Franz H. Schönhuber: Keine Filmzensur? (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Deckblatt

Am 1. April 1918 wurde in Stettin der Bilderbühnenbund deutscher Städte e.V. als eine Errungenschaft der praktischen Kinoreform gegründet. Ziel war es, in Stadt- und Landgemeinden rein kulturell ausgerichtete sogenannte Musterlichtspielbühnen einzurichten, um gute Filme zu zeigen, aber auch um als Großabnehmer die Produktion von Kultur- und Lehrfilmen anzuregen und so eine Veredelung auch der Spielfilme zu erreichen. Zwar wuchs der Verein rasch an, aber nur an wenigen Orten gelang es tatsächlich, ein städtisches Kino (Bilderbühne) als festes Reformkino zu etablieren. Größeren Erfolg hatte der Verein mit der Durchführung von Schulvorführungen. Auch konnte er ein zentrales Schulfilmarchiv einrichten. Hinter dieser bildungspfleglichen Initiative standen kulturkonservative Kinoreformer um den Stettiner Oberbürgermeister Friedrich Ackermann und den Büchereidirektor Erwin Ackerknecht, ebenfalls aus Stettin.

Im Auftrag des Bilderbühnenbunds deutscher Städte legte der Münchener Bezirks-Oberlehrer Franz H. Schönhuber 1919 die achtseitige unpaginierte Denkschrift "Keine Filmzensur?" vor, in der er die "Wiedereinführung einer strengen Filmzensur" forderte.
Die Novemberrevolution hatte die Zensur und damit auch die Filmzensur abgeschafft; allerdings konnten Filme weiterhin polizeilich überprüft werden. Schönhuber zitiert eingangs die Weimarer Reichsverfassung, die Zensurbeschränkungen für Filme offen ließ: "Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden." Nach heftigen Debatten führte das am 29. Mai 1920 erlassene Reichslichtspielgesetz die Filmzensur wieder ein.

In der anderthalb Jahre dauernden, praktisch zensurfreien Zeit entstanden zahlreiche sogenannte Aufklärungs- und Sittenfilme, die vor allem wegen ihrer sexualisierten Werbung von den konservativen Kinoreformern heftig bekämpft wurden und ihr Hauptargument für eine Wiedereinführung der Filmzensur bildeten. Hier setzt die Denkschrift von Franz H. Schönhuber an. Er begründet seine Forderung auch mit der nach Kriegsende einsetzenden allgemeinen Lockerung der Sitten und der Zunahme von Prostitution und Geschlechtskrankheiten, die in Verbindung mit den psychischen Folgen der Kriegsniederlage zu einer Entkräftigung des deutschen Volkes geführt habe.

Zwar sei Zensur überall dort von Übel, wo künstlerische Interessen betroffen sind. Allerdings sei das Kino bisher den Nachweis schuldig geblieben, dass es sich "um Kunst im eigentlichen Sinne" handele. Schönhuber belegt diese Auffassung mit Aussagen einiger "geistig hochstehender Männer Deutschlands" wie den Schriftstellern Hermann Kienzl, Ludwig Thoma und Benno Rüttenauer.

Nach der Aufhebung der Zensur habe ein Teil der Filmproduzenten alle "Rücksicht auf kulturelle Interessen" fallen gelassen. Die Filme, die sie auf den Markt brächten, reichten aus, "um in ein paar Jahren unser Volk in eine Horde von verseuchten Hetären und verrohten Lüstlingen" zu verwandeln. "Man spekuliert auf zwei der niedersten Triebe: die Brutalität und die Geilheit."

Als Beleg zitiert Schönhuber schlüpfrig-sexualisierte Filmtitel aus der Fachpresse. Zwar konzediert er, dass einige Filme besser sein mögen als ihre Titel. "Wer möchte aber im Ernst bestreiten, dass sämtliche Titel an den Grenzen des Krankhaften, des Überreizten, des Untermenschlichen herumtasten und Impulse zu wecken suchen, die um der Zukunft unseres Volkes willen nur eine Behandlung erfahren dürfen: kräftigste Unterdrückung."

Anschließend kritisiert er die reißerische Beschreibungen der Spielfilme "Göttin, Dirne und Weib", "Aus eines Mannes Mädchenjahren", "Die Siebzehnjährigen", "Seine Beichte", "Die Pest in Florenz" sowie zu dem Dokumentarfilm "Der Boxkampf zwischen Johnson und Jeffries" (USA 1911), ein vor dem Krieg von der Zensur verbotener Film, der nun wieder aufgeführt wurde.

Ausführlich zitiert Schönhuber einen eigenen, allerdings undatierten Zeitungsbeitrag über "Opium" von Robert Reinert und "Die Prostitution" von Richard Oswald. Antisemitische Schriften werden nach 1933 seine drastischen Beschreibungen nur allzu gerne aufgreifen.

Schönhuber rückt die sogenannten Aufklärungsfilme in eine unmissverständliche Nähe zur jugendlichen Prostitution, der Ausbreitung der Syphilis sowie der Tatsache, "dass wir allenthalben einer Verfrühung, einer Überhitzung, einer Entartung des Sexuallebens begegnen, endlich: dass wir ein zerschlagenes, zertretenes, entkräftetes Volk sind." Er plädiert für eine gesunde, kräftige, also natürliche, aber auch gebändigte Sinnlichkeit. Ziel solle eine "Erziehung zu gesunden, kräftigen (nicht vor der Zeit verbrauchten!) Lenden" sein, "wenn unser Volk die geraubte Kraft aus sich selber wieder erzeugen soll". Ein Mittel dazu, so Schönhuber abschließend, sei die "Wiedereinführung einer strengen Filmzensur".

Die Zeitschrift "Bildungspflege. Monatsschrift für die gesamten außerschulischen Bildungsmittel" – unter den Herausgebern war auch der Kinoreformer Erwin Ackerknecht – veröffentlichte in Heft 7 vom 1. April 1920 eine Zuschrift des Bilderbühnenbunds deutscher Städte, der ihre Schrift "Keine Zensur!" jedem ans Herz legte, der an der "sittlichen Gesundung unseres Volkes" (S. 227) interessiert sei.

(Jeanpaul Goergen, April 2019)

Franz H. Schönhuber: Keine Filmzensur? Eine Denkschrift für den "Bühnenbilderbund Deutscher Städte". München: Selbstverlag 1919, unpag. [7 Seiten]
Traub/Lavies: 2065