Jörg Gudzuhn
Jörg Gudzuhn wurde am 23. März 1945 im brandenburgischen Seilershof geboren. Nach dem Umzug der Familie in den Ostteil Berlins besuchte er dort die Grundschule und anschließend ein Gymnasium in Berlin-Reinickendorf. Da die Schule in West-Berlin lag, konnte er sie nach dem Bau der Berliner Mauer nicht weiter besuchen. Als Folge brach Gudzuhn das Gymnasium ohne Abschluss ab. Er arbeitete zunächst in einem Wälzlagerwerk in Berlin-Lichtenberg, absolvierte dann bis 1966 eine Lehre als Haus- und Wandmaler. Neben der Ausbildung holte er das Abitur nach und sammelte in einer Laientheatergruppe erste Schauspielerfahrungen. Von 1966 bis 1970 studierte Gudzuhn an der Staatlichen Schauspielschule 'Ernst Busch' in Berlin.
Nach dem Abschluss erhielt er Engagements an der Volksbühne in Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz; 1970-1974) und am Potsdamer Hans-Otto-Theater (1974-1976). Während dieser Zeit gab Gudzuhn auch sein Kinodebüt: Unter der Regie von Rainer Simon hatte er in der DEFA-Produktion "Till Eulenspiegel" (DDR 1975) eine kleine Rolle als Oberhenker. Wenngleich er in den nächsten Jahren vereinzelt in DEFA-Fernsehproduktionen mitwirkte, etwa als Wilhelm Liebknecht in der Mini-Serie "Marx und Engels – Stationen ihres Lebens" (DDR 1978-1980), blieb Gudzuhns Hauptbetätigungsfeld die Bühne. 1976 ging er ans Maxim-Gorki-Theater in Berlin, dessen Ensemble er bis 1987 angehörte. Zu seinen großen Erfolgen dort gehören der McMurphy in "Einer flog über das Kuckucksnest", der Zettel in Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" und der Werschinin in Tschechows "Drei Schwestern".
1982 besetzte Rainer Simon ihn in einer Hauptrolle des Kinofilms "Das Luftschiff": Er spielte darin einen besessenen Erfinder, der Flugmaschinen konstruieren möchte, unter anderem jedoch an den politischen Verhältnissen scheitert. Nach dieser viel beachteten Rolle spielte Gudzuhn regelmäßig in Kino- und Fernsehproduktionen mit. Seine Leistung in der komplexen Liebes- und Beziehungsgeschichte "Eine sonderbare Liebe" (1984, Regie: Lothar Warnecke) brachte ihm den Kritikerpreis des Verbandes der Film- und Fernsehschaffenden ein.
Mit dem Regisseur Bernhard Wicki drehte er das humanistische Drama "Die Grünstein-Variante" (BRD/DDR 1985), über drei Gefangene während des Krieges, die sich durch Schach näherkommen. Nur der von Gudzuhn gespielte Ex-Boxer überlebt den Krieg – und sucht zeitlebens nach dem genialen Schachzug seines jüdischen Mithäftlings Grünstein, der ihm entfallen ist. Leichterer Stoff war die Komödie "Fahrschule" (DDR 1986), über einen überzeugten Fußgänger, der überraschend in den Besitz zweier Autos kommt. Für diese Rolle gewann Gudzuhn den Hauptdarstellerpreis auf dem 5. Nationalen Spielfilmfestival der DDR in Karl-Marx-Stadt sowie den Darstellerpreis auf dem Eberswalde Film Festival. Viel Kritikerlob – auch über die Grenzen der DDR hinweg – erhielt er für die Verkörperung des seelisch zerrissenen Künstlers Hans Fallada in Roland Gräfs Filmbiografie "Fallada - Letztes Kapitel" (DDR 1988). So wurde er für seine Leistung beim Chicago International Film Festival 1989 mit dem Silver Hugo als Bester Darsteller ausgezeichnet.
Auch nach dem Mauerfall und dem Ende der DDR könnte Gudzuhn seine Karriere bruchlos fortsetzen. Unter der Regie von Heiner Carow spielte er in dem deutsch-deutschen Liebes- und Gesellschaftsdrama "Verfehlung" (1992) einen DDR-Dorfbürgermeister, der aus verschmähter Liebe eine Reinigungskraft (Angelica Domröse) bespitzeln und erniedrigen lässt, weil diese sich in einen Arbeiter aus dem Westen (Gottfried John) verliebt hat. "Verfehlung" wurde von der Kritik nicht nur als ebenso realistische wie schonungslose Abrechnung mit dem SED-Regime gelobt, sondern auch als feinfühliger Schauspielerfilm.
Danach sah man Jörg Gudzuhn nahezu ausschließlich in TV-Produktionen. 1992/93 spielte er in sechs Folgen der Serie "Liebling – Kreuzberg" einen exzentrischen Großstadt-Cowboy; Roland Suso Richter besetzte ihn in dem Kriminaldrama "Das Phantom – Die Jagd nach Dagobert" (1994, TV) in einer Hauptrolle als Kommissar. Für die Rollentausch-Komödie "Viel Spaß mit meiner Frau" (1996) gewann er zusammen mit Regisseur Peter Welz und Co-Star Jörg Schüttauf einen Grimme-Preis. Von 1998 bis 2007 hatte Gudzuhn in der Krimiserie "Der letzte Zeuge" an der Seite von Ulrich Mühe und Gesine Cukrowski eine Hauptrolle als brummiger LKA-Kommissar; beim Deutschen Fernsehpreis 2000 wurde er für diesen Part als Bester Schauspieler nominiert. Eine wichtige Rolle hatte er auch als Leibwächter in dem Fernsehspiel "Im Schatten der Macht" (2003), über den politischen Sturz Willy Brandts. Gudzuhns einzige Kinorolle blieb ein Internats-Mathelehrer in Hans Christian Schmids Coming-of-Age-Film "Crazy" (2000).
Dafür war Jörg Gudzuhn stets als Theaterschauspieler sehr aktiv. Seit 1987 gehörte er dem Ensemble des Deutschen Theaters Berlin an, wo er unter anderem den Mackie Messer in "Die Dreigroschenoper" (1994/95), den Ödipus in "König Ödipus" (1996/97) und den Sultan Saladin in Lessings "Nathan der Weise" (2002) spielte. Ein überragender Erfolg war sein Solo-Auftritt mit "Leben bis Männer oder: Der Fußballtrainer" von Thomas Brussig: Zwischen 2001 und 2010 stand er rund 100 Mal in der Rolle eines rechthaberischen Ex-DDR-Fußballtrainers auf der Bühne. Parallel dazu wirkte Gudzuhn in zahlreichen anderen Stücken mit. So etwa 2009 in Arthur Schnitzlers "Der einsame Weg", in einer Inszenierung von Christian Petzold; an der Seite von Nina Hoss gab er darin den Professor Wegrat.
Wichtige Fernsehrollen hatte Gudzuhn unter anderem im Ensemble der improvisierten Komödie "Altersglühen – Speed Dating für Senioren" (2014) und als Gerichtspräsident in dem preisgekrönten Sozialdrama "Das Ende der Geduld" (2014). Von 2012 bis 2017 sah man ihn in der Krimiserie "Alles Klara" in der tragenden Rolle eines Rechtsmediziners. Dominik Graf besetzte ihn in einer kleineren Rolle seiner Charakterstudie "Hanne" (2018), über eine Frau (Iris Berben) die erfährt, dass sie möglicherweise Leukämie hat. Eine wiederkehrende Rolle übernahm Gudzuhn in der populären "Krüger"-Fernsehspiel-Reihe: In "Krüger aus Almanya" (2015), "Krügers Odyssee" (2017), "Küss die Hand, Krüger" (2018) und "Kryger bleibt Krüger" (2020) war er Paul Krügers enger Kumpel Ecki. Für seine Hauptrolle in der Familienkomödie "Familie Lotzmann auf den Barrikaden" gewann er 2019 zusammen mit Gisela Schneeberger, Axel Ranisch (Regie) und Sönke Andresen (Buch) seinen zweiten Grimme-Preis.
An der Berliner Staatsoper sah man Gudzuhn Ende 2019 in der Semi-Oper "King Arthur" in der Rolle des Merlin. Jörg Gudzuhn lebt in Berlin.