Interview mit Andrea Roggon

"Ein guter Porträtfilm ermöglicht einen Blick auf den Menschen hinter dem Image"
Quelle: Dokumentarfilminitiative, © Mathis Hanspach
Andrea Roggon

Einige Fragen an Andrea Roggon, Regisseurin ("Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort")

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts?

Sehr stark treibt mich die Frage danach, wie man als Filmemacher einer Persönlichkeit in einem Porträt gerecht werden kann. Was ist das eigentlich für eine Aufgabe "ein Bild von einem anderen Menschen zu zeichnen"?
Wenn ich selbst als Zuschauerin einen Porträtfilm anschaue, dann ist es das Schönste, wenn ich wirklich beeindruckt werde von diesem Menschen, so dass es als Inspiration auf mein eigenes Leben wirkt.

Ihr Film über Helge Schneider "wahrt die Geheimnisse des Protagonisten vor der Kamera". Dieser Claim scheint zwangsläufig, denn Helge Schneider, der Medienprofi und Anarchist, nutzt das Projekt für seine Zwecke und entlarvt dabei mediale Mechanismen, auch die eines Filmporträts. Wie würden Sie den Umgang und Ihre Annäherung an diesen Typus von Protagonisten und Künstler beschreiben? Waren Sie am Anfang überrascht?

Nein, zunächst gar nicht. Schon im Exposé bestand mein filmischer Ansatz darin "ihm seine Geheimnisse nicht zu entreißen". Während es natürlich trotzdem darum geht, dass der Zuschauer ein Gefühl für Helge Schneider als Mensch entwickeln kann. Also, ihm im Film nahe zu kommen, ohne dabei den Zauber, der in seinem künstlerischen Werk erlebbar ist, zu zerstören. Meine Idee bestand unter anderem darin, seiner Fantasie einen großen Raum zu geben, anstatt Biographisches, Daten und Fakten wiederzugeben. Innerhalb der von ihm "erschaffenen Welt" wird für mich seine Haltung sichtbar: Hier dürfen auch unwahre Geschichten zum besten gegeben werden, die dann aber wiederum einen Blick auf seine Wünsche und Träume ermöglichen können.
Überrascht war ich erst, als ich merkte, dass auch das schwierig wurde. Für Helge Schneider wird in meinem Film schon viel zu viel über ihn verraten! Dazu finde ich folgenden Satz von Peter Handke weiterführend: "Von dem was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich".

Quelle: Piffl Medien, DIF, © Petra Lisson
"Mülheim - Texas. Helge Schneider hier und dort" (2014)

Wie bewahrt man in der Arbeit mit prominenten und medienerfahrenen Protagonisten die künstlerische Unabhängigkeit als Filmemacherin?

Letztendlich durch ganz grundlegende Absprachen. Ausschlaggebend kann aber auch schon das Konstrukt der Produktion selbst sein: Wer hatte die Idee, wer erteilt den Auftrag, wer finanziert mit... Es ist aus meiner Sicht schwierig, wenn z.B. der Manager oder der Künstler selbst den Film in Auftrag gibt, was tatsächlich immer wieder vorkommt.
Entscheidend ist letztendlich aber das Verständnis darüber, wer den "final cut" hat. Am Ende ist es eine Gratwanderung, bei der der Filmemacher, so er den "final cut" hat, eine große Verantwortung trägt, da er ja eben an dem Bild des Prominenten zeichnet. Für mich war es, was die Gestaltung des Films betrifft wichtig, diese Klarheit zu haben.

Was kann ein Porträt als filmische Form heute noch leisten? Was kann es im Umgang mit prominenten und öffentlich durchleuchteten Protagonisten noch zeigen?

Vorweg: Alles, was einmal aufgezeichnet ist und ins Internet gelangt, kann in den meisten Fällen nicht mehr zurückgenommen werden (auch wenn es per Gerichtsbeschluss nicht mehr gezeigt werden darf). "Das Netz vergisst nichts" und ist für jedermann permanent zugänglich... So kann jegliche filmische Aufzeichnung für den Protagonisten geradezu "bedrohliche" Auswirkungen haben. Dadurch hat sich vor allem bei prominenten Persönlichkeiten und deren Managern und Beratern eine gesteigerte Empfindlichkeit im Umgang mit Bildern und Interviews entwickelt, die das dokumentarische Arbeiten sehr erschwert. Andererseits, wer in Medien und im Internet nicht erscheint, existiert nicht. Es ist also wichtig, dort in "vorteilhafter", "für die Ewigkeit" bestimmter Weise aufzutauchen.
Zurück zur Frage: Es ist ja eine Illusion, wenn wir meinen, durch die permanenten, vom Boulevardjournalismus aufbereiteten "News" aus dem Privatleben aller möglichen Prominenten auf deren Persönlichkeit schließen zu können. Genau das ist es aber, was durch ein Porträt gelingen kann. Ein guter Porträtfilm ermöglicht einen Blick auf den Menschen hinter dem Image – was durch die alltägliche "öffentliche Durchleuchtung" eben nicht erreicht wird.