Reinhold Fritz Grosser: Wege zum Film (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Der 1895 geborene Reinhold Fritz Grosser war Schriftsteller und Autor von Romanen, Erzählungen und Essays. Ende der 1910er und in den frühen 1920er Jahren schrieb er auch für die "Illustrierte Kino-Woche". Das Buch "Wege zum Film" war seine erste und einzige Buchveröffentlichung zum Thema Film; anschließend publizierte er Kriminalromane.

"Wege zum Film" gehört zur Gattung der populären und unterhaltenden Filmliteratur. Der Untertitel "Betrachtungen für Jedermann" verweist darauf, dass den Leser weder ein Lehrbuch der Kinematographie noch ein Leitfaden für Filmdarsteller erwartet. "In groben Umrissen" wolle er "die künstlerischen Werte des strebsamen Filmschauspielers veranschaulichen" (S. 5). Auch das Titelbild legt nahe, dass Grosser vor allem kinobegeisterte Leserinnen ansprechen will. Das Buch widmet er "der bekannten und beliebten Künstlerin" (S. 1) Mia May. Ihr signiertes Porträt auf dem Frontispiz ist die einzige Abbildung des Buches.

Grosser stellt eingangs verwundert fest, dass der Film wie selten eine Industrie zuvor eine unerhörte Expansion genommen habe, an die man sich überraschend schnell gewöhnt und die man "ohne allzu großen Rumor" (S. 5.) hingenommen habe. Der Weg zu Theater und Film sei dornenvoll, drei Faktoren für den Erfolg unbedingt erforderlich: "Talent, Geld, Protektion" (S. 7). Allerdings bestehe die Gefahr, dass Gönnerschaft mit Gegenleistungen erkauft werden müsse; manche arrivierte Schauspielerin wisse davon "ein Liedchen zu singen" (S. 8).

Im Kapitel über die Psyche des Schauspielers beruft sich Grosser auf das Buch "Mimik und Gebärdensprache" (1908) von Karl Straup. Jede Wiedergabe eines Ausdrucks müsse "eine natürliche sein, darf nicht gezwungen sein" (S. 13). Die Filmdiva Lu Synd hätte ihm gegenüber diesen Grundsatz als "große edle Linie auf dem Boden der Natürlichkeit" (S. 14) beschrieben. Der Filmschauspieler müsse ständig an seiner Kunst arbeiten und sein mimisches Können trainieren. Darüberhinaus solle er auch sportliche Fähigkeiten besitzen, um seinen Körper gesund zu erhalten sowie um gegebenenfalls halsbrecherische Szenen zu spielen, denn das Publikum sei "sehr anspruchsvoll und sensationslüstern geworden" (S. 17). Grosser bringt diese Entwicklung auf den Punkt: "Das Theater ist für den Geist, der Film für die Nerven geschaffen" (ebd.).

Im umfangreichsten Kapitel stellt Grosser ausgewählte Filmschauspieler vor, um dem Leser ein ungefähres Bild von ihrem unsteten Filmleben zu vermitteln. "Nirgends geht es nämlich verkehrter zu als in der Filmwelt, mit ihren unglaublichen Anschauungen und Gegensätzen, in einer Welt, wo alles drunter und drüber geht, deren Bewohner sich gegenseitig mit den merkwürdigsten Waffen bekämpfen, um zu ihren ehrgeizigen Zielen zu gelangen" (S. 51). Für dieses Kapitel greift er auf seine Aufsätze aus der "Illustrierten Kino-Woche" zurück.

Grosser ist bemüht, die Filmstars als ganz normale Menschen vorzustellen, die ein ihrem Stand angemessenes Leben führen. Henny Porten beschreibt er als "junonische Gestalt, ausgestattet mit allen Reizen eines von der Venus gottbegnadeten Weibes", die "gleichsam die Verkörperung aller edlen Eigenschaften" sei. (S. 25). Ausführlich referiert er anschließend Begegnungen und Gespräche mit Eva Speyer, Mia May, Lu Synd, Mia Cordes und Ludwig Trautmann.

Eva Speyer charakterisiert er als eine "Frau mit idealer Gesinnung, eine echte Künstlerin mit sonnigem Gemüt, heiterem Wesen, die personifizierte Einfachheit. Aus ihr atmet Natürlichkeit, gepaart mit Charakterstärke" (S. 24). Sie sehe sich selbst nicht als "Kleiderschauspielerin" (S. 30) und wende sich gegen den "Modenkult" (S. 31) in den Filmen. Sie gestehe offen ein, dass sie, die von der Bühne kam, die "Schattenkunst" (S. 32) des Films nur wegen der guten Bezahlung ausübe.

Bei Mia May notiert Grosser ihre "außerordentliche Schönheit und ihre mimische Begabung" (S. 26) und führt ihre Rolle in "Die Sünde der Helga Arndt" von 1915/16 an. Sie sei besonders für die "leidenden Ausdrücke" (S. 36) begabt, für "die Verkörperung alles dessen, was die Mimik des Leidens in sich birgt" (ebd.).

Für Grosser stellt Lu Synd eine "eigenartige Schönheit mit den Allüren einer Weltdame" dar; er sieht in ihr gar "das personifizierte Erotische" (S. 27). Sie orientiere sich in ihrem Spiel am Nordländer, der "seiner Anlage und Erziehung entsprechend seine Seelenvorgänge mehr in sich verschließt, auch im Film durch seine verhaltene, seelisch disziplinierte Darstellungskunst am wahrsten und menschlich packendsten wirkt" (S. 40).

Mia Cordes, die sich beim Erscheinen des Buches bereits aus dem Filmgeschäft zurückgezogen hatte, sei "bezaubernd in ihrem Wesen, voll Temperament und Leidenschaft" (S. 25). Grosser beschreibt sie als "geniale Interpretin" (S. 44) dramatischer Rollen. Mit ihrer gegen zahlreiche Widerstände erkämpften Rolle in der Filmposse "Nette Pflanzen!" (1916) habe sie sich einen lang gehegten Wunsch erfüllt.

Dem Sensationsschauspieler Ludwig Trautmann attestiert Grosser eine "große Bescheidenheit" und betont seinen "aufsehenerregenden Wagemut" (S. 26). Trautmann schildert den Beginn seiner Karriere in dem Film "Madeleine" (1912) und seine Zusammenarbeit mit Harry Piel. In seinen Filmen sei ihm keine Sensation zu gefährlich, auch wenn er sich dabei Hand und Fuß breche. Er werde alles daran setzen, "um einen Film handlungsreich zu gestalten und das Interesse des Publikums zu erhöhen" (S. 50).

Anschließend beschäftigt sich Grosser mit den Natur- und Landschaftsfilmen sowie den Reisefilmen. In Fachkreisen sei man sich übereinstimmend bewusst, dass die Zuschauer ihnen im allgemeinen nur "wenig Interesse und geringes Verständnis" (S. 53) entgegenbringen. Das Publikum reagiere durch "unwilliges Murmeln", andere verließen den Kinosaal, wiederum andere fügten sich und ließen "die prachtvollen Bilder stereotyp vorübergleiten" (ebd.). Dabei sei der Reisefilm "unterhaltend und überaus belehrend"; das Publikum entdecke "Städte, Dörfer, Berge und Täler, die es nur vom Hörensagen kennt" (S. 55).

Im Kapitel "Der Tanz im Film" spricht Grosser den Schlangen- und Barfußtanz in "klassischen Filmwerken" an, wobei nicht klar wird, auf welche Filme er sich bezieht. "Wenngleich sie in ihrer Art und Weise, wie die Kunst es erfordert, von eindrucksreicher Handlung, von sinnberauschendem Hergang sind, so fehlt ihnen doch in gewisser Hinsicht das Leben" (S. 58). Gemeint ist das Fehlen der Mimik, die er auch beim Tanz als unumgänglich ansieht. Die bei Ausbruch des Krieges verbotenen Tango und Furlana könnten Gesellschaftsdramen ein besonderes Gepräge verleihen. Solotänze wirkten im Film besonders gut, "eben weil diese darin das Leben figurieren, weil man darin vollkommen den künstlerischen Zweck herausfühlt, gleichsam die wirkungsvollen Momente in sich aufnimmt" (S. 59). Die exotischen Tänze mit ihrem wilden und feurigen Temperament etwa in Wildwestfilmen und in Zigeunerdramen seien von jeher gut aufgenommen worden.

Es folgen Ausführungen über "unsere Feldgrauen und der Film". Das Kino habe sich als das "beste Beruhigungsmittel ihrer aufgepeitschten Nerven" (S. 61) herausgestellt. Die ebenfalls hinter der Front eingesetzten Theater dagegen hätten ihren Zweck nicht erfüllt, da die Soldaten als Folge ihres täglichen Kriegseinsatzes nicht zum Nachdenken aufgelegt seien. Bei einer Filmvorführung bräuchten sie nicht zu denken, "weil alles so leicht fasslich, vollkommen und nichtsdestoweniger schön zusammengefügt" (S. 62) sei.

Im letzten Kapitel berichtet Grosser von einigen besonders intensiven Filmeindrücken und zeichnet zwei Episoden aus dem Sensationsfilm "Doktor Gar el Hama" (DK 1911) und dem Drama "Das Abenteuer der Lady Glane" (1913) nach. Er charakterisiert solche starke Erinnerungen an einzelne Szenen als "unverlierbarer allgemeiner Besitz" (S. 64) und sieht darin einen Beleg für den dauernden Wert des Films.

Der Anhang zu "Wege zum Film" enthält praktische Tipps für Filmfreunde, etwa die Anschriften von Filmschauspielerinnen und Filmschauspielern, jeweils mit der Angabe, ob sie bereits verheiratet sind, ferner Adressen von Regisseuren und Filmproduktionen. Grosser ruft die "zehn Gebote des Kinobesuchers" (S. 10) in Erinnerung und gibt Hinweise auf das Versenden von Autogrammwünschen. Er beklagt, dass zahlreiche Kinofreunde mit "großen Blumensträußen, Fett- und Obstpaketen" (S. 11) die angebeteten Künstler in ihren Privatwohnungen oder im Atelier belästigten. Stattdessen empfiehlt er, auf die Künstler nach Ende der Dreharbeiten vor dem Atelier zu warten: "Dort wirst du Gelegenheit haben, Vergleiche zwischen ihm und seiner Person im Film zu ziehen. Willst du ihn sprechen, so schreibe ihm und bitte ihn um eine kurze Unterredung. Antwortet er nicht, so hat er keine Zeit oder legt keinen Wert darauf, dich kennen zu lernen" (ebd.).

(Jeanpaul Goergen, Juni 2019)

Reinhold Fritz Grosser: Wege zum Film. Betrachtungen für Jedermann. Berlin: Filmkunst-Verlag 1919, 70, 12 Seiten
Traub/Lavies: 610