Thomas Mauch
Thomas Mauch wurde am 4. April 1937 in Heidenheim an der Brenz geboren. Nach dem Abschluss der Waldorfschule absolvierte er ab 1954 eine Ausbildung als Fotograf. Von seinen film- und fotografiebegeisterten Eltern wurde er in seinem Berufswunsch gestärkt und gefördert. 1957 trat er in München eine Stelle als Volontär bei der Gesellschaft für Bildende Filme an, die vor allem Dokumentar- und Industriefilme produzierte. Dort lernte er Edgar Reitz kennen, als dessen Kamera-Assistent er unter anderem in Südamerika den Industriefilm "Baumwolle" drehte. Später war er in gleicher Funktion an Reitz' Experimentalfilm "Geschwindigkeit - Kino eins" (1963) beteiligt.
Ab 1958 arbeitete Mauch freischaffend als Kamera-Assistent, ab 1963 als freier Kameramann. Für das politische TV-Magazin "Weltspiegel" realisierte er gemeinsam mit Werner R. Gallé mehrere Beiträge in Ostasien. 1963 wurde er Dozent am Institut für Filmgestaltung der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Dort drehte er 1965 auch die ersten Spielfilme der Dozenten Alexander Kluge ("Abschied von gestern") und Edgar Reitz ("Mahlzeiten"). Zugleich entwickelten sich während der Ulmer Zeit die ersten Ideen von filmischer Improvisation (Storyboards lehnte er seit jeher konsequent ab) und dem Einsatz von Handkameras: Eine Ästhetik und Techniken, die sowohl den Neuen Deutschen Film als auch den dokumentarischen Stil von Mauchs Gesamtwerk nachhaltig prägen sollten.
Tatsächlich avancierte Thomas Mauch im weiteren Verlauf der 1960er- und 70er Jahre zu einem der bedeutendsten und stilbildenden Kameramänner des deutschen Films. Eine zentrale Rolle in seiner Filmografie spielen die langjährigen Zusammenarbeiten mit Alexander Kluge, mit dem er insgesamt 18 Mal drehte, und Werner Herzog, mit dem er zehn Filme drehte. Für Herzog stand er unter anderem bei Klassikern wie "Auch Zwerge haben klein angefangen" (1970), "Stroszek" (1977) und "Fitzcarraldo" (1982) hinter der Kamera. Für "Aguirre, der Zorn Gottes" (1972) wurde er mit dem Deutschen Filmpreis und in den USA mit dem Kamerapreis der National Society of Film Critics ausgezeichnet. Zu seinen Arbeiten mit Kluge gehören Klassiker wie "Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos" (1968), "Gelegenheitsarbeit einer Sklavin" (1973), "Die Patriotin" (1979) und "Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (1985).
Aber auch Werke anderer Regisseure wurden durch Mauchs Bildgestaltung geprägt. In Jan Nemecs "Die Verwandlung" (1975), einer TV-Adaption der berühmten Kafka-Erzählung, spielte Mauchs Ästhetik praktisch die Hauptrolle, da der Film komplett aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur erzählt wird. Ab Mitte der 1970er Jahre verband ihn eine private Partnerschaft (und die 1977 geborene Tochter) mit der Regisseurin Helma Sanders-Brahms, deren Filme "Unter dem Pflaster ist der Strand" (1975), "Shirins Hochzeit" (1976), "Heinrich" (1977) und "Die Berührte" (1981) er fotografierte.
Neben den zahlreichen Filmen, die Mauch für andere Regisseure gestaltete, realisierte er zwischen 1970 und 1989 mehrere Spielfilme (meist für das ZDF-Format "Das kleine Fernsehspiel"), die er selbst schrieb und inszenierte (und bei denen er natürlich auch die Kamera führte). Ein wiederkehrendes Thema war dabei das von politischen Haltungen geprägte Handeln im Alltag: "Eine antiautoritäre Frau?" (1970) erzählte von einer "linken" Hausfrau, die ihre Putzfrau zum Klassenkampf gegen sich selbst animieren will; in "Die Sache mit dem Gärtner" (1974) nahm er eine kriminalistische Lappalie zwischen einem Professor und seinem diebischen Gärtner als Ausgangspunkt für ein Porträt pedantisch-konservativer Verhaltensmuster. Andere Filme analysierten Beziehungsgeflechte: "Feinde fürs Leben" (1974) mit Mathieu Carrière und Gila von Weitershausen schilderte ein explosives Dreiecksverhältnis; in "Glück hat Flügel" (1975) versucht ein Mann sein "Glück" zu verdoppeln, indem er alle positiven Erlebnisse mit seiner Ehefrau bei einer zweiten Frau zu wiederholen versucht.
Ende der 1970er Jahre entstanden in Italien und Deutschland zwei sehr lange Filme, in denen der Regisseur Werner Schroeter mit Mauchs Unterstützung den opernhaft theatralischen Stil seiner frühen Underground-Produktionen mit Themen der Sozialreportage verband: "Neapolitanische Geschwister" (1978) und "Palermo oder Wolfsburg" (1978), bei dem Mauch auch als Produzent fungierte. Beide Filme wurden hoch gelobt und vielfach preisgekrönt; für "Neapolitanische Geschwister" gewann Mauch seinen zweiten Deutschen Filmpreis.
Weitere wichtige Filme in Mauchs Schaffen sind Vadim Glownas Hamburger Milieustudie "Desperado City" (1981), Pia Frankenbergs Debüt-Spielfilm "Nicht nichts ohne dich" (1985), Peter Fleischmanns langwierig produziertes Science-Fiction-Epos "Es ist nicht leicht ein Gott zu sein" (1987-89) und Christian Wagners Charakterporträt "Wallers letzter Gang" (1988), für dessen Bildgestaltung er zum dritten Mal mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
Gemeinsam mit Klaus Bueb, mit dem er zuvor bereits mehrere Kurzfilme gedreht hatte, inszenierte Mauch seinen ersten Kino-Spielfilm: "Adrian und die Römer" (1988), eine Komödie über einen 41-jährigen Stadtneurotiker, der sich in die Tochter seiner Jugendliebe verliebt. Im Jahr darauf startete Mauchs Hamburger Hinterhof-Geschichte "Maria von den Sternen" (Drehbuch: Eva Hiller) in den Kinos, war jedoch kein kommerzieller Erfolg.
Wenngleich Mauch sich nicht auf einen durchgehenden visuellen Stil festlegen lässt, sind in seiner Filmografie doch einige wiederkehrende Gestaltungsmittel erkennbar. So sind einige seiner Filme von klar konturiertem, fast schon hartem Schwarz-Weiß geprägt, beispielsweise "Abschied von Gestern", "Lebenszeichen" und "Unter dem Pflaster ist der Strand". Vereinzelt wurde Mauch auch der "Landschaftsmaler" unter den deutschen Kameraleuten genannt, ein Titel, der angesichts seiner Arbeiten mit Werner Herzog (vor allem "Aguirre" und "Fitzcarraldo"), aber auch von "Wallers letzter Gang" durchaus passend erscheint.
1991 erhielt Mauch beim Hessischen Filmpreis den Kamerapreis für seine Arbeit bei Eva Hillers Dokumentarfilm "Unsichtbare Tage oder Die Legende von den weißen Krokodilen". Mit Thomas Mitscherlich drehte er das Nachkriegsdrama "Die Denunziantin" (1993), mit Jan Schütte die tragikomische, mehrfach preisgekrönte Migrationsgeschichte "Auf Wiedersehen Amerika" (DE/PL 1994). Als internationale Koproduktion entstand auch der viel beachtete Dokumentarfilm "Orson Welles: The One-Man Band" (DE/FR/CH 1995). Auch bei einigen Serien zeichnete Mauch für die Kamera verantwortlich, so etwa bei mehreren Folgen von "Die Kommissarin" (1996-2000) und "Ein Fall für zwei" (2000-2001).
Bei "Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende" (2004) arbeitete er nach rund 35 Jahren erstmals wieder mit Edgar Reitz zusammen.
Darüber hinaus arbeitete Mauch in den weiteren 2000er Jahren wieder verstärkt fürs Kino. So bei Jutta Brückners "Hitlerkantate" (2005) und bei dem Kinderfilm "Mozart in China" (2008). Mit Christian Wagner drehte er das ausgezeichnete Drama "Stille Sehnsucht – Warchild" (2006) und den modernen Heimatfilm "Hopfensommer" (2011, TV) mit Elmar Wepper in der Hauptrolle. Der beim Filmfestival Venedig 2018 uraufgeführte Experimentalfilm "Happy Lamento" markierte nach 27-jähriger Pause eine neuerliche Zusammenarbeit mit seinem einstigen Weggefährten Alexander Kluge.
Thomas Mauch gehört aber nicht nur zu den prägendsten Bildgestaltern des Neuen Deutschen Films und des deutschen Films überhaupt, sondern prägte auch eine ganze Generation von Kameramännern: Seine Assistenten Dietrich Lohmann, Martin Schäfer, Frank Brühne, Jörg Schmidt-Reitwein, Werner Lüring, Rainer Klausmann und Judith Kaufmann avancierten selbst zu bedeutenden Bildgestaltern. Als Gastdozent lehrte Mauch unter anderem bei Helmut Herbst an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach.
Im Frühjahr 2019 wurde Thomas Mauch für sein Lebenswerk mit dem Marburger Kamerapreis geehrt. Er lebt in Berlin.