Alfred Brie: Filmzauber. Hinter den Kulissen der Filmwelt (1919)

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Quelle: Jeanpaul Goergen
Buchcover

Das von Alfred Brie herausgegebene Büchlein "Filmzauber" ist der erste Band der Reihe "Illustrierter Taschen-Humor". Er kostete 30 Pfennige und gruppierte Amüsantes und Lustiges aus der Filmwelt; die Zeichnungen (u.a. von Walter Trier und Heinrich Zille) und Texte waren zuvor bereits in der humoristischen Zeitschrift "Lustige Blätter" erschienen. Trotz seines Altherrenhumors und den größtenteils dünnen Witzen hat das Taschenbuch einen gewissen Erkenntniswert für die Filmgeschichte. So macht sich Gustav Hochstetter in dem Gedicht "Film-Programm" darüber lustig, dass das Kino Lustbarkeitssteuer zahlen muss, während es am laufenden Band Katastrophen, Gräuel und sonstige Grausamkeiten zeigt. Das Gedicht ist auch eine der wenigen Quellen, die bezeugen, dass die Wochenschau meist ohne Musikbegleitung lief: Erst danach "furchtbar und schaurig, erhob sich Kapellen-Gequiek" (S. 2).

Viele Witze sind sexualisiert und spielen pikant mit dem erotisierten Kinodunkel. So gibt eine 16jährige Sissi S. vom Kurfürstendamm freimütig zu Protokoll: "Das Kino ist der Konditorei schon deswegen vorzuziehen, weil sich in ihm die Herren viel weniger gesellschaftliche Zurückhaltung auferlegen." Denn die Dunkelheit gehöre im Kino "doch gewissermaßen zum Programm" (S. 8). Eine Zeichnung mit Kussszenen auf der Leinwand und entsprechenden Szenen im Publikum wird als "Der 'belehrende' Film" vorgestellt. Das Kino solle man nicht, wie im Reichstag geschehen, als Gefahr für das Volkswohl, sondern viel eher als "Propagandamittel zur Hebung der Volkszahl" ansehen (S. 33).

Auch die Filmzensur wird auf die Schippe genommen. Ein von Leonard [Robert L. Leonard/Leonhard] gezeichneter Schutzmann zensiert Abenteuer- und Sensationsfilme; vor einer pikanten Auskleideszene darf das schützende Rouleau jedoch keineswegs zu früh heruntergelassen werden (S. 24 f).

Auch die häufig falsch geschriebenen Zwischentitel fallen den Zeitgenossen auf. In "Fragen an den Kientopp" heißt es: "Warum sind manche 'Aufschriften' in gutem Deutsch abgefaßt? Die anderen wirken doch viel amüsanter?". Im Kino werden immer noch Getränke ausgeschenkt, denn eine weitere, offenkundig berechtigte Frage lautet: "Warum ist das Bier so schlecht?" (S. 12).

Dass das Kino-Publikum um 1919 keineswegs so still ist wie heute, verdeutlicht Hochstetter in einem als "Film-Seufzer" bezeichneten Gedicht. Während er ständig Probleme habe, der Handlung zu folgen, wüssten alle anderen um ihn herum Bescheid und teilten dies auch lautstark mit: "Sie wissen, warum man den Grafen bespitzelt / Warum die Dame den Glatzenmann kitzelt / Und sie sagen, des sicheren Blickes froh: / 'Die Gräfin ist nich dot; die tut bloß so'" (S. 47). Der Band enthält aber auch einige dunkle Zwischentöne. In Hochstetters "Ballade vom Filmschauspieler" fällt der eingezogene Schauspieler an der Front, während in den heimatlichen Kinos "die Menge fröhlich lacht und endlose Stürme des Beifalls toben" (S. 29).

Mit dem "Filmtipper" charakterisiert der auch als Filmregisseur hervorgetretene Karikaturist und Schriftsteller Edmund Edel den "Typ des Jahrhunderts, der seinen Zeitgenossen die Chronik ihres Lebens projiziert". Der Filmtipper sei der "weltenbezwingende lebendige Kurbelkasten, der Beobachter jenseits von Gut und Böse, dessen Auge durch ein gläsernes Objektiv schaut, dessen Beine auf den Stelzen des Stativs laufen, dessen Seele eine einzige, niemals abreißende Filmbandrolle ist" (S. 18). Edels Beschreibung nimmt die berühmte Fotomontage von Egon Erwin Kisch als "rasender Reporter" vorweg, mit der Umbo (Otto Umbehr) den Schriftsteller mit den Attributen der Moderne wie Lautsprecher, Fotoapparat, Schreibmaschine, Auto und Flugzeug ausstattete.

Der am 26. August 1870 geborene humoristische Schriftsteller Alfred Brie wird am 9. Dezember 1942 in Theresienstadt ermordet. Dort stirbt am 26. Juli 1944 auch Gustav Hochstetter, Schriftsteller und Redakteur der "Lustigen Blätter".

(Jeanpaul Goergen; Dezember 2018)

Alfred Brie: Filmzauber. Hinter den Kulissen der Filmwelt. Verlag der Lustigen Blätter (Dr. Eysler & Co.) GmbH [1919], 47 Seiten, zahlreiche Schwarz-Weiß-Illustrationen, farbig illustrierter Deckeltitel (= Illustrierter Taschen-Humor; 1)
Traub/Lavies: 211
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