Hans Jürgen Syberberg

Darsteller, Regie, Drehbuch, Kamera, Bauten, Schnitt, Ton, Produzent
Nossendorf, Vorpommern

Biografie

Hans Jürgen Syberberg wird am 8. Dezember 1935 in Nossendorf (Vorpommern) als Sohn eines Gutsbesitzers geboren. Bis 1947 lebt er auf dem Lande und zieht dann nach Rostock. Durch Benno Besson erhält er als Schüler die Erlaubnis Bertolt Brechts, das Berliner Ensemble zu besuchen, wo er 1952/53 mit einer 8mm-Kamera erste Filme dreht, Dokumente der Proben zu "Herr Puntila und sein Knecht Matti" und "Die Mutter" sowie eine komplette Aufführung des "Urfaust". Die Filme werden 1970 in der BRD (auf 35mm aufgeblasen) unter dem Titel "Nach meinem letzten Umzug" veröffentlicht. "Alles, was ich heute mache, gründet auf diesen ersten Versuchen, den Dokumenten einer systematischen Analyse und Reflexion, überhöht im Grunde" (Die freudlose Gesellschaft, S. 306).

Syberberg betont die Bedeutung jener frühen Jahre, zunächst weil das Leben auf dem Lande und die Abneigung seines Vaters gegenüber den Nazis ihm die Belastungen erspart hat, die viele seiner Altersgenossen bedrängen: "Ich lebte außerhalb der Nazi-Gesellschaft und darf mich heute unbeschädigt von ihren Folgen bewegen, immunisiert, ohne mich durch protestierende Profilierung von den Eltern absetzen zu müssen und ohne Racheerziehung gegen die ehemaligen Verfolger" (Die freudlose Gesellschaft, S. 146). Zum andern hat ihm das Leben in der DDR in ihrer Aufbauphase Erfahrungen verschafft, die sich radikal von der amerikanisierten Jugend anderer Regisseure des Neuen deutschen Films unterscheiden: "preußisch-konservativ, in klassischer Schule, ohne Kaugummi und Flipper, nicht umsonst in stalinistischer Epoche erzogen" (Syberbergs Filmbuch, S. 306).

1953 zieht er in die Bundesrepublik, wo er sein Abitur macht. 1956-62 studiert er Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte; 1963 Promotion in München über "Zum Drama Friedrich Dürrenmatts: Zwei Modellinterpretationen zur Wesensdeutung des modernen Dramas". 1963-66 dreht er als freier Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunk 185 aktuelle Beiträge und Kurzdokumentationen. Die zweite Phase seiner Karriere ergibt sich aus dieser Fernseharbeit: die 5 dokumentarischen "Charakterporträts" über Fritz Kortner (2 Filme), Romy Schneider, die Grafen Pocci – eine heruntergekommene, exzentrische Familie des bayerischen Adels – und den bayerischen "Porno-König" Alois Brummer

 

Den dritten Aspekt von Syberbergs Frühwerk bilden seine beiden ersten Spielfilme: "Scarabea – Wieviel Erde braucht der Mensch?" (1968) und "San Domingo" (1970). Der erstere beruht auf einer Tolstoi-Erzählung, die ihm den Untertitel gibt, und ist ein bunter, oft bizarrer und surrealistischer Film mit schockierenden Gewalt-Szenen. "San Domingo" knüpft lose an Kleists gleichnamige Novelle an und spielt unter Drogensüchtigen, Rockern und revolutionären Studenten; der Film gibt ein faszinierendes, fast dokumentarisches Bild einiger Quellen des Terrorismus in der BRD.

Die prophetische Qualität von "San Domingo" führt Syberberg zu seinen bekanntesten Filmen: der sogenannten "Deutschen Trilogie" – "Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König" (1972), "Karl May" (1974) und "Hitler, ein Film aus Deutschland" (1977) – mit ihren ,Nebenprodukten" "Theodor Hierneis oder: Wie man ehem. Hofkoch wird" (1972), und "Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914-1975" (1975).

Die "Trilogie" – erst nach Fertigstellung von "Ludwig" als solche konzipiert – bildet innerhalb des westdeutschen Films den geschlossensten Versuch, sich mit der deutschen Volkspsyche und den verschlungenen Wegen deutscher Geschichte auseinanderzusetzen. "Ich wählte den Weg in die Vergangenheit unserer letzten hundert Jahre, Ursprünge vielleicht vieler jetziger Entwicklungen zu suchen, mit "Ludwig" beginnend, "Karl May" als Fortsetzung und "Hitler" das Thema des Jahrhunderts als letzte Stufe dieser Vergangenheit, uns eingeschlossen, immer, heute und Europa, ganz allgemein, mit abendländischer Tradition" (Syberbergs Filmbuch, S. 108).

In der bundesdeutschen Filmszene spielt Syberberg die Rolle eines absoluten Außenseiters: Ein Mann mit Erklärungen, Artikeln, offenen Briefen und mehreren Büchern stets heftig in Fehde mit dem, was er als verschworenes, feindliches Film-Establishment ansieht; ein Regisseur, dessen Filme – untertitelt – im Ausland (vor allem Frankreich und den USA) mehr Lob und Anerkennung erlangten als in der Bundesrepublik: "Es gibt Leute, die stehen auf der schwarzen Liste unserer Zeit in diesem Land, ich rechne mich dazu" (Die freudlose Gesellschaft, 335).

Syberbergs Filme beschäftigen sich fast ausschließlich mit Deutschland: dies ist – wie er meint – genau der Grund, warum sie nur im Ausland angemessen aufgenommen wurden. Seine Versuche der "Vergangenheitsbewältigung" widersprechen dem allgemein akzeptierten analytischen Ansatz, sich mit dem Problem Hitler und der Nazi-Vergangenheit auseinanderzusetzen. Er behauptet, das übliche Bild des Nationalsozialismus als "irrational" und "rechts-radikal" habe zur Beherrschung des westdeutschen Kultur- und Geisteslebens durch ein "aufgeklärtes" linkes Establishment geführt. Syberberg stellt die Voraussetzungen der neuen "Gleichschaltung" infrage, der die westdeutsche Kultur heute unterworfen sei. Der Nazismus kann, seiner Meinung nach, nicht als einfach "rechtsradikal" abgetan werden; ebensowenig war er nur "irrational"; zudem sei der "Irrationalismus" ein Grundprinzip der deutschen Kultur, das nicht einfach wegen seines Mißbrauchs im Dritten Reich beiseitegeschoben werden dürfe: "In der freiwilligen Selbstaufgabe seiner schöpferischen Irrationalität vor allem, und vielleicht einzig hier, hat Deutschland wirklich den Krieg verloren" (Hitler, S. 9).

Hans Jürgen Syberberg betreibt die Firmen TMS Film-Gesellschaft mbH (1967 gegründet) und Syberberg Filmproduktion. Er ist verheiratet, seine Tochter Amelie tritt u.a. in "Hitler" und "Parsifal" auf. Syberberg lebt in München.

Quelle: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film © 1984ff edition text+kritik im Richard Boorberg Verlag, München.

Ergänzung durch die Redaktion von filmportal.de:

Ab 1980 war Syberberg mit der Kolumne "Syberbergs Notizen" der erste Kolumnist der neu gegründeten Zeitung taz. 1982 realisierter er mit "Parsifal" eine vollständig im Studio inszenierte Verfilmung von Wagners letzter Oper, produziert zum hundertsten Jubiläum der ersten Aufführung der Oper. Während Syberberg inhaltlich streng bei der Vorlage blieb, erweiterte er die Oper durch Überblendungen, Marionetten und eingeblendete Bilder von geschichtlichen Ereignissen, um der Adaption eine surreale, filmische Tiefenebene zu verleihen. Im gleichen Jahr wurde er mit dem Deutscher Kritikerpreis ausgezeichnet.

Syberbergs "Die Nacht" (DE/AT 1985), eine "Abgesang auf eine abendländische Epoche", bestand aus einem sechsstündigen Monolog der Schauspielerin Edith Clever, vor einem schwarzen Vorhang in einem abstrakten Studiobau; sie rezitiert dabei aus Dichtung und Philosophie (u.a. Aischylos, Shakespeare, Hölderlin, Heidegger), unterlegt mit Musikzitaten von Bach und Wagner. 

Er drehte einen TV-Dokumentarfilm über André Heller ("André Heller sieht sein Feuerwerk", 1985) und die Videofassung einer Theaterinszenierung von Kleists "Penthesilea" (DE/AT/FR 1988). Kleists "Die Marquise von O." (1989) adaptierte er als vierstündiges Eine-Person-Stück, in einer Mischform aus Theater und Film; ähnlich verfuhr er bei "Ein Traum, was sonst?" (1994), über die letzten Stunden von Bismarcks Schwiegertochter auf ihrem Gut in Pommern, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs. 

Syberbergs 1990 erschienenes Buch "Vom Unglück und Glück der Kunst in Deutschland nach dem letzten Kriege" brachte ihm (wie schon sein Film "Hitler, ein Film aus Deutschland") den Vorwurf einer Verharmlosung des Nationalsozialismus ein, dem er entgegenhielt, dass man sich der Faszinationskraft des Dritten Reiches stellen und den "Hitler in uns" erkunden müsse. 

1997 zeigte er auf der "documenta X" in Kassel "Höhle der Erinnerungen - Von den letzten Dingen", eine Video-Installation aus 31 Videos, die unter anderem Szenen aus Theateraufführungen wiedergeben. Daneben publizierte Syberberg weitere Bücher, unter anderem "Film nach dem Film" (2008) und "Romy in Kitzbühel 1966." (2018). 

Im Jahr 2000 kaufte Syberberg in seinem Geburtsort Nossendorf bei Demmin das heruntergekommene Anwesen seiner Familie zurück, um es vor dem Abriss zu retten. Für die akribische und eigenhändige Sanierung seines Elternhauses erhielt er im Jahr 2010 den Friedrich-Lisch-Denkmalpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern. 2011 wurde er vom französischen Kulturministerium zum "Commandeur" des Ordens Ordre des Arts et des Lettres ernannt, verliehen an "Personen, die sich durch ihr Schaffen im künstlerischen oder literarischen Bereich oder durch ihren Beitrag zur Ausstrahlung der Künste und der Literatur in Frankreich und in der Welt ausgezeichnet haben"; der "Commandeur" ist dabei die höchste Auszeichnung. 

In seinen Heimatorten Nossendorf und Demmin arbeitete Hans-Jürgen Syberberg über Jahrzehnte hinweg an verschiedenen Projekten. So ließ er 2017 das in den letzten Kriegstagen 1945 ausgebrannte Gebäude des Café Zilms am Marktplatz in Demmin für zwei Wochen in Originalgröße als auf Stoff bedruckte Fassade wieder aufleben. Aus seinen diversen Bemühungen um das Demminer Stadtbild und die Ortsgemeinschaft entstand schließlich auch ein Film: "Demminer Gesänge" kam im Dezember 2023 in die Kinos. 
 

FILMOGRAFIE

2017-2023
  • Regie
  • Drehbuch
  • Schnitt
1997
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kamera
  • Ausstattung
  • Schnitt
  • Ton
  • Produzent
1994/1995
  • Mitwirkung
1994/1995
  • Regie
  • Drehbuch
  • Co-Produzent
1987/1988
  • Regie
1986/1987
  • Regie
  • Produzent
1984/1985
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1985
  • Regie
  • Idee
  • Kamera
  • Schnitt
  • Ton
  • Produzent
1982/1983
  • Mitwirkung
1981/1982
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1977
  • Regie
  • Drehbuch
  • Ausführender Produzent
1974
  • Regie
  • Drehbuch
  • Bau-Ausführung
  • Produzent
1971
  • Regie
  • Drehbuch
  • Kamera
  • Produzent
1970
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1969/1970
  • Mitwirkung
  • Regie
  • Drehbuch
  • Idee
  • Interviews
  • Produzent
1968/1969
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1969
  • Regie
  • Idee
  • Produzent
1966/1967
  • Regie
  • Drehbuch
  • Interviews
1966
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent
1966
  • Regie
  • Drehbuch
  • Produzent