Karlheinz Böhm
Karlheinz Böhm wird am 16. März 1928 in Darmstadt als Sohn des Dirigenten Karl Böhm (1894-1981) und seiner Frau, der Sopranistin Thea Linhart, geboren. Er wächst in Hamburg und Dresden auf, besucht dort die Volksschule und die ersten Gymnasialklassen, ab 1940 ein Internat in Kufstein. 1942 ermöglichen ihm gefälschte ärztliche Atteste (Lungenkrankheit), Deutschland zu verlassen und das Lyceum Alpinum in Zuoz zu besuchen. Ende 1945 zieht er mit seinen Eltern nach Graz, macht dort am Kepler-Gymnasium sein Abitur und beginnt 1947 ein Germanistik- und Anglistik-Studium.
Obwohl Karlheinz Böhm Musiker werden will und soll – schon früh lernt er Klavierspielen –, ist er eher am Theater und Film interessiert. Während seiner Schulzeit in der Schweiz wirkt er 1940 im Schülertheater mit ("Ur-Faust"), als Student inszeniert er sein erstes Stück ("Chitra" von Rabindranath Tagore). 1948 arbeitet er in Wien als Regie-Assistent bei Karl Hartl, der ihm am Ende der Dreharbeiten zu "Der Engel mit der Posaune" zugleich eine erste kleine Rolle (als Sohn Maria Schells) anvertraut. Eine zweite Assistenz bei Géza von Cziffra findet aus Krankheitsgründen ein abruptes Ende. Böhm setzt sein Studium mit einem Semester Kunstgeschichte in Rom fort.
Ein Angebot für einen Willi Forst-Film (Arbeitstitel: "Klavierspielereien") lockt ihn zurück nach Wien. Er nimmt Unterricht an der Schauspielschule des Burgtheaters bei Helmuth Krauß und Albin Skoda, nur vier Monate später erhält er ein Burgtheater-Engagement und debütiert neben O. W. Fischer in "Der junge Herr von vierzig": "Eine unbedeutende kleine Rolle. Trotzdem bekam ich einen Jahresvertrag, den ich natürlich mit größter Freude annahm." (Böhm zu Schaake, 1985). Er erfüllt ihn als Partner von Käthe Dorsch in Somerset Maughams "Theater", 1949-53 spielt er am Theater in der Josefstadt.
1952 verpflichtet Hartl ihn für die Filmproduktion "Haus des Lebens" nach München, wo Böhm nun seinen Wohnsitz nimmt. Ein erster Erfolg wird im gleichen Jahr die Rolle eines verliebten Studenten in Arthur Maria Rabenalts "Alraune"-Version (mit Hildegard Knef, Erich von Stroheim). In den darauffolgenden Jahren wirkt er in rund 30 Filmen mit, zumeist in Rollen des aufrichtigen und seriösen jungen Mannes: als Arzt in "Die Sonne von St. Moritz" (1954), Pianist in "Unternehmen Schlafsack" (1955), Kriegsmariner in "Blaue Jungs" (1957).
Vor allem durch Ernst Marischkas Sissi-Trilogie ("Sissi", 1955; "Sissi, die junge Kaiserin", 1956; Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin", 1957), in denen er den österreichischen Kaiser Franz Joseph verkörpert, prägt er das Bild des jungen integren Helden. Mit Romy Schneider ein "Traumpaar" des deutschen Films, wird er zugleich zum sauberen Leinwand-Idol der 1950er Jahre: "Ich weiß nicht, wieviel Prinzen, Fürsten, Könige und Kaiser ich damals hätte spielen sollen. (...) Wirklich gute Angebote kamen nicht mehr." (Böhm, 1991).
Am Ende des Jahrzehnts versucht er, dieses Image zu modifizieren. Er dreht mehrere Filme in England, Frankreich und den USA, in denen differenziertere Charaktere darzustellen ihm gelingt, am gründlichsten in Michael Powells Psycho-Thriller "Peeping Tom" (1959). "Ich hatte die Rolle nicht angenommen, um bewußt etwas zu zertrümmern. (...) Ich wollte wegkommen von meinem rosaroten Marzipanschweinchen-Image der fünfziger Jahre." (Böhm zit. nach Phelix/Thissen, 1983).
Der Film wird in Großbritannien und der Bundesrepublik, wo er zunächst nur gekürzt und entstellt synchronisiert in die Kinos gelangt, von der Kritik verrissen: "Einen peinlicheren, schmierigeren, ekelhafteren Film kann man sich kaum denken. (...) Für diesen in klinischem Detail farbig auf der Leinwand festgehaltenen Wahn- und Unsinn hat sich der sonst so sympathische Böhm hergegeben." (Stuttgarter Nachrichten, 22.4.1960). Erst 1979 wird "Peeping Tom", auf dem New Yorker Filmfestival von Martin Scorsese präsentiert, als wiederentdecktes Meisterwerk gefeiert; in der Karriere Böhms markiert seine Rolle als psychopathischer Voyeur und Cineast freilich einen unübersehbaren Bruch. Nun becirct er Jayne Mansfield – in dem Striptease-Krimi "Too Hot to Handle" (1959, R: Terence Young) –, er agiert in dem Lynchjustiz-Drama "La croix des vivants" (1960, R: Yvan Govar), verkörpert einen Nazi-Offizier in "The Four Horsemen of the Apocalypse" (1962, R: Vincente Minnelli), einen sadistischen Agenten in "The Venetian Affair" (1966, R: Jerry Thorpe).
Nach einigen Gastauftritten in amerikanischen Fernsehserien zieht Böhm Mitte der 1960er Jahre nach Corregia (bei Lugano). Er spielt in den folgenden Jahren wieder Theater, geht mit Johanna Matz in "Das Himmelbett" auf Tournee. 1964 gibt er sein Regiedebüt mit "Elektra" an der Staatsoper Stuttgart (Musikalische Leitung: Karl Böhm), weitere Opern-Inszenierungen folgen ("Tosca" in Graz, "Der Zigeunerbaron" und "Peter und der Wolf" in München).
Ab 1970 arbeitet er kontinuierlich beim Fernsehen, moderiert u.a. eine TV-Serie über Ludwig van Beethoven. Er gastiert in Wien ("Ein Königreich auf Erden", 1971), Berlin ("Hedda Gabler", R: Rainer Werner Fassbinder, 1973), München und Frankfurt ("Onkel Wanja", R: Fassbinder).
Seinen Abschied von "Papas Kino" nimmt Böhm, der sich 1970 im österreichischen Wahlkampf für die SPÖ engagiert hat, 1973 in Harald Reinls verspätetem Heimatfilm "Schloß Hubertus". In den folgenden Jahren arbeitet er auch im Film intensiv mit Fassbinder zusammen. Er spielt den Geheimrat Wüllersdorf in "Fontane Effi Briest" (1972-74), den sadistischen Ehemann in "Martha" (1973), einen schwulen Kunsthändler in der Biberkopf-Variante "Faustrecht der Freiheit" (1974), einen Salonradikalen in der DKP-Satire "Mutter Küsters" Fahrt zum Himmel" (1975). Danach ist Böhms Filmlaufbahn beendet. Mit einer Ausnahme – einem Beitrag der münchner Jungfilmerin Susanne Blänkner in dem Episodenfilm "Inflation im Paradies" (1981/82) – tritt er ausschließlich an Theatern und im Fernsehen auf: als verdächtiger Cellist in der bayerischen "Tatort"-Folge "Schwarze Einser" (1978), in den Vorabend-Serien "Ringstrassenpalais" (1980) und "Die Laurents" (1981).
Seitdem Karlheinz Böhm am 16.5.1981 in der ZDF-Show "Wetten, daß..." die Fernsehzuschauer aufforderte, für die Hungernden in der Sahel-Zone zu spenden, engagiert er sich in Äthiopien durch die von ihm ins Leben gerufene Stiftung "Menschen für Menschen". In öffentlichen Auftritten präsentiert er sich nunmehr ausschließlich als Werber für die gute Sache, u.a. in der "Reportage am Montag", "Menschen für Menschen" (1984) und den Personality-Talkshows "Heut" Abend" (1983) und "Auf der Couch" (1991).
Karlheinz Böhm war mehrmals verheiratet: 1954-57 mit der Air France-Stewardess Elisabeth ("Li") Zonewa (Tochter Sissi, geb. 1955), 1958-62 mit der Schauspielerin Gudula Blau (Tochter Kristina, 1959; Sohn Michael, 1960; Tochter Daniela, 1961), 1963-80 mit der Schauspielerin Barbara Lass. Die aus dieser Ehe stammende Tochter Katharina (geb. 1964) wird gleichfalls als Kino- und Fernsehschauspielerin bekannt. 1991 heiratet er die Agrarexpertin Almaz Teshome (Sohn Nicolas, 1990; Tochter Aida, 1993).
Karlheinz Böhm, seit 2003 äthiopischer Ehrenstaatsbürger, lebt in Äthiopien und gelegentlich in Baldham bei München. Am 29. Mai 2014 stirbt er im Alter von 86 Jahren in Grödig bei Salzburg.
CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film
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