Curt Curti: Der neue Kinostern (1919)

Buchcover
Quelle: Jeanpaul Goergen
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"Heitere Filmgeschichten" verspricht das preiswerte Büchlein von Curt Curti, einem Pseudonym des Dresdner Unterhaltungsschriftstellers Curt Thiergen. Weitere Beiträge stammen von Fritz Camphausen, Franz Curt Elzheim, M. Tipp und Arno Feld, die alle keine großen Spuren in der Literaturgeschichte hinterlassen haben. Tatsächlich handelt es sich um Texte ohne künstlerischen Anspruch; zudem drehen sich nur einige auch um Film und Kino. In ihnen erscheint der Kinematograph als eine Technik, die es ermöglich, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch bei den Dreharbeiten eine täuschend echte neue Wirklichkeit herzustellen sowie unerwünschtes soziales Verhalten zwecks Läuterung zu dokumentieren.

Die Titelgeschichte hat es auf den Buchumschlug geschafft: Ein wohlbeleibter Mann ist an einen Stuhl gefesselt, während zwei Diebe seinen Tresor leerräumen. Bei dem Ärmsten handelt sich um den kinobegeisterten Rentier und Villenbesitzer Theobald Vielig. Er hatte in einem Berliner Kientopp gesehen, dass man durch das Auslegen von Fußeisen Einbrecher und Diebe abschrecken kann und seinen Garten entsprechend ausgestattet. Tatsächlich verfängt sich eines Nachts ein ungebetener Besucher in einem der Eisen. Vielig ist überzeugt: der Kientopp habe ihn gerettet und sei daher "sozusagen ein Segen der Menschheit" (S. 5). Tags darauf bekommt er überraschend Besuch von einem Filmteam, das in seinem Garten eine Diebeshumoreske drehen möchte. Begeistert willigt er ein und übernimmt auch gerne die Hauptrolle für den erkrankten Filmstar. Dazu muss er sich aber, ebenso wie seine Haushälterin, fesseln lassen: "Vielig erklärte ihr auf ihr Sträuben, dass sie anscheinend keine Vorstellung hätte von dem gewaltigen Einfluss guter Filme auf die Allgemeinbildung und dieser Film würde alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Vielig, der neue Kino-Star, würde binnen kurzem in allen Zeitungen der Welt, auf allen Kinoplakaten stehen. Und das schwere Geld, das man verdienen würde!" (S. 7) Nachdem beide geknebelt waren, machten sich die angeblichen Filmleute daran, seelenruhig den Tresor leer zu räumen; ihre Kamera entpuppte sich als eine alte Kaffeeröstmaschine! "Vielig hasst seit jener Zeit die Kinos mit aller Kraft seiner Seele." (S. 10) Curtis Burleske war zuvor bereits in den "Innsbrucker Nachrichten" (13.6.1914)  erschienen; Mehrfachverwertungen dieser Art waren üblich und sicherten den Autoren ein gewisses Einkommen.

In der Geschichte "Unter den Indianern" gerät ein Bauer in Dreharbeiten zu einem Wild-West-Film. Er hält die Inszenierung für echt und will das an den Marterpfahl gefesselte weiße Mädchen befreien, wird aber überwältigt und ebenfalls an den Pfahl gebunden. Schließlich kommt der Regisseur dazu, klärt die Situation auf und entlohnt den Bauer für seine filmwirksame Mitwirkung mit 20 Mark. Auch in "Die Gastrolle" spielt ein ahnungsloser Mann einen vor dem wütenden Ehemann flüchtenden Liebhaber und merkt dabei gar nicht, dass alles nur Kientopp ist. In der Sporthumoreske "Auf heimlichen Posten" entlarvt der Kinematograph die unbegründete Eifersucht einer misstrauischen Gattin, geriet sie doch ohne ihr Wissen in Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm, der ihren Sabotageversuch an der angeblichen Rivalin aufnahm. Seit diesem Erlebnis benahm sie sich stets, "als ob ein heimlich aufgestellter Kinematograph ihre Handlungen fixierte." (S. 53)

(Jeanpaul Goergen, Juli 2022)

Curt Curti: Der neue Kinostern und andere heitere Filmgeschichten. Leipzig: Sternbücher Verlag Koch & Co. [1919] (25 Pfennig-Reihe; Stern Bücher; 2), 59 Seiten
Traub/Lavies: 3014
dnb: http://d-nb.info/579057887