und doch stimmt zu wenig, da die Geschichte letztlich kalt lässt.“ Auch Manfred Kreckel (in der „FAZ“ vom 3. September 1979) sieht das Resultat kritisch: „Der Film vereint zahlreiche Motive: Milieuschilderung der Provinz, gesellschaftlich-politisches Hintergrundgeschehen, psychologische Analyse und – nicht zuletzt – eine Familiensaga. Dabei wird der Film keiner dieser verschiedenen Ebenen ganz gerecht und beschränkt sich letztlich auf eine Ansammlung von Anekdoten in einem Dekor, der das Milieu einer großbürgerlichen Familie verdeutlichen soll.“
Pitt Herrmann