Ruth Leuwerik
Ruth Leuwerik wurde am 23. April 1924 in Essen als Tochter des Kaufmanns Julius Martin Leeuwerik und seiner Frau Luise, geb. Sokolowski, geboren. Sie besuchte Lyzeen in Essen und Münster, anschließend die höhere Handelsschule. Nebenbei nahm sie privaten Schauspielunterricht und reiste 1943/44 mit dem Westfälischen Landestheater Paderborn durch Westfalen. 1944 wurde sie an die Städtischen Bühnen Münster engagiert, nach deren Schließung war sie zwischenzeitlich als Fräserin in der Rüstungsindustrie dienstverpflichtet.
1947 spielte sie am Theater der Freien Hansestadt Bremen, 1948/49 an den Städtischen Bühnen Lübeck, 1949-53 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Gastspiele am Schauspielhaus Düsseldorf (1955) und in Berlin schlossen sich an. Zu ihrem Rollenrepertoire zählten u.a. Gretchen in "Faust", Rosalinde in "Wie es euch gefällt" und, an der Seite von Werner Krauß, Inken Peters in "Vor Sonnenuntergang".
Ihr (unbeachtetes) Filmdebüt gab Ruth Leuwerik 1950 in der Urlaubskomödie "13 unter einem Hut". Erst zwei Jahre später gelang ihr unter der Regie von Harald Braun in "Vater braucht eine Frau" der große Erfolg, ihr Partner war Dieter Borsche, mit dem gemeinsam sie in drei weiteren Filmen ("Die große Versuchung"; "Königliche Hoheit"; "Königin Luise") zu einem "Traumpaar" des bundesdeutschen Films der frühen 1950er Jahre avancierte.
Neben dem unaufdringlichen Borsche gehörten O. W. Fischer ("Ein Herz spielt falsch"; "Bildnis einer Unbekannten"; "Ludwig II. Glanz und Elend eines Königs") und Hannes Messemer ("Taiga"; "Ein Tag, der nie zuende geht"; "Auf Engel schießt man nicht") zu ihren profiliertesten Filmpartnern.
Durch ihre Darstellung selbstbewußt-emanzipierter Frauen etablierte sich Ruth Leuwerik schnell als Gegenpol zur gefühlsbetonten Maria Schell: "Ebenso wie nach den Schell-Filmen verließen die Zuschauer (...) mit rotgeweinten Augen die Kinos. Aber im Gegensatz zum Seelchen Schell weinte die Leuwerik selten selbst: Sie ließ das Publikum weinen." (Bandmann, Es leuchten die Sterne, 1979)
Sieben ihrer Filme entstanden unter der Regie von Wolfgang Liebeneiner, zu den erfolgreichsten unter ihnen gehörten "Die Trapp-Familie" mit Leuwerik als Novizin, die durch Heirat mit dem von Hans Holt verkörperten Baron Trapp zur "Ersatzmutter" seiner sieben Kinder wird (US-Remake 1964: "The Sound of Music"), und "Taiga", in dem sie eine deutsche Ärztin in einem sibirischen Kriegsgefangenenlager spielte.
1960 nahm sie in London als erste deutsche Schauspielerin an der "Royal Performance" teil, ein Hollywood-Angebot der Universal schlug sie aus. Verstärkt agierte sie nun in Filmen, die weibliches Rollenverhalten zeittypisch problematisierten: in "Immer wenn der Tag beginnt" die Liebesbeziehung einer Lehrerin zu ihrem Schüler; in "Die ideale Frau" das Engagement von Frauen in der Politik; in "Dorothea Angermann" den aus einer Notwehrsituation begangenen Mord an einem ungeliebten Ehegatten.
"Ihre Rollen waren oft tragisch (so in 'Ein Herz spielt falsch'), traurig (etwa in 'Rosen im Herbst') oder rührend (wie in 'Die Trapp-Familie'). Aber sie (...) streckte nicht hilfesuchend die Arme nach einem Beschützer aus, sondern packte die Situation beim Schopf und meisterte eigenhändig das Schicksal ihrer Lieben. Dabei blieb sie immer Dame und wurde zum Vorbild des weiblichen Kinopublikums." (Bandmann).
1960 spielte sie in Gottfried Reinhardts "Liebling der Götter" die 1937 unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommene Schauspielerin Renate Müller. Ihre eindringliche Darstellung des inneren Zwiespalts des einstigen Ufa-Stars, der zwischen der erfolgreichen Filmkarriere im nationalsozialistischen Deutschland und der Liebe zu einem jüdischen Emigranten zerbricht, gilt als ein künstlerischer Höhepunkt ihrer Filmlaufbahn.
Zu Beginn der 1960er Jahre erhielt Ruth Leuwerik zudem Gelegenheit, ihr komödiantisches Talent im Film zu demonstrieren: in "Eine Frau fürs ganze Leben" als patente Adelige, die sich und ihre Familie mit Humor über Widrigkeiten im Berlin der Jahre 1902 bis 1946 rettet, und in "Das Haus von Montevideo", Helmut Käutners Remake der Goetz-Komödie, in dem sie als Filmgattin Heinz Rühmanns agierte. Weniger erfolgreich fiel Käutners ambitionöse Andersen-Verfilmung "Die Rote" aus: Die erotischen Abenteuer einer aus ihrer Ehe ausbrechenden Frau vermochten weder die Kritik noch das Kinopublikum zu überzeugen.
Nach Ausflügen ins Kriminal-Genre – als Industriellengattin neben Bernhard Wicki in dem Fahrerflucht-Thriller "Elf Jahre und ein Tag", Rechtsanwältin neben Peter van Eyck in "Ein Alibi zerbricht" – und dem Niedergang des deutschen Star-Kinos konzentrierte Ruth Leuwerik sich auf Arbeiten für das Fernsehen. Sie trat in Bühnenadaptionen auf ("Hedda Gabler"; "Ninotschka"), erneut neben O. W. Fischer in Peter Beauvais' auch im Kino eingesetzter Schnitzler-Verfilmung "Das weite Land".
Erst nach siebenjähriger Unterbrechung übernahm sie 1970 als zartbesaitete Mörderin Valerie Steinfeld in "Und Jimmy ging zum Regenbogen", nach Johannes Mario Simmel, erneut ein Filmangebot. Die Thomas Mann-Bearbeitung "Unordnung und frühes Leid" war 1976 ihr letzter Kinofilm.
Zu ihren TV-Arbeiten der 1970er Jahre zählten u.a. Gastauftritte in den Krimi-Serien "Der Kommissar" und "Derrick" sowie die Rolle der Konsulin in der mehrteiligen "Buddenbrooks"-Verfilmung von Franz Peter Wirth. In den 1980er Jahren zog Ruth Leuwerik sich vom Schauspiel zurück, engagierte sich als Vorsitzende des Auswahlgremiums für den Bayerischen Filmpreis und als Schirmherrin der Johanniter-Unfall-Hilfe.
Ruth Leuwerik war nach erster, 1949 geschlossener Ehe mit dem Schauspieler Herbert Fleischmann 1965-67 mit dem Sänger Dietrich Fischer-Dieskau und ab 1969 mit dem Augenarzt Dr. Heinz Purper verheiratet. Sie starb am 12. Januar 2016 im Alter von 91 Jahren in München.
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film
© 1984ff edition text+kritik im Richard Boorberg Verlag, München.