Go, Trabi, Go - DDR Vergangenheit, Wende und Nachwende in deutschen Kinofilmen zwischen 1990 und 2005
von Ralf Schenk, 2005
Auf die Frage, wo der große, wahrhaftige, historisch gerechte und philosophisch grundierte "Wenderoman" denn bliebe, antwortete der Schriftsteller Christoph Hein, das interessiere ihn nicht; außerdem sei ihm, aus ganz praktischen Gründen, eine "Wendejacke" sowieso viel lieber. Auch im deutschen Kino wartet man seit 1990 vergebens auf den definitiven "Wendefilm", der die Geschichte von Aufstieg und Fall des Halb-Landes DDR, vom missratenen Versuch, eine Utopie lebendig werden zu lassen, in zwei mitreißende Kinostunden packt. Um den vierzig Jahren von 1949 bis 1989 gerecht zu werden, wären Hoffnungen und hochfliegende Träume ebenso zu beachten wie historische Vor- und Zwischenspiele, globale Abhängigkeiten, Liebe, Hass und Zorn. In einem einzigen Kinostück vermutlich nicht zu machen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der allumfassende "Wendefilm" niemals zu sehen sein wird...
Verdächtigungen, Verletzungen und Verbrechen
"Der Verdacht" (1991)
Zur neudeutschen Gegenwart
Erst in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre änderte sich das Bild. Nicht nur diverse Medien, auch das deutsche Kino näherte sich der untergegangenen DDR mit sanfteren Blicken und einer beginnenden Verklärung. Das hatte vermutlich mit der zunehmend härteren Realität zu tun, denen sich auch die Ostdeutschen im vereinigten Lande ausgesetzt sahen. Das Kino hatte diese Härten durchaus gespiegelt: Wurde in dem Lustspiel "Go, Trabi, Go" (Regie: Peter Timm, 1990) beziehungsweise dessen Fortsetzung "Das war der wilde Osten" (Regie: Wolfgang Büld, Reinhard Klooss, 1992) noch der ungetrübte Spaß des Ex-DDRlers am endlich erlaubten Reisen durch die Welt vorgeführt, so thematisierten andere Filme über den deutschen Osten bald auch existentielle Traumata, wie Arbeitsplatzverluste ("Herzsprung", Regie: Helke Misselwitz, 1992; "Bis zum Horizont und weiter", Regie: Peter Kahane, 1998; "Wege in die Nacht", Regie: Andreas Kleinert, 1999), soziale Degradierung ("Verlorene Landschaft", Regie: Andreas Kleinert, 1992; "Burning Life", Regie: Peter Welz, 1994; "Nachtgestalten", Regie: Andreas Dresen, 1999; "Berlin is in Germany", Regie: Hannes Stöhr, 2001) oder ein zunehmend entbehrungsreiches Dasein ("Engelchen", Regie: Helke Misselwitz, 1996; "Lichter", Regie: Hans-Christian Schmid, 2003; "Farland", Regie: Michael Klier, 2004). Mit diesen geballt tragischen Tönen zur neudeutschen Gegenwart korrespondierten plötzlich heiter gelöste Erinnerungen an die DDR: ein Phänomen, das besonders durch Leander Haußmanns "Sonnenallee" (1999) befördert wurde, in dem die Hauptfigur ähnlich wie in der Rühmannschen "Die Feuerzangenbowle" (1944) an Jugendstreiche zurückdenkt und aus der Dämlichkeit von Lehrern, Volkspolizisten und anderen "führenden Genossen" einen erheblichen Lustgewinn zieht. Hinter dem Publikumserfolg der "Sonnenallee" (übrigens in Ost und West!) ging leider ein fast zeitgleich gestarteter Film unter, der weniger auf Klamottenhaftes und Nostalgisches denn auf Groteskes und Absurdes setzte: Sebastian Petersons "Helden wie wir" (1999). Hier gelang es einem naiven Opportunisten und subalternen Stasimitarbeiter, sich zum Erfinder des Mauerfalls zu stilisieren. Sehr viel mehr auf der Welle DDR-nostalgischer Filme schwamm zuletzt "Kleinruppin Forever" (Regie: Carsten Fiebeler, 2004), der trotz eines im Nachspann ausdrücklich benannten "historischen Beraters" eher zu einer peinlichen Ansammlung von Fehlern und Klischees geriet.
Eine Chance deutsch-deutscher Reflexion?
Zum am meisten gepriesenen Film über die DDR und die "Wende" avancierte 2003 Wolfgang Beckers Tragikomödie "Good bye, Lenin!" Der bestechende Grundeinfall der "X-Filme"-Produktion bestand darin, dass einer treuen DDR-Bürgerin, die vor der "Wende" ins Koma fällt und erst danach wieder aufwacht, von ihrem Sohn und einigen seiner Freunde vorgegaukelt wird, dass die DDR noch bestehe. Später zeigt der Film, wie die Realität in das aus Liebe gefälschte Bild dringt und was dabei mit den Beteiligten geschieht. Ein großer Stoff! Leider wurde er unnötig beschädigt, indem ans Licht kommt, dass die Heldin sich einst, nach der Flucht ihres Ehemannes, ernsthaft mit dem Gedanken trug, aus der DDR auszureisen. Mit dieser inhaltlichen Volte verkleinerte Becker seine Figur, degradierte deren tragische Dimension. So erwies sich auch "Good bye, Lenin!" letztlich nicht als jener grandiose "Wendefilm", der er hätte werden können. Auch Anfang 2005 sind wieder einige Kinostoffe über die Geschichte der DDR und deren bis in die Gegenwart wirkende Ausstrahlung in Arbeit. Leander Haußmann und sein "Sonnenallee"-Autor Thomas Brussig drehen die Militärgroteske "NVA".
Florian Henckel von Donnersmarck inszeniert "Das Leben der Anderen", einen Film über die von Stasispitzeln durchsetzte Kulturszene im Ost-Berlin der 1980er Jahre. Und Dominik Graf setzt sich, nach einem Drehbuch von Michael Klier, in "Der rote Kakadu" mit jungen Jazzfans auseinander, die unter dem Ulbricht-Regime verfolgt und geknechtet wurden. Was im Blick auf die DDR und ihre Folgen allerdings seit geraumer Zeit fehlt, sind Spielfilme wichtiger einstiger DEFA-Regisseure. Egon Günther, Rainer Simon, Roland Gräf, Lothar Warneke, Evelyn Schmidt, Jörg Foth, Herwig Kipping konnten seit langem keinen ihrer Stoffe realisieren. Wird sich das deutsche Kino vorwerfen lassen müssen, gerade diese Stimmen zum Schweigen gezwungen und also eine Chance deutsch-deutscher Reflexion und Annäherung vertan zu haben?