39. Berlinale Forum



Das 39. Forum der Berlinale zeigt insgesamt 48 Filme aus 31 Produktionsländern.

"Einmal um die Welt" ist dabei aber kein Zählergebnis, sondern steht für die mannigfaltigen Bezüge zwischen den Filmen, die es zu entdecken gibt, ihre oft geteilten Anliegen und verwandten Vorstellungswelten, aber auch ihre Gegensätze und Spiegelungen. Elf Filme sind Debüts, 25 Filme werden als Weltpremieren, zwölf als internationale Premieren gezeigt.



Das deutsche Filmschaffen ist in diesem Programm mit fünf Arbeiten vertreten: dokumentarische Filme von Hans-Christian Schmid, Ulrike Ottinger, Harun Farocki und Thomas Heise und der neue Spielfilm von Sebastian Schipper – ein erfreulich vielfältiges Bild.

Immer wieder haben Goethes "Wahlverwandtschaften" zu Verfilmungen inspiriert, aber so wie in Schippers "Mitte Ende August" hat man sie noch nicht gesehen: als spielfreudiges, sommerliches Erzählexperiment. Marie Bäumer, Milan Peschel, Anna Brüggemann, André Hennicke und ein einsames Haus auf dem Land spielen die Hauptrollen in dieser von historischem Ballast befreiten, zeitgenössischen Adaption, für die der Rockpoet Vic Chesnutt den Soundtrack komponierte.
In "Die Wundersame Welt der Waschkraft" interessiert sich Hans-Christian Schmid einmal mehr für die veränderten Koordinaten an der deutsch-polnischen Grenze. Sein Film folgt dem Weg der Schmutzwäsche von Berliner Hotelzimmern in eine polnische Großwäscherei und lässt die Menschen zu Wort kommen, durch deren Hände sie geht. Harun Farocki widmet sich in seinem neuen Film "Zum Vergleich" verschiedenen Techniken der Ziegelherstellung – vom handgeformten Lehmziegel bis zum Präzisionsbaustein als Hightech-Produkt. Während Farocki seine Beobachtungen in Burkina Faso, Indien und Frankreich macht, begibt sich Thomas Heise in seine eigenen Archive und damit in die Vergangenheit: In Material montiert er von ihm selbst dokumentierte, aber nie veröffentlichte Szenen der "Wende" von 1989 zu einem Panorama, das die Erinnerung herausfordert, aber vor allem von den weißen Flecken handelt, die der Fortgang der Geschichte im Gedächtnis zurücklässt. Auf eine Reise begibt sich einmal mehr auch Ulrike Ottinger. Ihr neuester Film "Die Koreanische Hochzeitstruhe" geht dem Verhältnis von Tradition und Moderne in der Megacity Seoul nach.

Dokumentarfilme, gerade wo sie in den Grenzbereich zum Erzählkino vorstoßen, spielen im Forum eine wichtige Rolle. Im diesjährigen Programm setzen sich auffallend viele davon mit Prozessen öffentlicher Meinungsbildung auseinander und ergeben zusammen betrachtet das Zeitbild einer Welt, in der Wissen zur Ware und Meinungspolitik ein Spiel mit dem Feuer geworden ist.

Die unrühmliche Rolle des Staates als Anheizer von Konflikten bildet etwa den Hintergrund für den thailändischen Dokumentarfilm "Citizen Juling". Nach dem brutalen Angriff eines fanatischen Mobs auf zwei Lehrerinnen im Frühjahr 2006 begaben sich die Filmemacherin Ing K und der Politiker und Menschenrechtsaktivist Kraisak Choonhavan auf eine Reise quer durch Thailand, ein von Gewalt und Vorurteilen gespaltenes Land. "Citizen Juling" ist der Versuch, Film zum Werkzeug eines Versöhnungsprozesses werden zu lassen. Ähnliches gilt auch für zwei Filme, die sich mit gewaltsamen Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent befassen. Eine Auswahl von vier kürzeren Dokumentationen des südafrikanischen Kollektiv-Projekts "Filmmakers against racism" setzt sich mit den fremdenfeindlichen Gewaltexzessen auseinander, die das Land im Mai 2008 erschüttert haben. Christophe Gagnots Dokumentation "D’Arusha à Arusha" gilt dagegen den Langzeitfolgen des Genozids, dem 1994 in Ruanda fast eine Million Menschen zum Opfer fielen. Auf spannende und erhellende Weise kontrastiert sein Film die juristische Aufarbeitung durch die internationale Gerichtsbarkeit in Arusha mit persönlicher und zwischenmenschlicher Traumabewältigung.
"Defamation" von Yoav Shamir (im Forum 2008 mit "Flipping Out") sollte ursprünglich ein Film über die zeitgenössischen, oft subtilen Spielarten des Anti-Semitismus werden. Shamirs Recherchen im Umfeld der New Yorker Anti-Defamation League (ADL) brachten ihn allerdings auch auf die Fährte eines ganz anderen Phänomens: den heiklen Umgang mit dem Nimbus des fortwährenden Opfers. Wie ein Spiegelbild dazu wirkt die Dokumentation "Letters to the President" des tschechischen Filmemachers Petr Lom: sein Interesse gilt den Briefen, die Millionen von Iranern, von staatlicher Propaganda ermuntert, ihrem Präsidenten schreiben. Allzu oft sind diese Briefe Indizien für die erfolgreiche Manipulation der öffentlichen Meinung durch einen Staat, der das Selbstbild gläubiger Muslime als von aller Welt Verfolgte zementiert.

Von den Langzeitfolgen und Verwerfungen einer Politik des Hasses erzählen zwei weitere Filme im Programm. Simone Bittons investigativer Dokumentarfilm "Rachel" rollt den Fall der amerikanischen Friedensaktivistin Rachel Corrie auf, die im Jahr 2003 bei dem Versuch zu Tode kam, die Zerstörung von Häusern im Gazastreifen zu verhindern. Der Libanese Simon El-Habre porträtiert in "The One Man Village" seinen Onkel Semaan, den einzigen Bewohner eines Bergdorfes, das der libanesische Bürgerkieg zu einem Geisterdorf gemacht hat. Bei aller Traurigkeit ist dieser wunderbar fotografierte Film auch eine Geschichte über das Glück eines Lebens in Frieden.

Quelle:
www.berlinale.de