Lil Dagover
Lil Dagover wurde unter dem Namen Martha Seubert am 30. September 1887 in Madiun im heutigen Indonesien (damals: Madioen, Oost-Java, Niederländisch-Indien) als Tochter eines Forstbeamten in holländischen Diensten geboren. In jungen Jahren lebte sie mit ihren Eltern in Frankreich, England und der Schweiz; nach dem Tod ihrer Mutter wuchs sie ab 1897 bei Verwandten in Deutschland auf.
Ihr Debüt vor der Kamera gab sie 1913 als Serpentintänzerin in Weimar. Im gleichen Jahr heiratete sie den Schauspieler Fritz Daghofer (1920 Trennung), aus dessen Nachnamen sie ihren Künstlernamen ableitete. Ab 1916 wirkte Dagover in einigen Filmen mit, darunter in einer Hauptrolle als Sonnenpriesterin in Fritz Langs zweiteiligem Abenteuerfilm "Die Spinnen" (1919). Der Durchbruch gelang ihr mit der weiblichen Hauptrolle in Robert Wienes stilbildendem Klassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1920), gefolgt von der Hauptrolle in Fritz Langs frühem Meisterwerk "Der müde Tod" (1921). 1922 wurde sie von der Ufa unter Vertrag genommen. F. W. Murnau besetzte sie in "Phantom" (1922) als Freundin des Protagonisten und in seiner Molière-Verfilmung "Tartüff" (1925) als bürgerliche Mutter, die eine Hochzeit ihrer Tochter mit dem titelgebenden Gauner vereiteln will. Mit diesen Filmen prägt Dagover ihren Rollentypus als feinsinnige und elegante "Dame" des deutschen Kinos.
Neben ihren zahlreichen Filmarbeiten spielte sie seit 1920 auch am Theater, so etwa 1926 in der Rolle der "Schönheit" in "Jedermann"; die Regie führte Max Reinhardt, der sie auch an die Salzburger Festspiele und an das Wiener Theater in der Josefstadt engagierte.
Im Jahr 1926 heiratete Lil Dagover den damaligen Produktionsleiter Georg Witt, der 1932 seine eigene Produktionsfirma gründete und viele ihrer folgenden Filme produzierte. Ihre erste richtige Tonfilmrolle hatte Dagover 1930 in Erich Waschnecks Kriminalkomödie "Va Banque". Im Jahr darauf folgte sie dem Ruf Hollywoods und wirkte in "The Woman from Monte Carlo" (USA 1932, Regie: Michael Curtiz) mit. Da der Film ihr nicht den erhofften Durchbruch in Amerika brachte, kehrte sie nach Deutschland zurück.
Hier wirkte sie in einigen Erfolgsfilmen mit, darunter "Die Tänzerin von Sanssouci" (1932), und blieb auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ungebrochen populär: Dagover engagierte sich zwar nicht explizit politisch, grenzte sich allerdings auch nicht vom Hitler-Regime ab. Zwischen 1933 und 1945 spielte sie Hauptrollen in einer Reihe von Publikumserfolgen, wobei sie meist Kaiserinnen und andere Adelsdamen sowie Künstler- und Unternehmergattinnen verkörperte. So etwa in Heinz Hilperts Oscar-Wilde-Adaption "Lady Windermeres Fächer" (1935), Detlef Siercks "Schlußakkord" (1936) und, als Kaiserin Eugénie, Wolfgang Liebeneiners "Bismarck" (1940). 1937 verlieh Joseph Goebbels ihr den Titel "Staatsschauspielerin"; während des Zweiten Weltkriegs leistete sie Truppenbetreuung und gastierte mit einem eigenen Tourneetheater unter anderem an der Ostfront.
Nach der Befreiung Deutschlands und ihrer Entnazifizierung spielte Lil Dagover zunächst Theater in Berlin. So konnte sie 1947 an der Komödie am Kurfürstendamm in Anton Tschechows "Der Kirschgarten" einen großen Erfolg verbuchen. Ab 1948 wirkte sie wieder in Filmen mit, darunter auch zeitkritische Werke, die sich mit der Nazizeit und den Kriegsfolgen befassten: "Die Söhne des Herrn Gaspary" (1949, Regie: Rolf Meyer) handelte von einer Familie, die während der Nazizeit zerbricht; "Es kommt ein Tag" (1950, Regie: Rudolf Jugert) erzählte von einer Frau, deren Sohn im Krieg gefallen ist.
In den 1950er sah man Dagover zumeist wieder in leichteren Unterhaltungsfilmen. Für ihre Verkörperung einer kauzigen Hofdame in Harald Brauns "Königliche Hoheit" (1953, nach dem Roman von Thomas Mann) erhielt sie den Bundesfilmpreis für die Beste weibliche Nebenrolle. Eine weitere Bundesfilmpreis-Nominierung erhielt sie für Rudolf Jugerts "Effie-Briest"-Adaption "Rosen im Herbst" (1955), in der sie die Mutter der Hauptfigur spielte. Zu ihren weiteren Erfolgen dieser Zeit gehören Heimatfilme wie "Der Fischer vom Heiligensee" (1955) und Historienfilme wie "Mayerling" (1956), aber auch Alfred Weidenmanns hochkarätiger Zweiteiler "Buddenbrooks" (1959), in dem sie die Konsulin Buddenbrook verkörperte. 1961 sah man sie in der Titelrolle des Edgar-Wallace-Krimis "Die seltsame Gräfin".
1962 wurde Lil Dagover mit dem Filmband in Gold für ihr "langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film" geehrt. 1967 erhielt sie das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In den 60er und 70er Jahren wirkte sie jedoch vor allem in Fernsehproduktionen mit. Zu ihren wenigen Kinorollen gehörten Bertha von Suttner in Hans-Jürgen Syberbergs "Karl May" (1974) und die Mutter der Hauptfigur Gastmann in Maximilian Schells international besetzter Dürrenmatt-Verfilmung "Der Richter und sein Henker" (DE/IT 1975). Auch ihre letzte Filmrolle spielte sie unter Schells Regie: Als blinde Musikerin in der tragikomischen Gesellschaftssatire "Geschichten aus dem Wiener Wald" nach Ödön von Horvath. Diese Rolle brachte ihr posthum noch einmal eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis 1980 ein: Am 23. Januar 1980 starb Lil Dagover in ihrem Haus auf dem Münchner Bavaria-Filmgelände in Geiselgasteig.