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Alle Fotos (3)Biografie
Thomas Heise wurde am 22. August 1955 in Ost-Berlin (damals DDR) als Sohn des renommierten Philosophieprofessors Wolfgang Heise geboren. Nach einer Lehre als Drucker (1971 bis 1973) und einem 18-monatigen Wehrdienst in der NVA arbeitete er ab 1975 als Regieassistent im DEFA-Studio für Spielfilme. In dieser Funktion war er unter anderem an Wolfgang Hübners "Der Meisterdieb" (1978) und Heiner Carows "Bis daß der Tod euch scheidet" (1978) beteiligt. Parallel dazu holte er auf der Abendschule sein Abitur nach.
1978 nahm Heise ein Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen 'Konrad Wolf' in Potsdam-Babelsberg auf (heute: Filmuniversität Babelsberg). Dort geriet er jedoch bald mit der Zensur in Konflikt: Sein Kurz-Dokumentarfilm "Wozu denn über diese Leute einen Film?" (DDR 1980), über den Alltag zweier junger Kleinkrimineller, erhielt ein umgehendes Aufführungsverbot. 1982 brach Heise das Studium ab und begann, als freier Autor und Regisseur in den Bereichen Theater, Hörspiel und Dokumentation zu arbeiten. Unter anderem drehte er mit "Das Haus" (1984) und "Volkspolizei" (1985) Dokumentationen für die Staatliche Filmdokumentation der DDR; diese waren nicht für das zeitgenössische DDR-Publikum, sondern für spätere Generationen bestimmt, und sollten einen ungeschönten und unzensierten Blick auf den DDR-Alltag zeigen.
Bis zum Ende der DDR arbeitete Heise auch an eigenen Projekten, die jedoch durch "operative Mittel" blockiert, eingezogen oder zerstört wurden. Während dieser Jahre begann Heise auch mit ersten Recherchen für spätere Filme, etwa zu "Eisenzeit" und "Vaterland". Ein künstlerisches Zuhause fand er in der DDR am Theater, speziell am Berliner Ensemble, wo er eng mit Heiner Müller zusammenarbeitete. Außerdem machte er von 1987 bis 1990 seinen Magister an der Berliner Akademie der Künste, wo er Meisterschüler Gerhard Scheumanns war.
Während dieser Zeit produzierte Heise für den Rundfunk der DDR das Radio-Feature "Widerstand und Anpassung – Überlebensstrategie. Erinnerungen eines Mannes an das Lager Dachau" (1987); die Basis dafür bildeten Gespräche mit dem Schauspieler und KZ-Überlebenden Erwin Geschonneck, einem der großen Schauspielstars der DDR. Doch einmal mehr geriet Heise mit der DDR-Zensur in Konflikt – trotz Geschonnecks persönlichem Einsatz landete das Feature aus politischen Gründen direkt im Archiv. Erst Anfang Dezember 1989, vier Wochen nach dem Mauerfall, wurde es schließlich vom Berliner Rundfunk gesendet.
Der große Durchbruch als Filmemacher kam für Thomas Heise erst nach der Wende und dem Ende der DDR. Sein höchst kontrovers diskutierter Dokumentarfilm "Stau – Jetzt geht's los" (1992) über die rechtsradikale Jugendszene in Halle an der Saale gewann den Hauptpreis beim Dokumentarfilmfestival Duisburg und wurde mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichnet; außerdem erhielt der Film den 1. Preis der Niederländischen Fernsehakademie und den 1. Preis des Dänischen Filminstituts. "Barluschke" (1997), über Berthold Barluschke, der zunächst ein Handlanger des Stasi und dann des BND war, erhielt die Silberne Taube beim DOK Festival Leipzig.
Auch sonst befasste Heise sich in seinen Arbeiten mit gesellschaftlichen Aspekten in der ehemaligen DDR und deutsch-deutschen Beziehungen, mit Themen wie Privatisierung, Neuorganisation des industriellen Umfelds, Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus. Parallel zu seinem filmischen Schaffen war er bis 1998 als Regisseur beim Berliner Ensemble aktiv.
Für "Neustadt. (Stau - der Stand der Dinge)" (2000), in dem er erneut die rechtsextremen Jugendlichen und ihre Familien in Halle Neustadt besuchte, erhielt Heise den Preis der deutschen Filmkritik für den Besten Dokumentarfilm. 2002 wurde er von der DEFA-Stiftung mit dem Preis zur Förderung der deutschen Filmkunst geehrt. "Vaterland" (2002), eine Porträt des sachsen-anhaltischen Dorfes Straguth, in dem Heises Vater während des Krieges als Gefangener einsaß, wurde mit der Silbernen Taube beim Festival Dok Leipzig ausgezeichnet und gewann beim Festival Visions du Réel in Nyon (Schweiz) den Preis der SRG SSR idée suisse. "Mein Bruder. We Will Meet Again", ein Porträt seines in Frankreich lebenden Bruders, lief im Forum der Berlinale 2005. Eine dritte Silberne Taube erhielt er für "Kinder. Wie die Zeit vergeht" (2007), seinen dritten Dokumentarfilm über die Menschen in Sachsen-Anhalt nach der Wende; darüber hinaus erhielt der Film eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis.
Im Forum der Berlinale 2009 wurde "Material" uraufgeführt, eine Sammlung von Beobachtungen und fragmentarischen Dokumentarszenen, aufgenommen zwischen 1988 in der DDR und dem Jahr 2008 in Deutschland. "Material" bildete gewissermaßen den Abschluss einer Schaffensperiode, denn in seinen folgenden Filmen erweiterte Heise sein Themenspektrum sehr deutlich: "Sonnensystem" (2011) porträtiert das Leben einer vom Verschwinden bedrohten indigenen Gemeinschaft in den Bergen Nordargentiniens; "Gegenwart" (2012) schildert den Alltag in einem Krematorium zwischen Heiligabend und Neujahr; "Die Lage" (2012), dokumentiert den Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland; "Städtebewohner (2014) zeigt den Alltag jugendlicher Gefängnisinsassen in Mexiko City.
Mit "Heimat ist ein Raum aus Zeit" (2019) realisierte Heise wieder einen sehr persönlichen Film: Anhand von Dokumenten aus seinem Privatarchiv zeichnet er darin die Geschichte seiner Familie über vier Generationen zwischen Wien, Dresden und (Ost-)Berlin nach. Der Film feierte im Forum der Berlinale 2019 Premiere und wurde dort mit dem Caligari-Filmpreis ausgezeichnet. Weitere, auch internationale Auszeichnungen folgten.
Vom Wintersemester 2007/08 bis zum Sommersemester 2013 war Thomas Heise Professor für Film an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Seither ist er Professor für Kunst und Film an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Nach kurzer, schwerer Krankheit starb Thomas Heise am 29. Mai 2024 in Berlin.