Willy Helwig: Der künstlerische Beirat beim Film (1919; Aufsatz)
Das 1912 erstmalig erschienene "Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Berufe" von Hermann Widmer erlebte bereits 1914 eine Neuausgabe. Die dritte Auflage von 1919 enthält erstmalig auch ein Kapitel über den künstlerischen Beirat beim Film. In einer Vorbemerkung weist Widmer darauf hin, dass der Beruf des künstlerischen Beirats beim Film zwar erst "allerneuesten Datums" (S. 118) sei, seiner Modernität wegen aber auf größtes Interesse stoße. Der Beruf vereinige Elemente des Theatermalers und des Kunstphotographen, vor allem aber setze er "einen durchgebildeten künstlerischen Geschmack" (ebd.) voraus. Die meisten beim Film angestellten künstlerischen Beiräte seien daher von Hause aus bildende Künstler.
Autor des Beitrags über den künstlerischen Beirat beim Film ist der durch seine Zeichnungen für die "Lustigen Blätter" bekannt gewordene Maler und Illustrator Willy Helwig, der um 1918 auch bei einigen Filmen für Bauten und Drehbuch verantwortlich zeichnete.
Gleich zu Beginn stellt Helwig fest, dass es vielleicht richtiger wäre, statt vom "künstlerischen Beirat" vom "Filmarchitekten" (S. 119) zu sprechen. Für diese Tätigkeit seien gute kunsthistorische Kenntnisse sowie perspektivisches Wissen erforderlich. Notwendig sei auch filmtechnisches Verständnis: Der Filmarchitekt müsse etwa wissen, "dass Rot auf dem Film Schwarz wird und dass die blaue Farbe im photographischen Bilde weiß erscheint" (ebd.). Auch sollte er bei der Ausleuchtung der Bauten mithelfen, denn "falsches Ausleuchten kann die schönste Dekoration zunichte machen" (ebd.).
Detailliert beschreibt Helwig das Arbeitsfeld des Filmarchitekten. Drei bis vier Tage vor Beginn der Aufnahmen erhält er ein Exemplar des Drehbuchs und muss daraus die erforderlichen Dekorationen entwickeln. Seine Skizzen bespricht er dann mit dem Regisseur und dem Hauptdarsteller, "deren Wünsche er nach Tunlichkeit zu erfüllen hat" (S. 120).
Anschließend überlegt er mit dem Theatermeister den technischen Bau der Dekorationen sowie eventuell anfallende Neuanfertigungen. Gemeinsamen suchen sie im Kulissenraum die gewünschten Wände heraus. Der Filmarchitekt spürt sodann bei Möbelverleihern, Antiquitätenhändlern, Lampengeschäften und Gardinenlagern weitere für die Szenen benötigten Ausstattungsgegenstände auf.
Beim Aufstellen der Möbel in den Kulissen sei zu berücksichtigen, dass die Kamera stark verzeichne und der Filmarchitekt dementsprechend Tische, Stühle und Schränke arrangieren müsse. "Der Raum muss möglichst tief wirken. Flache Räume wirken schlecht im Film, hierzu kommt bei allzu großer Nähe der Wände, dass ihre Unwirklichkeit zu sehr ins Auge springt" (ebd.). In größeren Ateliers würden gleichzeitig drei bis sechs Dekorationen gebaut und häufig zwei verschiedene Filme zur gleichen Zeit aufgenommen.
Die Gesamtarbeitszeit des Filmarchitekten für einen mittelgroßen Film gibt Helwig mit etwa 14 bis 18 Tage inklusive Nachtarbeit an. "Danach gönnt man dem Beirat meist eine Ruhepause von einer Woche und länger" (ebd.). Das Honorar des Filmarchitekten sei ganz verschieden und richte sich auch nach seinem Können: "Minderwertige Kräfte erhalten 500 bis 800 Mark pro Monat. Bessere Kräfte bis 1500 Mark, während 'Berühmtheiten' bis zu 3000 Mark pro Monat resp. pro Film erhalten" (ebd.).
(Jeanpaul Goergen, April 2019)
Willy Helwig: Der künstlerische Beirat beim Film, in: Hermann Widmer: Das Buch der kunstgewerblichen und künstlerischen Berufe. Praktische Ratschläge für junge Talente. Berlin: Verlag von Georg Siemens 1919, 3. Auflage, S. 119-120