Interview mit Marc Bauder
Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2011 |
Marc Bauder |
Einige Fragen an Marc Bauder, Regisseur ("Master of the Universe", "Jeder schweigt von etwas anderem")
Was kann Ihrer Meinung nach das Porträt als filmische Form leisten?
Für mich ist es wie eine Brille, durch die ich in bestimmte gesellschaftliche Formen oder Fragestellungen eintauchen kann. Es ist ein möglicher Ausgangspunkt, um zu untersuchen, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten. Aber ich glaube, ich lasse mich da vielleicht nicht so gut in die Rubrik "Porträt" kategorisieren, wenn man darunter das klassische Porträt einer Person oder Gruppe versteht, ich würde bei meiner Arbeit eher von Soziogrammen sprechen, die gesellschaftsübergreifende Fragestellungen verhandeln.
"Master of the Universe" aber auch ihre früheren Arbeiten sind, wie sie sagen Soziogramme, Milieustudien, lassen einen Durchblick auf politische Verhältnisse zu – inwiefern war der Ausgangspunkt des Porträts hilfreich dafür?
Das Porträt fungiert für mich als ein Vehikel, um vom Einzelnen Rückschlüsse auf übergeordnete Themen zu gewinnen. Ich erfahre in meinen Filmen ja auch überhaupt nicht alles von der Person. Aber die emotionale Tiefe des Ausschnitts, den ich zeige, hilft mir wie gesagt, bestimmte universelle Fragestellungen näher zu beleuchten. Meinem Film "Der Top-Manager" lag zum Beispiel die Frage nach dem Auseinanderdriften von Familie und Karriere in unserer Gesellschaft zugrunde. Oder gerade arbeite ich an einem Dokumentarfilm über Thomas Middelhoff. Er interessiert mich als Prototyp einer neuen Managerkaste und ermöglicht es zugleich, mich mit 25 Jahren deutscher Wirtschaftsgeschichte auseinander zusetzen, was wiederum Rückschlüsse auf unsere ganz aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen ermöglicht.
Wie war der Umgang mit Ihrem Protagonisten, dem Investmentbanker Rainer Voss, der offensichtlich auch eine eigene Agenda mit dem Filmprojekt verfolgte?
Wir hatten auf jeden Fall die gleiche Fragestellung, haben das Hauptthema geteilt. Fragen nach Familie und der Verformung des Individuums in der Gruppe waren für ihn und mich zentral, auch wenn wir teilweise zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Man kann als Filmemacher seine thematische Stoßrichtung nicht verschleiern. Er wusste, wer ich bin, kannte einige meiner Filme. Dann ist der Dreh letztlich die Fortführung einer Annäherung, die schon weit vorher begonnen hat.
Quelle: Arsenal Filmverleih, DIF |
"Master of the Universe" (2013) |
Wie finden Sie einen Weg, den Protagonisten zu respektieren und zu schützen und ihm gleichzeitig als Repräsentanten eines Milieus, einer Schicht, einer Denkweise unabhängig und kritisch zu begegnen?
Die Menschen sind ja nicht schwarz/weiß. Wir bedienen oft zu schnell bestimmte Bilder. Ich möchte, dass sich jeder sein eigenes Bild macht. Denn ein Charakter ist ja sehr vielschichtig und so geworden, weil zum Beispiel bestimmte Kontexte Anlagen verstärkt haben; in anderem Kontext hätte sich der Charakter auch ganz anders entwickeln können. Also muss ich meinen Protagonisten mit Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit begegnen, das ermöglicht dann, viele Facetten von der Person zu zeigen. Ich muss die Protagonisten absolut ernst nehmen, auch wenn ich ihre Ansichten und daraus folgende Konsequenzen nicht teile.
Auch in Ihrem Spielfilm "Das System" ging es um die Finanzwelt, aber in fiktionaler Form, warum haben Sie hier die Fiktion ausprobiert? Was war mit dieser Form möglich?
Meine filmische Arbeit beginnt immer mit einer Fragestellung, dann folgt die Recherche und dann sucht man die geeignete Form, also Dokumentarfilm, Spielfilm oder auch mal Theater. Manchmal kann man die Essenz einer Fragestellung besser durch eine gewisse Fiktionalisierung des Themas erreichen. Im Fall von "Das System" hätte das dokumentarische Porträt des ehemaligen Stasi-Agenten Matthias Warnig, heute Geschäftsführer der deutsch-russischen Gas-Pipeline Norstream (auf dessen Geschichte der Spielfilm basiert), zu einer Reduktion geführt. Die Ausgangsfrage war ja, wie verhalten sich Menschen nach dem Zusammenbruch eines Systems? Und es gibt in anderen Systemen ganz ähnliche Menschen wie Warnig. Die Fiktionalisierung hat uns dabei zum einen mehr Freiheiten in der erzählerischen Form gegeben und uns gleichzeitig ermöglicht auch das Universelle des Themas herauszuarbeiten. Dies ist letztlich dann auch aufgegangen, denn im Westen haben sich viele 68er mit den Themen des Films identifizieren können.