Interview mit Fosco Dubini

"Die bloße Biographie wird im Porträt zu einer sinnhaften Geschichte kondensiert"
Quelle: Dokumentarfilminitiative, © Mathis Hanspach
Fosco Dubini

Einige Fragen an Fosco Dubini, Regisseur ("Thomas Pynchon – A journey into the mind of [p.]", "Hedy Lamarr - Secrets of a Hollywood Star")

Worin besteht für Sie die Faszination des dokumentarischen Porträts? Weshalb haben Sie diese Form so oft für Ihre Filme gewählt?

Wir haben uns für Persönlichkeiten interessiert, die im Mittelpunkt einer zeitgeschichtlich wichtigen Fragestellung verortet werden können. Die Bedeutung einer Person und das Geheimnis ihrer gesellschaftlichen Wirkung ergibt sich nicht allein aus den Stationen einer Biographie, sondern aus der Radikalität der Handlungsoptionen in einem krisenhaften Umfeld. Unsere Filme versuchen, dieses Zusammentreffen von individuellen Persönlichkeitsmerkmalen und Entscheidungsmaximen in einer als katastrophisch wahrgenommenen Konstellation zu pointieren, die sich aus dem Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und Medien ergibt.

Ihre filmischen Porträts waren immer Kinofilme, was lässt sich Ihrer Meinung nach über den Zusammenhang von Kino und Porträt und der Faszination des Publikums für Porträts sagen?

Das Porträt ist seit der Antike die vorrangige Form der medialen Vermittlung von auratischer Bedeutung. Dabei weist das Porträt auch immer über die singuläre Person hinaus auf etwas Überindividuelles und ist insofern Teil einer großen allgemeinen Erzählung, in der das Publikum sich erkennt. Die biographische Annäherung an eine Person im Film schöpft deren Geheimnis nicht aus, im Gegenteil. Das filmische Porträt setzt wie alle Bildmedien auf die Aussagekraft des Gesichts der porträtierten Figur. Das Porträt zehrt insofern auch von dem ikonischen Wert des übergroß auf der Leinwand dargestellten menschlichen Gesichts im Spielfilm, das gleichzeitig das Innenleben einer Figur enthüllt und verbirgt.

Wie hat sich in Ihren frühen Arbeiten wie "Das Verschwinden des Ettore Majorana" oder "Klaus Fuchs - Atomspion" bis zu den Filmen über Hedy Lamarr oder Thomas Pynchon Ihr Umgang mit der Porträtform verändert? Was wird heute von einem Porträt erwartet? Wie war das in den 80er Jahren?

Quelle: Real Fiction, DIF
"Hedy Lamarr - Secrets of a Hollywood Star" (2006)

Heute wird von einem Porträt sehr viel mehr Materialfülle an Fotos, Videos, Filmausschnitten und öffentlichen Äußerungen erwartet. Dies hängt mit der Multiplizierung und dem ständigen Austausch von digitalem Bildmaterial im Netz zusammen. Im Film über den Physiker Ettore Majorana, der in den 1930er Jahren spielt, hatten wir höchstens zehn Fotos und keinerlei Filmmaterial zur Verfügung. Der Titel "Das Verschwinden des Ettore Majorana" ist insofern auch symptomatisch für die Abwesenheit von Bildpräsenz der porträtierten Person im Film.
Auch die Verwendung dieses Materials hat sich geändert. Der Zweck der Porträts besteht nicht mehr im bruchlosen und logischen Nachvollzug einer Lebensleistung oder eines Werks, der kongruent bebildert wird. Vielmehr werden die kritischen Stellen eines Lebenslaufs, die blinden Flecke einer Person und das Scheitern ihrer Ambitionen zum Angelpunkt der Empathie des Publikums, was der Idealisierung der Figur nicht schadet, sondern ihr im Gegenteil zuarbeitet. Dies gilt insbesondere für die filmischen Porträts der tragischen Frauenfiguren, z. B. Schauspielerinnen und Künstlerinnen, die als "weibliche Opfer" eine lange mediale Tradition fortführen.

Weshalb bevorzugen Sie Porträts von verstorbenen Personen oder im Falle von Pynchon von Personen, die sich bewusst jeder Form der Öffentlichkeit entziehen?

Erst wenn die reale Person verschwindet bzw. stirbt, gewinnt sie den Freiraum einer nachträglichen Bedeutungsstiftung und idealen Überhöhung der persona (wörtlich: durch die etwas hindurchtönt.)
Ein Autor wie Thomas Pynchon, der sich Fotos, Filmaufnahmen und Interviews verweigert, nutzt diesen Effekt bereits zu Lebzeiten. Die Abwesenheit der lebenden Person hat also einen Vorteil. Sie erlaubt das Ausblenden von Zufälligem und Nebensächlichem und damit die Selektion eines Bedeutungsstrangs, die nicht selbst von der porträtierten Person vorgegeben ist.

Gibt es einen Unterschied zwischen Porträt und Biographie? Oft gibt es biographische Teile innerhalb eines Porträts? Was bevorzugen Sie und warum?

Eine Biographie ist, wie das Wort schon sagt, die schriftliche Fixierung eines Lebensablaufs mit möglichst allen äußeren Stationen und Details. Insofern hat jeder Mensch eine (mindestens bürokratisch rudimentär erfassbare) Biographie. Das Porträt nimmt allerdings eine Auswahl aus diesem Material vor, indem es nur die Momente unterstreicht, die eine bedeutungsvolle Interaktion zwischen der Einzelperson und ihrer Umwelt, auch im Sinn eines exemplarischen Konflikts, nachvollziehen und auf diese Weise die "Innenwelt" einer Figur öffnen. Diese Innenwelt ist natürlich immer auch ein fiktionales Element im filmischen Porträt, das hypothetisch aufgeladen wird und damit einem dramaturgischen Erzählstrang folgt. Die bloße Biographie wird also im Porträt zu einer sinnhaften Geschichte kondensiert.