Mädchen, Mädchen: Ernsthaft, widerständig und verletzlich – die aufregenden jungen Frauen des deutschen Films

Quelle: Schramm Film Koerner & Weber, DIF Foto: Christian Schulz © 2005 Schramm Film
Sabine Timoteo, Julia Hummer (v.l.) in "Gespenster" (2004/2005)
 

von Martina Knoben, 2006

Der Rummel ist groß um die jungen deutschen Schauspielstars, nicht erst seit Julia Jentschs "Sophie Scholl" und der Nominierung des Films für einen Oscar. Dass das deutsche Kino Erfolge sammelt wie lange nicht mehr, liegt vor allem auch an der fast unüberschaubar großen Riege hervorragender Darsteller. Und gerade der junge deutsche Film überrascht immer wieder mit neuen markanten Gesichtern. Zuletzt war es Sandra Hüller, die nachdrücklich auf sich aufmerksam machte und nach ihrem Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale und dem Kinostart des Films von Hans-Christian Schmid als "der Star aus "Requiem"" gefeiert wird. Der Wirbel, wie gesagt, ist enorm. Dabei wollen gerade die talentiertesten und erfolgreichsten unter den deutschen Nachwuchsdarstellerinnen dem Bild des Stars so gar nicht entsprechen.

 

Quelle: X Verleih, DIF
Sandra Hüller in "Requiem" (2004-2006)
 

Sandra Hüller zum Beispiel verleiht der unter Epilepsie leidenden Michaela, die sie in ihrem Kinodebüt spielt, eine Ernsthaftigkeit und Bodenständigkeit, die auch die 28-jährige Schauspielerin ausstrahlt. Ihren so überraschend wirkenden Erfolg hat sie sich durch eine Theaterausbildung erarbeitet, die man nur klassisch nennen kann: Ernst-Busch-Schauspielschule in Berlin, Bühnenarbeit in Jena und Basel, Nachwuchspreis von "Theater heute" lauten die Stationen ihrer Karriere. Dazu kommt eine irritierende, vibrierende Präsenz vor der Kamera, die Schmids Exorzismus-Geschichte eine ins Magische, Jenseitige verweisende Ebene gibt.

Quelle: X Verleih, DIF © Jürgen Olczyk
Johanna Gastdorf, Julia Jentsch (v.l.) in "Sophie Scholl - Die letzten Tage" (2004)
 

Auch Julia Jentsch, Jahrgang 1978, ist Absolventin der renommierten Schauspielschule Ernst Busch; danach ging sie zu den Münchner Kammerspielen. Auf sie trifft der Begriff des Stars noch am ehesten zu, Jentsch aber scheint regelrecht Angst vor dem Hype um ihre Person zu haben. In ihrem Spiel ist sie die vielleicht Zurückhaltendste von allen der derzeit so gefeierten deutschen Jungschauspielerinnen. Gerade dieses Zurückgenommene, Uneitle, so gar nicht Artifizielle macht ihre Sophie Scholl zu einem solchen Ereignis.

Quelle: Wüste Film, DIF
Julia Hummer, Nic Romm in "Northern Star" (2002/2003)
 

Die Liste aufregender junger Darstellerinnen lässt sich leicht fortsetzten. Mit Julia Hummer etwa, auch so ein (Anti-)Star des deutschen Kinos. Die 26-Jährige, die nie eine Schauspielschule besucht hat, sondern als 17-Jährige auf der Straße entdeckt wurde von einem Fotografen des "Jetzt"-Magazins, kultiviert geradezu ihr Nicht-Star-Sein, betont immer wieder, dass sie vor allem Musikerin sei und sieht in ihren Rollen aus wie das geheimnisvolle Mädchen von gegenüber. Ein Widerspruch? Nicht für sie, nicht für die Kindfrauen, die sie mit muffeliger Verschlossenheit immer wieder spielt. Ihre jugendlich unnahbare Ausstrahlung hat Christian Petzold bislang am besten nutzen können, in "Die innere Sicherheit" und "Gespenster". Dass Julia Hummer so selten besetzt wird in deutschen Filmen, erzählt weniger über sie als über die Regisseure, die mit dem Widerständigen und Fremden, der Radikalität, die sie ausstrahlt, nicht allzu viel anfangen können.

Quelle: X Verleih/Warner, DIF
Laura Tonke in "Farland" (2004)
 

Ähnliches gilt für Laura Tonke, Jahrgang 1974, die 16-jährig in Michael Kliers "Ostkreuz" debütierte, wie Hummer keine Schauspielschule besuchen wollte und sich immer wieder für eigenwillige Projekte von jungen Regisseuren oder Autorenfilmern entschieden hat. Sie spielte unter anderem in Tom Tykwers "Winterschläfer", beeindruckte als Gudrun Ensslin in "Baader"; zuletzt arbeitete sie wieder mit Michael Klier zusammen in "Farland". Auch sie erscheint mädchenhaft - der faszinierenden Mischung aus Unschuld, Rebellion, Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein hat R.P. Kahl in seinem Film "Mädchen am Sonntag" nachgespürt, in dem er neben Laura Tonke auch Katharina Schüttler, Nicolette Krebitz und Inga Birkenfeld porträtiert.

Quelle: Neue Visionen/Independent Partners, DIF © Independent Partners
Katharina Schüttler in "Mädchen am Sonntag" (2005)
 

 

Da ist ein Mut zum Risiko bei den jungen Darstellerinnen, der beeindruckt und diese Schauspielerinnengeneration deutlich unterscheidet von den nett um Gleichberechtigung bittenden Mädels der deutschen Beziehungskomödie. Katharina Schüttler hat weder sich noch ihre Zuschauer geschont mit der Darstellung der ausrastenden, sich vollkommen entblößenden "Sophiiiie!". In "Mädchen am Sonntag" erzählt sie, wie sehr ihr trotz des Kritikerlobes die Rolle in Michael Hofmanns Film geschadet habe. Widerstand im historischen Kontext ist auf der Leinwand schon o.k. So schamlos schmerzgepeinigt, so extrem wie diese Sophie aber wollen viele Casting-Agenten die Mädchen von heute dann doch nicht sehen.

Quelle: Zephirfilm, DIF
Lavinia Wilson, Fabian Hinrichs in "Schussangst" (2002/2003)
 

 

Mit ähnlich schwierigen Charakteren sind auch Lavinia Wilson und Jule Böwe aufgefallen. Wilson hat in "Julietta", einer modernen Marquise von O.-Geschichte, und in "Schussangst" von Dito Tsintsadze Opfer von sexuellem Missbrauch gespielt. Ihre aufregende Präsenz konnte die fragile, melancholische Schöne jedoch vor allem in Thomas Durchschlags "Allein" unter Beweis stellen, in der Rolle der selbstzerstörerischen, zwischen Depression und manischer Partylaune hin- und hergerissenen Maria. Ihre Sensibilität und ihr präzises Spiel machen eine Figur lebendig, die wie eine Aufzählung von psychischen Defekten hätte wirken können. Die Filme, in denen diese jungen Darstellerinnen spielen, müssen oft von ihnen getragen, buchstäblich geschultert werden.

Quelle: Jetfilm, DIF
Jule Böwe in "Katze im Sack" (2005)
 

Zutiefst traurig, kühl und verschlossen wirken die Figuren, die Böwe verkörpert hat, in Florian Schwarz" "Katze im Sack" oder "Close" von Marcus Lenz. Eine trotzige Verweigerung legt sie ihnen in den Blick und die Stimme - dieses Sich-Verweigern, dem Mittelmaß und der Anpassung, verbindet ihre Figuren mit Sandra Hüllers Michaela, die nicht - oder nicht nur - Exorzismus-Opfer ist; mit Julia Hummers muffeligen Jugendlichen oder auch Julia Jentschs Widerstandskämpferin. Von einer "Reinheit des Denkens und Fühlens, in der Härte und Sanftheit miteinander gehen können", hat die "Süddeutsche Zeitung" über Sophie Scholl geschrieben, eine Formulierung, die auf viele der extremen Mädchen zutrifft, die derzeit den jungen deutschen Film dominieren. Dabei kommen sie ganz ohne große Gesten aus, spielen beinahe minimalistisch. Das haben viele von ihnen auf der Bühne gelernt, an die Julia Jentsch und Sandra Hüller, aber auch Katharina Schüttler und Jule Böwe immer wieder zurückkehren. Vielleicht hat das mit der Ernsthaftigkeit dieser Schauspielerinnen zu tun oder mit den Filmprojekten, die man ihnen anbietet. Viel zu selten können sie mit diesen Mädchen mithalten.