Mehrsprachenversionen

Quelle: DIF / Nachlass Lilian Harvey
"Chemin du Paradis" (frz. Version von "Die Drei von der Tankstelle"): René Lefèvre, Gaston Jacquet, Henri Garat, Olga Tschechowa, Jaques Maury (vorne v.l.n.r.), Lilian Harvey (Mitte)

Mit dem Ton enthielten Filme nun Dialoge, die sich nicht so leicht wie die Zwischentitel der Stummfilme austauschen ließen. Synchronisationen konnten sich zu Anfang nicht durchsetzen, zunächst wegen technischer Probleme, schließlich aber auch aus wahrnehmungspsychologischen Gründen. So betont der Filmhistoriker Chris Wahl, auf dessen Forschungen sich die folgenden Ausführungen weitgehend stützen, dass zu Beginn der Tonfilm-Ära gut ein Drittel aller deutschen Filme auch in fremdsprachigen Versionen realisiert wurde. Nacheinander wurde jede Szene mit neuen Schauspielern in verschiedenen Sprachen gedreht. Die Dekoration blieb dabei die gleiche, manchmal jedoch wechselte die Regie und einzelne Figuren und Szenen wurden ergänzt oder gestrichen. So garantierten die Mehrsprachenversionen die Akzeptanz des Publikums, indem sie die Einheit von Körper und Stimme nicht antasteten und ohne irritierende Untertitel auskamen.

Quelle: DIF
"F.P.1 antwortet nicht": Hans Albers

Klischee und Tradition
Die internationalen Wahrnehmungsstandards, die mit dem weltweiten Export der Stummfilme längst entwickelt waren, schienen bei den Produktionen der Mehrsprachenversionen vergessen: Die Eindeutigkeit der Sprache veranlasste hier dazu, die einzelnen Fassungen, teils höchst klischiert, den landeseigenen Traditionen und Sehgewohnheiten anzupassen. In Karl Hartls "F.P. 1 antwortet nicht" (1932), der in den Babelsberger Studios zugleich auf Deutsch, Englisch und Französisch gedreht wurde, ist die Komik der französischen Version zum Beispiel auffallend bildhaft. Es wurden Einlagen und ausgiebige Essszenen hinzugefügt, die in der deutschen Fassung nicht zu sehen sind. Dabei bleibt die Frage offen, inwieweit diese Veränderungen tatsächlich dem französischen Publikumsgeschmack oder schlicht deutschen Vorurteilen entsprachen.

Bemerkenswert ist, dass in Babelsberg deutlich mehr französische als englische Versionen produziert wurden. Die Ufa konnte sich auf dem amerikanischen Markt kaum etablieren und erkannte zudem in der Realisierung von englischsprachigen Fassungen das Problem, dass britisches als auch amerikanisches Englisch von dem jeweils anderen Publikum vorerst nicht akzeptiert wurde. Eine weitere Besonderheit der Versionsfilm-Ära der Ufa waren die multilingualen Schauspieler. Sie konnten – wie Lilian Harvey, die Deutsch, Englisch und Französisch sprach – gleich mehrere Sprachfassungen drehen und halfen dabei, die gewaltigen Produktionskosten etwas zu verringern.

Quelle: DIF
"Der blaue Engel": Marlene Dietrich, Hans Albers, Emil Jannings (v.l.n.r)

The Blue Angel
In "The Blue Angel", der in Babelsberg für den englischsprachigen Markt gedrehten Fassung von "Der blaue Engel" (1929/30), wurde hingegen weder das deutsche Schauspielerensemble ausgetauscht, noch mehrsprachige Darsteller eingesetzt. Weil Emil Jannings, der in Hollywood 1927 mit dem ersten Oscar ausgezeichnet worden war, Marlene Dietrich, Kurt Gerron und Hans Albers auch in der englischen Version auftreten sollten, versuchte man hier, die Übersetzung ins Englische auf der Ebene der Handlung umzusetzen. Die Charaktere wurden den Sprachfähigkeiten der Schauspieler angepasst und ihr mehr oder weniger starker Akzent in der Handlung begründet. In der Rolle des deutschen Englischlehrers sprach Jannings nun auch außerhalb der Schule mit seinen Schülern Englisch, Kurt Gerron als Theaterdirektor sprach mit der als englische Muttersprachlerin eingeführten Lola (Marlene Dietrich) verständlicherweise ebenfalls Englisch. Sein Akzent begründete sich so damit, dass er einen Deutschen spielte, der das Englische eben nicht perfekt beherrschte.

Auf Dauer waren die hohen Kosten der Versionenproduktionen aber kaum tragbar, und als synchronisierte US-amerikanische Filme langsam an Akzeptanz gewannen, gab auch die Ufa in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre die Mehrsprachenproduktionen auf. Als einer der letzten Filme, bei dem, so Chris Wahl, "alle Versionen von der Ufa (oder in ihrem Auftrag) produziert wurden", gilt "Das Hofkonzert"/"La chanson du souvenir. Concert à la court" von 1936.