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Alle Fotos (21)Biografie
Edgar Reitz, geboren am 1. November 1932 in Morbach im Hunsrück als Sohn eines Uhrmachers, sammelte bereits während der Schulzeit, unterstützt von seinem Deutschlehrer, erste Erfahrungen in den Bereichen Schauspielerei und Theaterregie. Nach dem Abitur im Jahr 1952 zog er nach München, wo er Theaterwissenschaft, Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik studierte. Er begann, Gedichte und Erzählungen zu schreiben, gab die literarische Zeitschrift "Spuren" heraus, nahm Schauspielunterricht und beteiligte sich am Studententheater. Ab 1953 unternahm Reitz erste eigene Filmversuche, häufig gemeinsam mit Bernhard Dörries. Ab Mitte der 50er Jahre arbeitete er als Assistent bei Kulturfilmen von Willy Zielke mit. Von 1962 bis 1965 war er bei der Industrie- und Werbefilmfirma Insel-Film Leiter der Abteilung für Entwicklung und Experiment. In eigener Regie inszenierte er diverse Kurz- und Experimentalfilme.
An der Seite der Filmemacher Herbert Vesely, Haro Senft und Franz Josef Spieker war Reitz Mitglied der Gruppe "Doc 59", die das "Oberhausener Manifest" vorbereitete. 1962 wurde das wegweisende Dokument bei den Oberhausener Kurzfilmtagen vorgestellt: Unter dem Motto "Papas Kino ist tot" gab die Gruppe eine Pressekonferenz und forderte einen "neuen deutschen Spielfilm" – die Geburtsstunde des deutschen Autorenfilms. Ein Jahr später gehörte Reitz zu den Mitbegründern der Abteilung Film an der Hochschule für Gestaltung in Ulm (ab 1964: Institut für Filmgestaltung). Acht Jahre lang war er hier auch als Dozent in den Fächern Regie und Kameratheorie tätig. Bei Alexander Kluges "Abschied von gestern" (1966) führte Reitz die Kamera. 1966 gründete er die "Edgar Reitz Filmproduktion GmbH" und inszenierte seinen ersten Spielfilm "Mahlzeiten". Auf dem Filmfestival von Venedig wurde der Film 1967 als "Bestes Erstlingswerk" ausgezeichnet.
Da seine nächsten Spielfilme – "Cardillac" (1968), nach E.T.A. Hoffmann, und "Das goldene Ding" (1971; Regie mit Ula Stöckl, Alf Brustellin, Nikos Perakis) – keinen Verleih fanden, suchte Reitz nach Alternativen zum herkömmlichen Kinobetrieb. Er experimentierte mit 8-mm-Film, wie etwa bei den 23 Episoden von "Geschichten vom Kübelkind" (1969–71; Regie und Buch mit Stöckl), und betrieb ein Kneipenkino, in dem die Zuschauer ihr Programm aus einem "Menü" zusammenstellen konnten. Als Autor veröffentlichte Reitz zahlreiche Texte über Filmtheorie, Filmästhetik und die Zukunft des Kinos.
1974 realisierte er zusammen mit Alexander Kluge den essayistischen Pseudo-Dokumentarfilm "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod". Mitte der siebziger Jahre begann Reitz auch damit, literarische Fassungen seiner Filme zu veröffentlichen. 1978 war er mit einer Episode an dem Omnibusfilm "Deutschland im Herbst" beteiligt. Gleichzeitig finanzierte er sich mit Dokumentar- und Lehrfilmen. Daneben inszenierte Reitz immer wieder "konventionelle" Spielfilme wie "Die Reise nach Wien" (1973) und "Stunde Null" (1977). "Der Schneider von Ulm" (1978) wurde mit Produktionskosten von drei Millionen Mark ein verheerender Misserfolg.
Ein überragender Erfolg und ein mediales Großereignis wurde indes die hoch gelobte elfteilige TV-Serie "Heimat" (1981–84), die im Fernsehen, auf Festivals sowie in Kinos lief und eine öffentliche Debatte über den umstrittenen "Heimat"-Begriff auslöste. "Heimat" ist eine deutsche Chronik des 20. Jahrhunderts, im Spiegel eines kleinen Hunsrück-Dorfes gesehen. Die ambitionierte Folgeproduktion "Die zweite Heimat" (1988–92), ein 13-teiliges und 25 Stunden langes Opus über Münchner Studenten in den 1960er Jahren, konnte zwar nicht ganz an den kommerziellen Erfolg des Vorläufers anknüpfen, stieß aber auf großes Kritikerlob. Zu den Bewunderern des "Heimat"-Zyklus zählte unter anderen Stanley Kubrick, der Reitz 1998 als Synchronregisseur für seinen letzten Film "Eyes Wide Shut" auswählte.
Im Rahmen einer vom British Film Institute initiierten Reihe über die Filmgeschichte verschiedener Länder inszenierte Reitz zum hundertjährigen Geburtstag des Kinos den Beitrag über Deutschland: "Die Nacht der Regisseure" (1995) ist ein Kaleidoskop deutscher Filmgeschichte, betrachtet aus der Sicht eines Autorenfilmers. Bei dieser Arbeit bediente Reitz sich erstmals auch digitaler Technik. 1995 gehörte Edgar Reitz erneut zu den Gründern eines Filminstituts, des Karlsruher "Europäischen Instituts des Kinofilms (EIKK)". Im selben Jahr wurde er als Professor für Film an die Staatliche Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe berufen.
2004 stellte Reitz mit "Heimat 3 - Chronik einer Zeitenwende" den mit Spannung erwarteten vorläufigen Abschluss seines epischen "Heimat"-Zyklus vor, der zwischen 1989 und dem Jahr 2000 spielt. Ab 2005 betrieb Reitz mit seinem Sohn Christian Reitz die ERF Edgar Reitz Filmproduktions GmbH in München. Die "Heimat" ließ Reitz derweil nicht los: Mit dem Projekt "Heimat-Fragmente - Die Frauen", mit bislang nicht verwendetem Material der Reihe, stellte er bei den Filmfestspielen von Venedig 2006 eine Art Epilog zur Heimat-Trilogie vor.
Danach realisierte er mit "Ortswechsel" ein weiteres, gleichermaßen ambitioniertes wie eigenwilliges Filmprojekt: Ein experimenteller Stummfilm mit Live-Orchesterbegleitung als musikalisch-filmischer Laborversuch, hervorgegangen aus Diskussionen zwischen Reitz und dem Komponisten Johannes Kalitzke über die Frage, wie die beiden Kunstgattungen Musik und Film sich zueinander verhalten. Das Werk wurde 2007 bei den Musiktagen in Donaueschingen uraufgeführt.
Im Frühjahr 2012 begann Edgar Reitz nach einer langen Vorbereitungsphase mit den Dreharbeiten zu einem neuen Kinospielfilm: "Die andere Heimat" spielt wie "Heimat" im fiktiven Dorf Schabbach im Hunsrück, allerdings Mitte des 19. Jahrhunderts, und erzählt von zwei Brüdern aus der Familie Simon, die angesichts der allgegenwärtigen Not und Verzweiflung vor die Frage gestellt werden, ob sie ihrer Heimat den Rücken kehren und wie so viele andere Deutsche in jenen Jahren nach Südamerika emigrieren sollen. "Die andere Heimat - Chronik einer Sehnsucht" feierte seine Uraufführung bei den Filmfestspielen in Venedig 2013 und startete im Oktober 2013 in den deutschen Kinos. Das Vier-Stunden-Epos wurde neben weiteren Auszeichnungen mit dem Deutschen Filmpreis 2014 für den besten Film ausgezeichnet. Reitz erhielt außerdem Preise für die beste Regie und das beste Drehbuch, welches er zusammen mit Gert Heidenreich verfasste.
Im Jahr 2016 wurde Reitz mit gleich zwei Ehrenpreisen ausgezeichnet: Mit dem Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst und beim Deutschen Regiepreis 'Metropolis' mit dem Ehrenpreis der VG Bildkunst für sein Lebenswerk. Im Herbst 2017 drehte die Regisseurin Anna Hepp ein filmisches Porträt von Edgar Reitz: "800 Mal Einsam - Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz" feierte im Herbst 2019, beim Film Festival von Venedig Premiere. Der deutsche Kinostart folgte im März 2020.
2022 veröffentlichte Reitz unter dem Titel "Filmzeit, Lebenszeit" im Rowohlt-Verlag seine Erinnerungen.