Ludwig Beck: Wie werde ich Filmschauspieler(in)? (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Ludwig Becks knapp 100 Seiten starkes Buch "Wie werde ich Filmschauspieler(in)?" von 1919 über "Grundzüge und Probleme der Lichtspielkunst" erschien in München; dort war auch der Autor beheimatet. Im Innentitel erfahren wir, dass er bayerischer Hofschauspieler und Filmregisseur ist. 1887 geboren, arbeitete Beck ab 1917 als Autor, Darsteller und Regisseur für Münchener Filmproduktionen. 1920 wurde er Generaldirektor der im gleichen Jahr gegründeten Cinoscop-Film (Cinoscop-Co. Commandite im Cinoscop-Concern) in München. Das Unternehmen wollte Filme "nach seinen neuartigen, höchst originellen Anordnungen" herstellen. (Der Kinematograph, Nr. 684, 18.2.1920) Der Cinoscop-Stil bestand darin, dass Beck auf professionelle Schauspieler verzichtete und stattdessen "hervorragende Individualitäten aus der besten Münchner Gesellschaft — ehemalige Offiziere, Angehörige des Hochadels, elegante Damen des Salons, — mit einem Worte: Menschen, wahre, tüchtige, brave Menschen, die durch ihre Eigenart und ihr ganzes Wesen für den Film geschaffen sind" engagierte. (Der Kinematograph, Nr. 688/89, 11.4.1920) Bereits Ende des Jahres stellte die Cinoscop jedoch ihren Betrieb wieder ein.

Mit seinem Buch wollte Beck einen Einblick "in die Verhältnisse der Lichtspielkunst und ihrer Prinzipien" (S. 72) und neben der "künstlerischen Anregung" (S. 99) auch jene warnen, die glauben, beim Film schnell und ohne große Anstrengungen reich zu werden. Diesen Irrglauben führt er auf den Zustand der Nachkriegszeit zurück. In dieser "neurasthenischen Zeit" würden die Nerven ständig vibrieren, die Empfindlichkeit überspannt, die Nervosität enorm gesteigert; Lüge und Schein als "Lebenselixier" des Kapitalismus förderten das "Hazardspiel" und die Unehrlichkeit. (S. 9 f) Mit dem Aufschwung der deutschen Filmindustrie während des Weltkriegs sei auch die Anziehungskraft auf jene "Kunstjünger" gestiegen, die sich als Film-Star "Glanz und Weltruhm" erhoffen. Alles sei "vom Filmtaumel erfasst" und der Filmschauspieler eine "zur Mode gewordene Figur". (S. 6) Tatsächlich herrsche unter den Filmschauspielern das "große Elend" (S. 69).

Der Aufschwung der Kinematographie sei nicht zu übersehen; aktuell gebe es im Deutschen Reich rund 2500 Kinos. Es sei aber der "an Materialismus erkrankten Zeit" geschuldet, dass die Filmindustrie den Kunstanspruch vernachlässige und nur darauf aus sei, "eine gute Bilanz zu erzielen". Mit dem Star-System seien größte Gewinne zu erzielen, allerdings sei dieser "Persönlichkeitskultus" der "Krebsschaden der künstlerischen Entwicklung“ des Films. (S. 4)

Anschließend stellt Beck Grundprinzipien einiger Filmberufe vor. Der echte Filmdichter müsse mit den Prinzipien der Lichtspielkunst vertraut sein; seine Arbeit habe mit Literatur nichts mehr zu tun. Er müsse Fantasie mitbringen und in der Lage sein, die "bildnerischen Wirkungen" (S. 14) seiner Ideen auszuarbeiten. Es reiche aus, diese auf zwei Seiten niederzulegen. Es sei dann Aufgabe des Dramaturgen, sie "regiereif" (S. 20) in bildliche Szenen auszugestalten. (S. 20) Ein 1.500 Meter langer Film mit fünf Akten enthalte durchschnittlich 80 Bilder. Ein mittleres Bild sei etwa 20 Meter, stärkere Bilder dagegen bis zu 100 Meter lang.

Aufgabe des Regisseurs sei es nun, das regiereife Manuskript "drehreif" auszuarbeiten, d.h. es "nach den Gesetzen der Filmtechnik, den inneren Zusammenhang herzustellen [und] Logik und Konsequenz der handelnden Figuren auf das Genaueste" zu prüfen. (S. 26) Der Ausdruck "Drehbuch" kommt noch nicht vor. Der Regisseur müsse nicht nur eine künstlerische Befähigung, sondern auch eine "moralische Eignung" (S. 25) mitbringen und sich als Erzieher verstehen.

Es folgen längere Überlegungen zum Beruf des Filmschauspielers insbesondere in Abgrenzung zur Bühne. So weist Beck darauf hin, dass durch die Aufnahme die Bewegungen beschleunigt würden, "die der ausübende Filmschauspieler durch Verlangsamungen der natürlichen Spielart korrigieren muss." (S. 31) Gemeint ist, dass die Filme im Kino meist schneller vorgeführt wurden als sie aufgenommen wurden. Er geht dann auf Licht, Kleidung und Maske und die Unruhe bei den Aufnahmen ein. Der Filmschauspieler müsse die Fähigkeit mitbringen, "durch körperliche Mittel einen, der Phantasie vorschwebenden Typus darzustellen." (S. 36) Beck spricht gar von einem "Gesetz der korrespondierenden Kräfte des geistigen und körperlichen Elements". (S. 40) Unentbehrlich seien körperliche Pflege, rhythmische Gymnastik, Turnen und der moderne Tanz, um die jeweils angestrebte "Reliefwirkung" (S. 44) der Darstellung zu erreichen und den vom Großstadtleben ausgesagten Körper "aufs Neue zu festigen, zu stählen, zu veredeln." (S. 95) Außerdem sollte er durch kulturhistorische Studien seine "ästhetische Bildung" (S. 89) fördern.

An den historischen Filmen kritisiert er, dass Schauspieler/innen häufig nicht in der Lage seien, ihr Spiel an die Zeit anzupassen, in der die Handlung angesiedelt ist und empfiehlt als Ausweg Stoffe, die in einer nicht genau definierten Vergangenheit spielen. Auch ein Bauer müsse "innerlich wie äußerlich" echt dargestellt werden. (S. 17). Die meisten zahlreichen neugegründeten Filmschulen würden naive Talente nur ausbeuten; notwendig sei dagegen eine wirkliche Filmschule. (S. 48)

Beck skizziert dann einige Szenen, die er zur Selbstübung empfiehlt und empfiehlt auch den häufigen Kinobesuch als ein wichtiges Lehrmittel. (S. 48-57) Mehr feuilletonistisch und humoristisch ist seine Schilderung einer Filmaufnahme. (S. 57-67)

Schließlich widmet sich Beck der Frage, wie Talent zum Filmschauspielen zu erkennen sei. Unerlässlich sei aber "ein gewisses Maß von körperlicher Vollkommenheit." Dem unerfahrenen Anwärter empfiehlt er, "das fachliche Urteil eines erfahrenen, unbestechlichen Filmkünstlers" (S. 70) einzuholen und sich in einem dramatischen Verein zu erproben. Nur "das Urteil eines moralisch einwandfreien, gewissenhaften Künstlers" (S. 68) über die Begabung sieht er als zuverlässig an.

Die Idee, talentierte Laien anstatt gestandene Schauspieler einzusetzen, die Beck 1920 in "I.N.R.I. Die Katastrophe eines Volkes" für die Cinoscop-Film ausprobierte, findet sich auch in seinem Buch wieder. Die feuilletonistische Schilderung einer Sprechstunde beim Filmregisseur (S. 72-86) soll seine Auffassung belegen, dass der Regisseur mit wenigen Blicken die Filmeignung eines jungen Menschen zu erkennen vermag. "Aus der wird was!" ruft er begeistert aus, als sich ihm eine junge Kellnerin vorstellt; sofort bestellt er sie zu einer Probeaufnahme. (S. 82)

Das Buch enthält keine Abbildungen; Beck führt keine Filmtitel an und erwähnt nur an einer Stelle einige bekannte Schauspieler und Schauspielerinnen.

Jeanpaul Goergen (Januar 2021)

Ludwig Beck: Wie werde ich Filmschauspieler(in)? Grundzüge und Probleme der Lichtspielkunst. München: Verlag Kil. Josef Lender, 1919, 99 Seiten
Traub/Lavies 565