Henny Porten: Wie ich wurde (1919)
Quelle: Jeanpaul Goergen |
Buchcover |
Das als "Selbstbiographie" bezeichnete Buch "Wie ich wurde" von Henny Porten erscheint 1919 im Berliner Volkskraft-Verlag. Der illustrierte Schutzumschlag von "CK" zeigt den ausgeschnittenen Kopf der Schauspielerin. Es handelt sich wohl um einen der ersten illustrierten Schutzumschläge, bei denen Text und Foto zusammen gedruckt wurden, wie die "Kleine Geschichte des Schutzumschlags" auf Photobibliothek.ch vermutet.
Allerdings stammt das Buch wohl nicht von Henny Porten selbst. So schreibt Hans Richter in Nummer 22/1919 seiner "Kinobriefe", Porten habe ihre Biografie nicht selbst geschrieben, "was wohl auch keiner, der sie gelesen hat, bezweifeln wird". Das Buch soll sogar "gegen ihren Willen" erschienen sein und jetzt zurückgezogen werden: "Hätte man das nicht vorher verhindern können und warum ist auf der letzten Seite, gewissermaßen billigend, das Zeichen der Ufa?" Das Buch erlebte im Erscheinungsjahr 14 Auflagen in einer Höhe von bis zu 70.000 Exemplaren. Da Henny Porten 1918 mit der Messter-Film zur Ufa kam, hatte letztere natürlich auch ein Interesse an einer verstärkten Bewerbung ihres neuen Stars.
In der mir vorliegenden zehnten Auflage von "Wie ich wurde" ist die Ufa-Marke auf der Rückseite mit der Anschrift "Unter den Linden 56" noch enthalten, allerdings nicht mehr in der zwölften Auflage. Nun fehlen auch die beiden Anzeigen des Volkskraft-Verlags für ihre Zeitschrift "Volkskraft" und die "sensationelle Neuerscheinung" des Romans "Helga. Der Weg zum Weibe". Tatsächlich geht der Volkskraft-Verlag im Juli 1919 in Liquidation und auch seine Zeitschrift wird eingestellt.
Der Volkskraft-Bund wurde nach Ende des Ersten Weltkriegs von Dr. Bruno Wille gegründet, um eine "umfassende Kulturpolitik" zu betreiben, "vaterländisch und zugleich menschentümlich". Über die Parteigrenzen hinaus strebte er eine "Überwölbung aller Kulturbestrebungen" an, zu denen er neben dem Staatswesen, Wissenschaft, Kunst und Religion auch soziale Fragen wie u.a. Arbeit, Frauenfragen, Volkserziehung und Selbstbildung rechnete. ("Volkskraft", Nr. 1/1919, S. 14) Dieser erzieherisch-pädagogische Ansatz zur Stärkung der deutschen Volkskraft durchzieht auch Henny Porten "Selbstbiographie". Der oder die Autorin dürfte wohl im Umfeld dieses Volkskraft-Bundes zu suchen sein.
Ein nicht gezeichnetes Geleitwort spricht all die "lieben, kleinen, blonden Mädchen" (S. 7) an, die schon mal daran gedacht haben, auch Filmkünstlerin zu werden. Sie sollen bloß nicht glauben, dass dies "so leicht und angenehm sei", wie sie es sich vorstellen. Der "große volkserzieherische Wert" (ebd.) von Portens Biografie liege genau darin, dass sie darauf aufmerksam mache, wie viel regelmäßige ernste und schwere Arbeit neben dem Talent notwendig sei.
Tatsächlich scheint sich das Buch vor allem an die zahlreichen jungen Henny Porten-Bewunderinnen zu richten, um ihnen mit der Schauspielerin auch das "Ideal der deutschen Frau" (S. 5) vorzustellen. Die Porten verkörpere "all die Vorzüge und idealen Eigenschaften [...], die für den Deutschen nun einmal zu der Frau seiner Träume und seiner Sehnsucht gehören" (ebd.). Hierzu zähle auch ihr Los als Kriegerwitwe. Henny Portens Mann, der Darsteller und Regisseur Curt A. Stark, war 1916 gefallen: "Heute stehe ich allein und habe niemanden, mit dem ich meine Lasten gemeinsam tragen kann" (S. 45). Hierzu gehöre aber auch ihr unbedingtes Arbeitsethos: "Besinnungslos arbeiten, nur für den Film leben, nur immer arbeiten. Entweder an sich selbst oder im Atelier" (S. 38). Zwischen ihrer Arbeit und der von anderen arbeitenden Frauen sieht sie keinen Unterschied und lehnt daher auch die Bezeichnung "Diva" ab (S. 46 f).
Henny Porten präsentiert sich als selbstbewusste Frau, die ihre "Mitschwestern" jederzeit darauf hinweisen will, "dass die Frau es ist, die im Leben des einzelnen Mannes, im Leben der Familie, im öffentlichen Leben, im Geschick der Völker, letzten Endes auch im Geschick der Welt, die ausschlaggebende Rolle spielt" (S. 33). In ihren Rollen wolle sie alle positiven weiblichen Eigenschaften zusammenführen und den Frauen zeigen, dass es allein auf sie ankommt, "die Schicksale ihrer Umgebung zu lenken" (S. 33). Denn die Frau sei "in jeder Beziehung zur Führerin geboren" (S. 34).
Auch wenn Henny Porten ihre "Selbstbiographie" wohl nicht selbst verfasst hat, so dürfte sie doch dem anonymen Autor mit biografischen Informationen, Anekdoten und Erlebnissen zugearbeitet haben. Im ersten Kapitel berichtet sie von ihrer musisch geprägten Familie – ihr Vater war der Opernsänger und Filmregisseur Franz Porten –, ihren ersten Kinderrollen und wie sie in wirtschaftlich schweren Zeiten allein den elterlichen Haushalt führte. Die harten Erziehungsmethoden ihrer Eltern hätten sie "vor der Leichtfertigkeit und der Flatterhaftigkeit" (S. 15) bewahrt, die den Beruf der Schauspielerin gefährdeten. Die Leserinnen sollten wissen, dass sie heute dankbar die Hände ihrer Eltern küsst, "deren harte Griffe ich damals ungerecht nannte." (S. 16)
Dann spricht sie die "ungeheure Verantwortung" an, die sie als populäre Schauspielerin trage: "Mit dem künstlerischen und ästhetischen Ausdruck der Gebärde verbindet sich unwillkürlich der Wunsch, durch Haltung, Bewegung und Geste erzieherisch zu wirken" (S. 22). Sie wendet sich gegen das Vorurteil, das Spiel der Filmkünstler sei flacher als das anderer Künstler. Filmschauspieler, die nicht von der Bühne kommen, könnten sich aber leichter durchsetzen als Künstler, die ausschließlich für das Kino arbeiteten. Letztere hätten mit dazu beigetragen, das Kino zu reformieren und als Kunstform zu etablieren. "Und nur, wer von Anfang an ständig darüber nachdachte, was im Film zu bessern sein könnte, wem der Film Lebensaufgabe und die künstlerische Entwicklung des Filmschauspielkunst Ideal war, konnte die Blüte des Films erhoffen, die sich heute zu entfalten beginnt." (S. 24)
Henny Porten berichtet dann von den Gesangsfilmen, die sie mit ihrer Schwester Rosa Porten für die Photophone, wie Oskar Messter um 1907 seine Tonbilder nannte, aufgenommen hat: aus dem Rückblick Bilder von "äußerster Primitivität" (S. 26). Nach dem durchschlagenden Erfolg ihres ersten Spielfilms "Das Liebesglück der Blinden" von 1910 wird sie von der Messter-Film "mit dem phantastischen Gehalt von 250 Mark" (S. 27) engagiert.
Von dem Drama "Der Kuß des Fürsten" von 1912 gibt sie eine ausführliche Inhaltsangabe, um die haarsträubende Unlogik der Handlung zu verdeutlichen. Damals sei der Film ein "Handelsprodukt rücksichtsloser Kaufleute" gewesen, "die naturgemäß nur auf Gewinn sahen und darum auch nur an die niedrigsten Instinkte der Kinotheaterbesucher appellierten" (S. 30). Hier werden die Argumente der Kinoreformer und deren Kampf gegen die "für jeden geistig denkenden Menschen verächtlichen Produkte" (S. 30 f) aufgerufen. In diesem Sinne wendet sich die Porten auch vehement gegen den Film als Propagandamittel. In vielen Fällen habe man unter dem Deckmantel der Kultur "das Hässlichste und Lasciveste gezeigt, was man überhaupt zeigen konnte". Man sei bis an die "Grenze das Anstößigen" (S. 69) gegangen.
In ihren Rollen will Henny Porten den Charakter der Figur "von innen heraus" zum Ausdruck bringen und "die Kunst der Mimik bis in ihre letzten Möglichkeiten erschöpfen" (S. 32), um damit auch erzieherisch zu wirken. Im Gegensatz zu den großen ausländischen Filmen, die fast ausschließlich auf Ausstattung setzten, solle der deutsche Film das Schauspielerische betonen. Nur so könne man beim Publikum einen Eindruck erzielen, "der außer künstlerischer Freude auch ethische und moralische Werte zurücklässt" (S. 35). Als Beispiel führt sie ihren Film "Irrungen" von 1919 an. In fast jedem Film, in dem sie in den letzten Jahren gespielt habe, sei "irgend ein moralischer und ethischer Gedanke verborgen", der den Zuschauer "in wertvollem Sinne" beeinflusse und ihm unbewusst etwas mitgebe, "was seinen Charakter in irgendeiner Weise bereichert" (S. 36). Im Film das Gute zu wollen und "das Publikum auf das Gute hin zu erziehen" (S. 68) sei ihr wichtigstes Anliegen
In ihren Filmen kommt es Henny Porten darauf an, das Schöne herauszustellen: "Kunst muss schön sein" (S. 52) Das betrifft auch Ausstattung und Kostüme. Sie verrät auch, dass sie bei den Aufnahmen gerne zu den Darbietungen einer kleinen Kapelle spiele, wobei die Musik sich am Gehalt der Szene orientiere. "Denn wenn ich ganz in die Gestalt vertieft, die ich darstelle, alle Hemmungen verloren habe und vollständig in der Rolle lebe, dann ist die Musik, die ich in mich aufnehme, das einzige, was meine Nerven in den Rhythmus zwingt, der die darzustellende Gestalt erfüllen soll" (S. 54 f).
Obschon heute zahlreiche Künstler für den Film arbeiteten, hielten es viele Journalisten "für überflüssig, ebenso ernsthaft auf den Film einzugehen wie auf das Theater" (S. 48). Sie beklagt die Abwesenheit einer ernsthaften Filmkritik in den Tageszeitungen und fordert eine ehrliche Bewertung der Leistungen auch der Filmkünstler.
Im letzten Kapitel bekennt sich Henny Porten zu den künstlerischen Möglichkeiten des Films, die sie im Sensationellen und Fantastischen sowie in der Mimik sieht, im Gegensatz zum Theater, das dem Dichterwort verpflichtet sei. Daher würden sich beide auch keine Konkurrenz machen. Wichtig ist ihr, dass alle Künstler sich bewusst sind, "dass auch der Film etwas Künstlerisches ist oder zu etwas Künstlerischem gemacht werden kann" (S. 68). Ihr Ideal und Ziel: Kunst in den Film einzubringen, Film als künstlerisches Erlebnis zu gestalten.
Natürlich lobte die Zeitschrift "Volkskraft" (Nr. 17/1919, S. 11) das in ihrem Verlag erschienene Buch überschwänglich; es gehöre zu den "sensationellsten Büchern". Jeder müsse es kaufen und lesen, denn: "Man möchte doch gern wissen, wer denn das beliebte Hennychen eigentlich im Grunde ihres Wesens ist". Das Buch sei "so harmlos und nett" geschrieben, dass auch Jugendliche es lesen könnten.
In der "Weltbühne" (Nr. 37, 4. September 1919, S. 303) lästerte dagegen Kurt Tucholsky über Henny Porten als "eine Filmkünstlerin mit der Seele eines Seifenplakats". Sie erzähle "ihre kleinen Erlebnisse so hübsch dumm, wie es sich für ihr Publikum geziemt, und man kann ihr nicht böse sein". Zeitgleich mit Henny Portens Buch war auch eine Biografie von Reichswehrminister Gustav Noske mit dem gleichen Titel erschienen. Wie Henny Porten hatte auch Noske die Veröffentlichung als unautorisiert zurückgewiesen. Tucholsky kommentierte diesen eigentümlichen Fall, "dass beide Male beide Biographen die Leben der beiden besser enthüllt haben, als die es selbst zu tun vermocht hätten".
Am 11. Juli 1919 veröffentlichte der "Film-Kurier" (Nr. 31) eine Mitteilung des Rechtsanwalts von Henny Porten: "Sie hatte das Material für eine Selbstbiographie vorbereitet und wird eine solche auch zur Ausführung bringen, doch entspricht das in ihrer Abwesenheit erschienene Buch nicht ihren künstlerischen Absichten. Sie würde zu der vorliegenden Aufmachung des Werkes und der zu seiner Anpreisung betriebenen Reklame niemals ihre Zustimmung gegeben haben". Was die Hintergründe des Erscheinens ihrer "Selbstbiographie" gewesen sein mögen – ihr Einschreiten gegen das Werk verdeutlicht, dass sie alles tat, um als Künstlerin die Deutung über ihre Persona zu behalten. Über ihren Rechtsanwalt erreichte sie, dass das Buch zurückgezogen wurde. Dem stimmte auch der Verlag kleinlaut zu: Er habe sich "durch eine Reihe von Umständen für berechtigt" gehalten, das Buch herauszubringen, ziehe es aber nun zurück, nachdem ihm dargelegt worden sei, "dass das Buch gegen den Willen der Frau Porten in Umlauf gebracht wurde, und dass es ihren künstlerischen und persönlichen Anschauen nicht entspricht".
Die "Neue Kino-Rundschau" aus Wien meldete in ihrer Ausgabe Nr. 124 vom 19. Juli 1919, Henny Porten habe die Veröffentlichung "als übertriebene Lobeserhebungen" (S. 18) verurteilt. Die Schweizer Filmzeitschrift "Kinema" (Nr. 32, 9. August 1919) notierte, dass "diese Selbstbiographie nur eine fiktive ist. Henny Porten lieferte wohl die Einzelheiten; die Verarbeitung des Materials ist aber das Werk eines Anonymus". Trotzdem habe das Buch "volkserzieherischen Wert" (S. 3).
Nachtrag: Die Wiener Wochenschrift "Zappelnde Leinwand" (Nr. 13/1923, S. 11) berichtet noch von einem späteren Rechtsstreit, bei dem der Verlag argumentiert habe, der von Henny Porten vorgelegte Text sei "vollständig unverwertbar" gewesen, da er "in Eile rasch zusammen geschrieben wurde, um den Eindruck der Vertragserfüllung zu erwecken". Portens Anwalt hielt dagegen, dass es nicht auf die Qualität des Textes ankäme, sondern ob er Henny Portens "Fühlen und Denken, sowie ihrer persönlichen Schreibweise entspreche". Das Gericht schloss sich dieser Argumentation an und wies die Klage ab.
Das fünfte Kapitel aus Henny Portens Selbstbiografie erschien unter dem Titel "Die Diva" als Reprint in "Film und Fernsehen", Nr. 6/1987, S. 57 sowie in englischer Übersetzung unter dem Titel "The Diva" in: Anton Kaes, Nicholas Baer, Michael Cowan (Hg.): "The Promise of Cinema. German Film Theory 1907-1933", Oakland, Kalifornien 2016, S. 317-319.
(Jeanpaul Goergen, Juni 2019)
Henny Porten: Wie ich wurde. Selbstbiographie. Berlin: Volkskraft-Verlag GmbH 1919, 69 Seiten, 9 fotografische Tafelabbildungen, illustrierter Schutzumschlag
Traub/Lavies: 822
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