Oskar Planck: Gegen das Kinounwesen! (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Deckblatt

Der evangelische Pfarrer Oskar Planck (1888-1970) war einer der Geschäftsführer des Evangelischen Volksbundes in Württemberg, der 1919 auch die Schrift "Gegen das Kinounwesen!" herausgab. Bei dem 1911 gegründeten Volksbund handelte es sich um eine Laienorganisation, die sich mit Diskussionen, Vorträgen und Veröffentlichungen zu moralischen und religiösen Fragen zu Wort meldete. Ein wichtiges Ziel war die Bekämpfung der Auswüchse in Literatur ("Schundliteratur"), Theater und Film.

Die nur 32 Seiten starke Broschüre verstand sich laut Untertitel als "Materialsammlung zur Kinoreform". Sie dokumentiert vor allem Presseartikel, die sich kritisch bis ablehnend zu dem neuen Medium äußern; sie sollten als Argumentationshilfe in öffentlichen Versammlungen dienen. In solchen Volksversammlungen sollten alle "anständig denkenden und gesund empfindenden Volksgenossen" (S. 3) über Konfessions- und Parteigrenzen hinweg ermutigt werden, den Kampf gegen den "Vampir" (S. 4) Kino aufzunehmen.

Oskar Planck verantwortete die Zusammenstellung der Dokumente, die sich aus dem Kinoarchiv des Evangelischen Volksbundes speisten, und kommentierte die Auswahl. Die Broschüre gliedert sich in die Abschnitte "Das Kino wie es ist", "Das Kino wie es sein könnte" sowie "Was ist zu tun?".

Die Klagen über die Auswüchse des Kinos, so Planck, würden "immer lauter", ohne dass wesentliches dagegen unternommen würde. Durch die Aufhebung der Filmzensur im Gefolge der Novemberrevolution sei es zu "einer wilden Spekulation" gekommen. Denn "das Kinokapital konnte sich diesmal mit dem durch die allgemeinen Zustände gesteigerten Hang zur Sensation, Rohheit und Ausschweifungen verbinden und hat alle ungesunden Triebe in unserem Volk maßlos aufgepeitscht." (S. 3) Durch den Wegfall der Filmzensur seien die Bürger "an die kapitalistische Spekulation verraten worden." (S. 15) Plancks kulturkritische Haltung dem Kino gegenüber, die man ohne weiteres als kinofeindlich bezeichnen kann, verbindet sich nicht nur mit Zivilisationskritik, sondern auch mit einer wilden antikapitalistischen Rhetorik, hinter der man Antisemitismus vermuten darf.

In immer neuen Formulierungen wettert Planck gegen das "Kinokapital" und die "Genusssucht des Publikums". Die Kinodramen seien nichts anderes als "gefilmte Schundliteratur". (S. 5) Insbesondere die Aufklärungsfilme wirkten "unglaublich beschmutzend auf das Phantasie- und Gedankenleben" (S. 7) der Kinogänger. Nicht nur Wildwestdramen würden "verrohend" (S. 9) wirken. Jeder Lehrer wisse, dass die Jugend durch häufigen Kinobesuch "flatterhaft, träumerisch und gedankenlos" (S. 10) werde. Auch "maßlos übertriebene und verallgemeinerte Gesellschaftsbilder" (S. 12) wirkten verhetzend. In Deutschland spielten gegenwärtig 2.281 Kinos, davon 92 in Württemberg. Sie erreichten täglich etwa 10.000 Zuschauer, "vor allem unreife Menschen zwischen 17 und 20"; es müsse daher jedermann klar sein, "dass das Kino einer der hauptsächlichsten Seuchenherde ist, an denen sich unser Volk täglich aufs neue ansteckt und vergiftet." (S. 13)

Das eigentliche Gebiet des Kinos seien dagegen Naturaufnahmen: "Tiere in Freiheit, Menschen an der Arbeit, Volksszenen, historische Ereignisse und berühmte Männer, wasserdurchströmte, windbewegte Landschaften und menschenerfüllte Städte". Ferner mikroskopische Aufnahmen, Zeitraffer- und Zeitlupenaufnahmen sowie "lebende Wetterkarten" – also im weitesten Sinne Motive und Themen des ab den 1920er Jahren florierenden populärwissenschaftlichen Kulturfilms. Planck erwähnt aber auch Vorschläge für futuristische Filme, die "durch 'fließende Linien' und 'quellende Farben' kaleidoskopartige Bilder" hervorrufen wollen. (S. 14)

Auch die Art der Vorführung müsse veredelt werden, etwa durch die Kombination von Lauf- und Stehbild in Verbindung mit dem Vortrag eines "sachkundigen, gemütvollen Erzählers." Das Kino wäre dann eine "Stätte edler und eigenartiger Belehrung, Unterhaltung und Erholung." (S. 15)

Im Kapitel "Was ist zu tun?" nennt Planck als Hauptstrategie das Aufrütteln der öffentlichen Meinung, "damit alle anständigen Leute gegen diesen Schmutz und Schund des Kinos aufbegehren." Als "wirkliche Notwehr" (S. 15) stellt er die Aktion in einem Münchner Kino dar, bei der das Publikum den Abbruch der Vorführung des Films "Das Gelübde der Keuschheit" erzwang und ihn zerstörte. Auf diese Aktion in München und Störungen in anderen Städten reagierte die Produktionsfirma noch 1919 mit der Herausgabe einer Streit- und Kampfschrift, in der sie das Anliegen des Films verteidigte. Allerdings sei mit Gegenwehr der Kinointeressenten zu rechnen, denn "auf dieser Seite sind die Massen, das Geld und die brutalen Instinkte!" (S. 17) Die Kinospekulanten würden auch gegen Pläne der Reichsregierung zur Eindämmung der Kinoauswüchse ins Feld ziehen.

Viel gewonnen wäre bereits, so Planck, wenn die Vorschriften über den Kinobesuch Jugendlicher strikt umgesetzt würden. Er lobt Württemberg, das noch über ein eigenes Lichtspielgesetz verfügte und weiterhin eine Filmzensur praktizierte, und dokumentiert interessante Zahlen aus dem "Deutschen Volksblatt" (19.10.1919). Demzufolge hätten die württembergischen Behörden "in den letzten fünf Jahren 172.000 Filme von annähernd 5 Millionen Meter Länge überprüft und aus diesen 1.279 unsittliche und rohe Szenen ausgeschnitten! Ganz verboten wurden 599 Filme mit 169.000 Meter Länge." (S. 21)

Aber diese Zensur allein reiche nicht aus; die gesamte Filmkunst müsse reformiert werden, denn es sei "gerade die ganze aufreizende, verlogene Atmosphäre des Kinos" (S. 23), die zu bekämpfen sei. Abschließend positioniert sich Planck zu Gesetzesvorschlägen zur Konzessionierung bzw. zur Sozialisierung der Kinos. Erstere müsse die Persönlichkeit des Kinobetreibers berücksichtigen, letztere laufe darauf hinaus, die Kinos von geschäftlichen Unternehmen in Bildungs- und Erholungsstätten umzuwandeln. Da diese Vorschläge noch umstritten seien, komme es nicht darauf an, sich auf diesen oder jenen festzulegen, sondern in den Volksversammlungen "im Volk den Willen zur Reform wachzurufen." (S. 27)

Ein Anhang dokumentiert Auszüge aus dem Württembergischen Lichtspielgesetz vom 31. März 1914 sowie aus der Satzung des am 1. April 1918 gegründeten Bilderbühnenbundes Deutscher Städte e.V..

Das Büchlein enthält zudem noch eine Werbung für die im gleichen Tenor gehaltene Schrift "Zwei Kino-Konferenzen" (1919) von Anna Schieber. 

(Jeanpaul Goergen, Januar 2021)

Oskar Planck: Gegen das Kinounwesen! Materialsammlung zur Kinoreform. Hg.: Evangelischer Volksbund für Württemberg. Stuttgart: J.F. Steinkopf 1919, 32 Seiten
Traub/Lavies: 104, 155
dnb: http://d-nb.info/574312439