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Dokumentarisches Porträt des legendären Filmemachers Rainer Werner Fassbinder, der 1982 im Alter von nur 37 Jahren starb. Er gehört zu den Ikonen des Neuen Deutschen Films, drehte über 40 Filme und behandelte auf oft provokante Weise Themen wie Familie, Ehe, Terrorismus, Kapitalismus, Fremdenfeindlichkeit und Korruption. Er scharte einen künstlerischen "Clan" um sich und machte Schauspielerinnen wie Margit Carstensen, Hanna Schygulla und Irm Hermann berühmt. Fassbinder war ein von seiner Arbeit besessener Künstler, führte ein exzessives Leben, konsumierte Alkohol und andere Drogen. Neben Weggefährten erzählen in dem Film auch Regisseure nachfolgender Generationen von Fassbinders Einfluss auf ihr Werk. Darüber hinaus gewährt "Die Fassbinder Story" erstmals Zugang zu exklusiven Bildern, Texten und Tönen aus dem Archiv der Rainer Werner Fassbinder Foundation.
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Überhaupt Irm Hermann. Die oft so spröde erscheinende Theaterschauspielerin zeigte sich nicht nur beim Prenzlberger Event in aufgeräumter Stimmung, sondern auch vor Martin Farkas' Kamera in Annekatrin Hendels Film, der mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod mit einem Kunstgriff einen neuen Zugang zum Phänomen Fassbinder ermöglicht. Und das gerade einer jungen Generation, die RWF nur vom Hörensagen ihrer (Groß-) Eltern kennt: Die Berliner Dokfilmerin lässt den Theater- und Filmrebellen, der schon im zarten Alter von zwölf Jahren wusste, dass er fürs Kino drehen würde, seine Geschichte in weiten Teilen selbst erzählen.
Indem sie autobiographische Elemente der Werke Fassbinders mit bisher unveröffentlichten Passagen aus seinem schriftstellerischen Frühwerk und Selbstzeugnissen seltener Interviews miteinander verschweißt. „Fassbinder“, ein Wunschprojekt der seinerzeit blutjungen Cutterin Juliane Maria Lorenz, die 1978 in Fort Lauderdale/USA Fassbinders letzte Gattin wurde, zeigt RWFs erste künstlerische Ambitionen als Internatsschüler, die Zeiten der Unruhe und des Aufbruchs, seine skandalöse Lebensweise und erzählt davon, mit welch rasender Energie Fassbinder die deutsche Kulturlandschaft umpflügt. Als Präsidentin und Geschäftsführerin der Rainer Werner Fassbinder Foundation verwaltet sie heute nicht nur sein Erbe, sondern besitzt seit dem Tod von Fassbinders Mutter Lilo Eder auch die Rechte daran.
Fassbinders erster Film „Liebe ist kälter als der Tod“ wird auf der Berlinale 1969 ausgepfiffen, dokumentarische Aufnahmen zeigen das heute schier unglaubliche Pfeifkonzert der versammelten Kritiker nach der Vorführung im Zoo-Palast. Mit „Katzelmacher“ gewann er bereits den Bundesfilmpreis – und von nun an gings steil bergauf mit dem Bürgerschreck, der 1974 auch noch die Intendanz des Frankfurter Theaters am Turm, kurz TaT genannt, übernahm. Und mit seinem Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ für einen der größten Theaterskandale der Nachkriegszeit sorgte.
„Die Ehe der Maria Braun“ brachte nicht nur zwei Silberne Bären auf der Berlinale, sondern den ersten Welterfolg: allein in New York lief der Film 54 Wochen lang am Stück. Nachdem Fassbinder auch das Mammut-Projekt einer Verfilmung des Döblin-Romans „Berlin Alexanderplatz“ fürs immer wichtiger werdende Medium Fernsehen gestemmt hatte, krönte der Goldene Bär für „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ sein Werk - kurz vor seinem Tod.
Annekatrin Hendels Film geht chronologisch vor – und nimmt kein Blatt vor den Mund. Offene Wunden wie Fassbinders Beziehung zu Günther Kaufmann, den er später wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, und zu seiner Ehefrau Ingrid Caven, die Fassbinders letzte, in den USA geschlossene und in Deutschland nicht beglaubigte Ehe nie anerkannt hat, werden ebenso thematisiert wie seine Rücksichtslosigkeit Juliane Maria Lorenz gegenüber. Von größtem Interesse aber, zumal es nur wenig Material darüber gibt, sind die O-Töne von Peer Raben, Harry Baer und Hark Bohm zur Münchner antiteater-Zeit. Und die sehr offenen Bekenntnisse „seiner“ Frauen Hanna Schygulla, Irm Hermann und Margit Carstensen zur künstlerischen wie sexuellen Abhängigkeit zu einem offen bisexuellen Machtmenschen, der als Regisseur seinen Bett-Favoriten die besten Rollen zuschustern, ja geradezu auf den Leib schneidern konnte.
Die persönlichsten Worte kommen von einer nach wie vor enthusiasmierten Irm Hermann, die klügsten von Volker Schlöndorff, der den jungen RWF mit der Titelrolle in seiner Brecht-Verfilmung „Baal“ betraute. Die Fernsehproduktion des Bayerischen Rundfunks wurde von Helene Weigel persönlich verboten und konnte 2014 in einer restaurierten Fassung auf der Berlinale wieder – nun auf großer Kinoleinwand – gezeigt werden. Für Schlöndorff – und Alexander Kluge – war Fassbinders Beitrag zum Kompilationsfilm „Deutschland im Herbst“ der persönlichste und gleichzeitig der am meisten politische Beitrag: Fassbinder am Küchentisch im Gespräch mit seiner Mutter Lilo Eder über die Nazizeit. Sie war übrigens bis zuletzt Fassbinders Filmgeschäftsführerin, nachdem ihr Sohn einen Berg von 200.000 Mark allein an Steuerschulden aufgehäuft hatte. Stinkstiefel, Manipulator und charmanter Kerl: Wie das zusammengeht zeigt „Fassbinder“.
Pitt Herrmann