Egon Jacobsohn: Kinoschulen (1919)

kinoschulen-titel-1919_389_0.jpg
Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

In Aufrufen u.a. in der "LichtBildBühne" bat Egon Jacobsohn, Redakteur bei der "Berliner Morgenpost", darum, ihm ausführliches Tatsachenmaterial gegen und  auch für die Kinoschulen und ihre Leiter zukommen zu lassen. Ziel sei eine preiswerte Flugschrift, "die das Publikum vor den Filmschulen warnen und über die Dummenfängerei dieser Unternehmer aufklären will." (LichtBildBühne, Nr. 18, 3. Mai 1919) Tatsächlich finden sich in der zeitgenössischen Filmfachpresse immer wieder Meldungen über unseriöse Filmschulen.

Die Flugschrift "Kinoschulen" von Egon Jacobsohn erschien im Selbstverlag des Verbands deutscher Filmautoren; das Vorwort ist auf den 27. Juni 1919 datiert. Sie enthält umfangreiches "Tatsachenmaterial" gegen das immer dreister werdende Treiben der selbsternannten Kinoschulen: "Der Laie macht sich keinen Begriff, mit welchem Geschick hier Geld erschwindelt wird und unerfahrene Menschen unglücklich gemacht werden." (S. 1) Jacobsohn zitiert dann ausführlich aus seinem Artikel aus der "LichtBildBühne" von Anfang 1915 über das Filmschauspieler-Proletariat, in dem er erfolglos dazu aufgerufen hatte, "die Minderwertigkeit und betrügerische Absicht der sogenannten Kinoschulen" (S. 3) zu bekämpfen. Nun hoffe er, durch diese Broschüre eine Reihe von Lesern davon abzuhalten, den betrügerischen Schulen auf den Leim zu gehen.

Die Mär von den riesigen Filmgagen und sowie die Hoffnung, ein berühmter Star zu werden, hätten "vielen sonst ganz braven, jungen Leuten den Kopf verwirrt" und zu einer "Kinoschulen-Epidemie" geführt. Viele dieser Schulen versprächen eine Ausbildung zum Filmschauspieler in nicht weniger als drei Monaten sowie ein anschließendes Engagement bei einer Filmproduktion. Ein neuer Trick dieser "Dummenfänger" (S. 5) sei die Gründung von Filmfirmen, die die Absolventen engagieren würden, allerdings meist nur auf dem Papier existierten. Die einzige Kinolehranstalt, die wirklich einer rellen Filmproduktion angeschlossen war – das Kinotechnikum von Matilde Wieder  – habe sich nur kurze Zeit halten können, weil sie versuchte, "mit einwandfreien Mitteln zu arbeiten." (S. 6)

Die Absolventen der Kinoschulen würden nur um ihre Ersparnisse gebracht und könnten höchstens auf ein gelegentliches Engagement als Statist hoffen; schließlich würden sie das Heer der oft nur zu Hungerlöhnen beschäftigten Komparsen auffüllen. Der beste Weg zum Kinoschauspieler sei immer noch eine "gute Bühnenschule" wie etwa die Reinhard-Schule in Berlin. Freilich sei es notwendig, endlich "eine vorbildliche Lehranstalt für das Filmschauspiel" zu errichten, die "aus der Industrie kommt und für die Industrie arbeitet." (S. 7)

Das Kapitel "Was schrieb die Kinopresse?" (S. 8-13) versammelt kritische Berichte aus den Filmfachzeitschriften zum Thema "Kinoschulen". Kritisiert wird auch das Buch "Wie werde ich Kinoschauspielerin, Kinoschauspieler" (1919), das in reißerischen Anzeigen "Gold und Ruhm" beim Film verspreche. Ausführlich zitiert Jacobsohn Passagen aus dem Buch "Wie komme ich zum Film?" (1919) von Max Mack  über die nur schlecht getarnten Bauernfängereien der Filmschulen.

Das Kapitel "Das Publikum hat das Wort!" (S. 14-23) druckt kommentarlos zahlreiche Briefe von Geschädigten über die Gaunereien der sogenannten Filmschulen ab. "Ansichten aus der Filmindustrie" (S. 23-28) versammelt schließlich prominente Stimmen zum Thema Ausbildung. Max Mack plädiert für Einzelunterricht durch eine ausgewiesene Fachkraft, während Lotte Neumann den Umweg über eine Bühnenausbildung empfiehlt. Asta Nielsen zufolge soll eine gute Kinoschule auch Sprechunterricht anbieten, da man bei der Aufnahme wirklich jene Worte sprechen sollte, die man auch auf der Bühne oder im richtigen Leben anwendet. Um im Film wirken zu können, müsse man Bühnenerfahrung mitbringen. Pola Negri verweist auf ein "angeborenes mimisches Talent" (S. 26) und für Richard Oswald kommt es auf die Persönlichkeit an; die beste Schule für den Filmschauspieler sei der Film selbst.

Der Filmkritiker der Zeitschrift "Sport im Bild" empfiehlt die Flugschrift all jenen, "die sich nicht von anderen Warnungen abhalten lassen. Schließlich müssten die darin vorgebrachten Tatsachen auch dem größten Optimisten zu denken geben." (Nr. 4, 1920, S. 126)

Der Journalist und Autor Egon Jacobsohn (1895-1969) war 1919 Mitbegründer des Film-Presse-Verbands und gab zwischen 1920 und 1923 die Zeitschrift "Film-Hölle. Unabhängige Blätter für und gegen den Film" heraus. 1934 emigrierte er nach Großbritannien, wo er sich Egon Jameson nannte.

Jeanpaul Goergen (Januar 2021)

Egon Jacobsohn: Kinoschulen. Mit Beiträgen von Max Mack, Lotte Neumann, Pola Negri, Richard Oswald und vielen anderen. o.O. [Berlin], Geschäftsstelle des Verbandes deutscher Filmautoren 1919, 28 Seiten
Traub/Lavies: 514
dnb: http://d-nb.info/574312412