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Alle Fotos (7)Biografie
Otto Wernicke wurde am 30. September 1893 als Sohn eines Brauereidirektors in Osterode am Harz geboren; er wuchs in Bitterfeld und danach in Leipzig auf. Dort absolvierte er eine Buchhändlerlehre und nahm nebenher Schauspielunterricht am Schauspielhaus. Im Jahr 1909, mit 16 Jahren, stand er am Erfurter Augenkeller-Theater erstmals auf der Bühne. Bis 1913 wirkte er dort in verschiedenen Inszenierungen mit, gefolgt von einem Engagement in Eisenach. Von 1915 bis 1918 musste Wernicke im Ersten Weltkrieg Militärdienst leisten. Nach seiner Entlassung bekam er ein Engagement am Bonner Stadttheater, gefolgt vom Bayerischen Staatstheater in München (1921-37). Ab 1929 gab er auch Gastspiele in Berlin, vor allem bei Gustaf Gründgens am Deutschen Theater.
Während seiner Zeit in München übernahm Wernicke erste Stummfilmrollen, zum Beispiel als Kunde in dem Karl-Valentin/Liesl-Karlstadt-Klassiker "Die Mysterien eines Frisiersalons" (1923) und als erpresster Bankier in Franz Seitz seniors "Das Parfüm der Mrs. Worrington" (1925).
Der Durchbruch als Filmschauspieler gelang Otto Wernicke 1931 mit seiner ersten Tonfilmrolle in Fritz Langs Meisterwerk "M": Er verkörperte den handfesten Kommissar Lohmann, der stilbildend für einen neuen Typ von Kriminalkommissar wurde – einer, der seine Fälle nicht (wie damals im Kino üblich) durch Intuition löst, sondern durch zähe Recherchearbeit. Den Kommissar Lohmann verkörperte er wenig später noch einmal, in Langs "Das Testament des Dr. Mabuse" (1933). Auch sonst spielte Wernicke in den nächsten Jahren meist Beamte, Angestellte, Handwerker und mittlere Militärs. Der Filmkritiker Herbert Ihering schrieb später über ihn: "Wernicke gab, ein echter Volksschauspieler, diese Menschen so, wie der einfache Mann im Zuschauerraum sich haben will und selbst zu sein glaubt."
1934 wurde Wernicke ans Deutsche Theater Berlin engagiert (bis 1941), danach von Gustaf Gründgens ans Berliner Staatstheater (1941-44). Da er mit einer Jüdin verheiratet war, konnte er im Nazi-Regime nur mit einer Sondergenehmigung der Reichskulturkammer arbeiten (manche Quellen nennen Gustaf Gründgens als einflussreichen Fürsprecher). Im Kino sah man ihn meist in tragenden Nebenrollen. Zu seinen bekanntesten Rollen der 1930er Jahre gehören ein Millionär in "Peter Voss, der Millionendieb" (1932), ein Agent in dem Liebesfilm "Das Schloss in Flandern" (1936), ein Gastwirt in dem Liebesdrama "Katzensteg" (1937) und ein Tischlermeister (und Vater der weiblichen Hauptfigur) in der Operettenadaption "Wie einst im Mai" (1938). Luis Trenker besetzte ihn in der Verwechslungskomödie "Liebesbriefe aus dem Engadin" (1938) als schlitzohrigen Schweizer Hotelier, Géza von Bolváry gab ihm in dem Historienfilm "Maria Ilona" (1939) die Rolle des österreichischen Fürsten Windisch-Graetz. Daneben blieb Wernicke auch als Bühnenschauspieler aktiv. Im Jahr 1939 erhielt er die volle Mitgliedschaft in der Reichstheaterkammer.
Neben vermeintlich harmlosen Unterhaltungsfilmen spielte Wernicke während der NS-Zeit allerdings auch in einschlägigen Propagandafilmen mit. So etwa als Vater der Titelfigur in Franz Seitz seniors "S.A. Mann Brand" (1933), als Oberst in Karl Ritters "Unternehmen Michael" (1937) und als volkstümlicher Schwiegervater in "Der Stammbaum des Dr. Pistorius" (1939). In "Ohm Krüger" (1941) verkörperte er einen brutalen Kommandanten in einem fiktiven britischen Konzentrationslager. Im August 1944, der Endphase des Zweiten Weltkriegs, nahm Joseph Goebbels Wernicke in die "Gottbegnadeten-Liste" der Schauspieler auf, die er für seine Propagandafilme brauchte – was für Wernicke die Freistellung vom aktiven Kriegseinsatz bedeutete. Wenig später sah man ihn in Veit Harlans (bereits vorher gedrehtem) Durchhaltefilm "Kolberg" (1945) als Bauer, der Haus und Hof anzündet, damit sein Besitz nicht in Feindeshand fällt.
Trotz solcher Rollen konnte Wernicke nach dem Kriegsende praktisch nahtlos weiterarbeiten (Carl Zuckmayer zählt ihn in seinem für die Alliierten erstellten "Geheimreport" zu den dezidierten "Nicht-Nationalsozialisten"). Er ging nach München, wo er ein Engagement am Bayerischen Staatsschauspiel erhielt. Ab 1947 wirkte er wieder in zahlreichen Filmen mit. Er hatte eine Nebenrolle in dem "Heimkehrer"-Drama "Zwischen gestern und morgen" (1947) und spielte einen Chefarzt in dem semidokumentarischen Spielfilm "Lang ist der Weg" (1948), dem ersten deutschen Nachkriegsfilm, der das Schicksal von Holocaust-Opfern bzw. -Überlebenden in den Mittelpunkt stellte (Regisseur Marek Goldstein war selbst ein Holocaust-Überlebender). Weiter war Wernicke als General in der Heinz-Rühmann-Komödie "Der Herr vom andern Stern" (1948) und als reicher Ehemann in dem Hans-Albers-Krimi "Vom Teufel gejagt" (1950) zu sehen. 1950 inszenierte er den Kriminalfilm "Wer fuhr den grauen Ford?", basierend auf einem tatsächlichen Postraub aus dem Jahr 1949; er spielte darin auch den ermittelnden Kommissar – eine seiner raren Hauptrollen. "Wer fuhr den grauen Ford?" blieb jedoch seine einzige Regiearbeit.
Im April 1951 erlitt Wernicke während einer "Blaubart"-Inszenierung in München einen schweren Bühnenunfall, in dessen Folge er Lähmungserscheinungen hatte und zeitweise sein Sprachvermögen verlor. Über mehrere Jahre konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben. Erst ab 1955 übernahm er wieder kleinere Filmrollen, etwa als Schuhmacher in Helmut Käutners "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) mit Heinz Rühmann, und als Hausmeister in "Liebe auf krummen Beinen" (1959) mit Walter Giller und Sonja Ziemann. Sein letzter Auftritt vor der Kamera war ein kleiner Part in der TV-Serie "Curd Jürgens erzählt" (Folge 11: "Ein Herr von der Polizei") im Jahr 1963. Daneben war Wernicke als Gastdozent an der Münchner Otto-Falkenberg-Schauspielschule tätig.
Am 7. November 1965 starb Otto Wernicke in München. Seine Tochter Annemarie Wernicke war ebenfalls Schauspielerin und vorwiegend auf der Bühne aktiv.