Heinz Salmon: Film-Götter (Frechheiten aber Wahrheiten) (1919)

Buch-Cover
Quelle: Jeanpaul Goergen
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Aperçus, Miniaturen und pointierte Beobachtungen aus der Filmwelt, boshafte und zum Teil auch recht gemeine Piecen, Gedichte und Szenen – unmöglich, hier alle Namen der Schauspielerinnen und Schauspieler aufzuzählen, die Heinz Salmon verschreit, angriffslustig und bissig, gewiss auch verletzend und dennoch stets bemüht, ihr Spiel für den Film kritisch zu bewerten. Denn die Entwicklung des Films sei so katastrophal, "dass sie nur noch in den idiotischen Bocksprüngen des Dadaismus ihr Gegenstück findet." (S. 9) Sich auf Horaz berufend, will Salmon die Wahrheit lächelnd vortragen und "gegen die Verpöbelung des Geschmacks durch den Film" kämpfen, wie der Verlag die kleine Schrift im "Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" (Nr. 197, 1919) bewarb.

Und so kriegen vor allem die Möchtegern-Filmsterne ihr Fett weg, nach dem Motto, "den nichtskönnenden Schreiern eins auf das breite Maul" geben. (S. 81) Dabei polemisiert Salmon nicht (nur) um der Polemik willen, sondern baut seine Kritik auf genaue Beobachtungen und einer gelegentlich angedeuteten Theorie des Filmspiels auf. Von einem jugendlichen Film-Star etwa verlangt er als Mindestvoraussetzung "Schönheit und nochmals Schönheit, Anmut der Linien, restlose Erfüllung des ästhetischen Gesetzes! [...] Und zugleich verlange ich die Kunst, sich freizumachen von Eitelkeit und Eigendünkel, das Vermögen, die Rolle zu gestalten – und darin sich selbst." (S. 40f) Auf die Filmkritiker ist er schlecht zu sprechen, zeichneten sie sich doch, obschon dazu berufen, Geschmack zu entwickeln, durch "gänzliche Geschmacklosigkeit" (S. 6) aus; außerdem polemisiert er ständig gegen die populär ausgerichtete "Illustrierte Film-Woche".

In einer Dialogszene verspottet Salmon Ernst Lubitsch unfein als Wüstling, der einer filminteressierten Dame als erstes einen Divan anbietet, dann könne er "gleich besser die Liegesituation beurteilen." (S. 23) Die Schauspielerin Lu Synd sei "ein Pfau, der inwendig hohl ist" (S. 17); ihre Mimik "ausdruckslos, dumm und affektiert; absolut nichtssagend!" (S. 19). Zugleich lästert er über den "anmaßenden Quatsch" (S. 17), den Reinhold Fritz Grosser in dem Buch "Wege zum Film"  über sie veröffentlichte. In Hedda Vernon sieht Salmon eine Künstlerin der Kunstlosigkeit. Der vor allem in Lustspielen – die Salmon nicht als Kunst gelten lässt – erfolgreiche Paul Heidemann vergleicht er mit einem Hampelmann: man "hänge ihn an einen Nagel, ziehe an dem Faden: Das ist das genaue Spiegelbild von Paul Heidemanns 'Kunst'." (S. 50) Der Detektiv-Darsteller Hans Mierendorff sei die "verkörperte seelsorgerische Jovialität, aber auch Ausdruckslosigkeit; groß, klobig, schlecht profiliert; ein dreifach ungünstiges!" (S. 57) An Max Landas geistreichem Spiel als "Salondetektiv" bewundert er dagegen die "dandyhafte Trägheit, seine Müdigkeit ohne müde zu sein, der leidende Cynismus in den Mundwinkeln und sein unmerkliches Sichselbstbelächeln." (S. 60)

Nicht immer wird klar, wann Salmon Lob und wann er Kritik verteilt, wie etwa in seinen Bemerkungen über Pola Negri: "Wenn man sie länger als zwei Minuten anblickt, schmeckt das Mittagbrot nicht. Sieht man sie drei Minuten an, liegt man ihr zu Füßen. Länger kann man sie überhaupt nicht anblicken." (S. 22) Mia May sei eine Filmschauspielerin, "die uns bisher nicht einen Zoll ihres Könnens bewiesen hat." (S. 32) Nach ihrer Hauptrolle in "Veritas vincit" (1919) änderte er seine Meinung: "Wo solche Zusammenwirkungen entstehen, wo der Darsteller auf sich selbst verzichtet, der Stoff ihn dazu zwingt, wo solche fabelhaften optischen Effekte nicht allein um der Effekte willen durch die Handlung ziehen, und die Musik von so wundervoller motivtragender Dynamik erfüllt ist, da hört das Kino auf, da ist die Treppe zu einem neuen Musentempel erklommen." (S. 33)

Conrad Veidt charakterisiert Salmon als die "personifizierte Vergeistigung der dritten Dimension, also vierte Dimension! Wenn er will, blicken seine Augen in das vierte Reich, sein Antlitz wird transparent, es scheint, als haben alle Leidenschaften daran genagt. Seine düstere Seele steht auf seinem Gesicht! Und dann spielt er auf dieser Seele auch noch, wie auf einer gequälten, schreienden Violine." Veidt sei eine "unentbehrliche Bereicherung, ein Typ für sich!" (S. 36) Auch über Erna Morena sei nichts Ungünstiges zu sagen; er sieht sie "sichtbar durchzittert von der Handlung, so dass sie beinah transparent wirkt in ihrer seelischen Sinnlichkeit." (S. 37) Von Reinhold Schünzels Spiel ist er ebenfalls angetan: "Es gibt verwöhnte Leute, die sich nicht das Stück, sondern nur Schünzel ansehen, so fabelhaft ist er in seiner Spezie als Hochstapler, als Snob, als Sybarit, als Zuhälter und überhaupt in dieser ganzen seichten prickelnden Skala." (S. 38)

Henny Porten lässt Salmon nur als "reife Frau" gelten; in dieser Rolle wirke sie "natürlich, ästhetisch und unübertrefflich." Asta Nielsen sei "längst überlebt". Zwar gelte sie in Fachkreisen immer noch als "unantastbare Künstlerin", dabei habe sie "fast immer in ihrem Spiel bewusst und maßlos übertrieben." (S. 40) Harry Liedtke gilt ihm als der eleganteste Darsteller, es fehle ihm aber noch "an der großen Linie und an Nuancierungen im Spiel." (S. 41)

Gegen Ende spricht Salmon seine Leser direkt an: "So, armes Publikum, sehen deine Götter aus! Knie nieder und bete weiter!" (S. 78) Ein sechsseitiges Personenregister beschließt den Band.

Der Rezensent des "Film-Kurier" verglich das Erscheinen der "Film-Götter" mit dem Einschlag einer Bombe im Berliner Filmviertel. "Mit rücksichtsloser Offenheit und bissiger Ironie wird hier von einem anscheinend recht gut informierten 'Herrn vom Bau' mit echten und unechten Filmgöttern ins Gericht gegangen." Leider nehme die Kritik zum Teil "höchst persönliche, nicht gut zu heißende Formen an, geht die Boshaftigkeit und der ätzende Witz mancher Bemerkung über das notwendige Maß hinaus. Herr Salmon hat eine ganze Portion Mut bewiesen, und man fühlt sich veranlasst, ihm zu empfehlen, in der nächsten Zeit möglichst nicht allein und nur gut bewaffnet die Straßen zu betreten." (16.9.1919)

Über Heinz Salmon ist nur wenig bekannt. 1919 veröffentlichte er noch den Gesellschaftsroman "Die goldene Maske"; 1921 folgte die filmtheoretische Abhandlung "Die Kunst im Film".  1922 arbeitete er am Drehbuch zu dem deutsch/niederländischen Detektivfilm "Der Mann im Hintergrund" mit. Danach verliert sich seine Spur.

(Jeanpaul Goergen, Juli 2022)

Heinz Salmon: Film-Götter (Frechheiten aber Wahrheiten). Eine durchaus ernsthafte Betrachtung einer lustigen Angelegenheit. Mit einer Umschlagzeichnung vom Verfasser. Berlin: Verlagsbuchhandlung Alexander Grübel Nchfg. [1919] 103 Seiten
Traub/Lavies: 694
dnb: https://d-nb.info/575947330