Kino und Migration
Mit seinem Melodram "Gegen die Wand" hat der Regisseur Fatih Akin dem deutschen Film den ersten Berlinale-Sieg seit 1986 beschert. Der Goldene Bär und fünf Deutsche Filmpreise für Akins Geschichte um eine Deutschtürkin hat eine ganze Generation junger Filmemacher/innen und Darsteller/innen mit Migrationshintergrund ins Rampenlicht gerückt – obwohl diese bereits seit einigen Jahren einen erheblichen kreativen Beitrag zum deutschen Filmgeschehen leisten.
Bilder von Einwanderern
Für die meisten Kinogänger besteht das aktuelle "Kino der Migranten" aus schnellen und hippen Filmen von und mit jungen "Ausländer/innen", in denen die "Szene" mal mehr, mal weniger gelungen als lässige Entsprechung zu amerikanischen Genre-Vorbildern dargestellt wird: "Kanak Attack", "Kurz und schmerzlos", "Freunde", "Lost Killers" oder der Kreuzberger Hip-Hop-Film "Status Yo" haben das Bild eines coolen Kiez- oder Ghetto-Milieus geprägt. Tatsächlich ist das aktuelle Kino von und über Migranten weit vielfältiger, als diese Bespiele vielleicht vermuten lassen. Andererseits hat es viele Jahre, ja sogar Jahrzehnte gedauert, bis das Kino der Einwanderer und ihrer Kinder zu dieser Vielfalt und Souveränität gelangen konnte.
Bereits in den frühen 60er Jahren, ganz zu Beginn der Einwanderungswelle im Zuge der Arbeitsmigration aus Ländern wie der Türkei, Griechenland und Italien also, gab es vereinzelt Filme, die sich mit dem Schicksal von Migranten in Deutschland beschäftigten. Das Liebesdrama "Bis zum Ende aller Tage" (1961) dürfte der erste Spielfilm gewesen sein, der sich mit den Anfeindungen, Vorurteilen und Ausgrenzungen befasste, denen ausländische Bürger damals ausgesetzt waren. 1965 versuchte Franz Antel in dem österreichischen Heimatfilm "Ruf der Wälder" die Probleme der so genannten "Gastarbeiter" zu thematisieren.
Die 70er und 80er Jahre
Mitte der 70er Jahre kam es dann zu einem regelrechten Schub an Filmen, welche die Probleme und Krisen der Migranten in allen Facetten und in ungeschönter Form darstellten. Von "In der Fremde" des Exil-Iraners Sohrab Shahid Saless einmal abgesehen, stammten diese Filme zunächst fast durchweg von deutschen Regisseuren und Regisseurinnen: Christian Ziewer ("Aus der Ferne sehe ich dieses Land"), Helma Sanders ("Shirins Hochzeit"), Rainer Werner Fassbinder ("Angst essen Seele auf") und Werner Schroeter ("Palermo oder Wolfsburg") sind hier nur die markantesten Beispiele – Filmemacher, die in ihrem Schaffen stets ein feines Gespür für gesellschaftspolitische Probleme bewiesen haben. Sie stellten auf künstlerischer Ebene das Sprachrohr für eine gesellschaftliche Randgruppe, die über keine Lobby verfügte – nicht im gesellschaftlichen Leben, und in der Kunst schon gar nicht.
Aber auch als in den 80er Jahren zunehmend Filmemacher wie Tevfik Baser ("40 qm Deutschland") in Deutschland oder Bernard Safarik ("Das kalte Paradies") in der Schweiz begannen, die Lebensumstände ihrer Landsleute "in der Fremde" zu thematisieren, blieb das (filmische) Bild der Migranten doch weitgehend dasselbe: der Ausländer als lediglich geduldeter, zugleich aber ausgebeuteter, unterdrückter und gedemütigter "Gastarbeiter" in einer arroganten, von Ignoranz und Vorurteilen geprägten Gesellschaft. Seltene Versuche, das Verhältnis zwischen "In- und Ausländern“ mit satirischem Humor zu betrachten, gab es in Österreich ("Ilona und Kurti") und der Schweiz ("Die Schweizermacher"). Vor allem das deutsche Kino jedoch führte den "so genannten Gastarbeiter mit aufklärerischem Impetus als Opfer einer wirtschaftsorientierten Ausländerpolitik vor, die sich nicht um Integration scherte", wie es Katja Nicodemus in der "Zeit" auf den Punkt bringt.
Zusammenprall der Kulturen
Wenn überhaupt, kamen positive deutsche Charaktere in diesen Filmen als sehr didaktisch eingesetzte Gutmenschen daher, wie etwa der idealistische Rechtsanwalt in "Jannan – die Abschiebung". Solche Figuren blieben gleichsam die Ausnahme. Zugleich wurde in Spielfilmen wie "Palermo oder Wolfsburg", aber auch in Dokumentarfilmen wie "Die Kümmeltürkin geht" zumindest unterschwellig der Eindruck vermittelt, dass in der südländischen bzw. orientalischen Mentalität und der mitteleuropäischen Lebensweise zwei so unterschiedliche Kulturkreise aufeinander treffen, dass Konflikte unvermeidlich sind. Nur in wenigen Filmen, wie in Tefvik Basers "Abschied vom falschen Paradies" etwa, kommt es zu einer harmonischen, von Respekt geprägten Verständigung zwischen den Kulturen. Und selbst wenn in einem Film wie Basers "40 qm Deutschland" die Rollenverteilung einmal umgedreht wird und die Vorurteile eines Türken gegenüber seinem Gastland den Kern des Konflikts darstellen: Der Versuch eines Zusammenlebens ist in den "Migrantenfilmen" der 70er und 80er Jahre fast immer zum Scheitern verurteilt.
Die 90er Jahre: Einwanderer(kinder) hinter der Kamera
Nachdem die Generation ihrer Eltern in den 70er und 80er Jahren vor allem von Regisseuren und Regisseurinnen deutscher Herkunft in Spiel- und Dokumentarfilmen porträtiert wurde, übernahm in den 90er Jahren die Generation der in Deutschland geborenen Einwandererkinder zunehmend selbst die Regie bei der filmischen Inszenierung ihrer Träume, Sorgen und Hoffnungen. Zunächst in Dokumentarfilmen wie Serap Berrakarasus "Töchter zweier Welten", der eine junge, selbstbewusste Deutschtürkin und ihre an traditionellen Werten orientierte Mutter porträtiert. Mittlerweile zeugen zahlreiche Spielfilme von Regisseuren wie den "Deutschtürken" Fatih Akin ("Kurz und schmerzlos"), Thomas Arslan ("Geschwister – Kardeşler") und Züli Aladag ("Elefantenherz"), den "Deutschgriechen" Filippos Tsitos ("My Sweet Home") und Daphne Charizani ("Madrid"), dem "Deutschkroaten" Damir Lukacevic ("Heimkehr"), dem in Deutschland lebenden Georgier Dito Tsintsadze („Schussangst“) oder den Regisseurinnen Nadya Derado ("Yugotrip"), Ayşe Polat ("En Garde") und Buket Alakus ("Anam") bei allen stilistischen Unterschieden vom neuen Selbstbewusstsein der zweiten Migrantengeneration. Die Helden und Heldinnen dieses Kinos bieten dem Publikum keine konfliktfreien, aber durchaus positive Identifikationsfiguren, deren Handeln von Energie und Lebenslust geprägt ist, statt von Resignation und Heimweh. Das Thema Migration spielt zwar noch immer eine mal mehr, mal weniger große Rolle – doch anders als für ihre Eltern ist das Leben "zwischen den Kulturen" für sie kaum ein Thema mehr. Keine Spur mehr von jener Larmoyanz oder Depression, wie sie in den "Immigrantendramen" deutscher Regisseure der 70er und 80er Jahre so typisch war. Im Gegenteil: "(Es) handelt sich um ein Kino, das gerade nicht von jugendlicher Delinquenz, sozialen Brennpunkten, kultureller Isolation oder Ghettoisierung handelt", so Katja Nicodemus in der "Zeit". Vielmehr, so Nicodemus weiter, erzählten diese Filme von einer Perspektive, "die in einer globalisierten, von Migrantenbewegungen geprägten Welt so millionenfach normal geworden ist, dass man eigentlich kein Wort mehr darüber verlieren möchte."
Migration ist kein Pflichtthema mehr
Natürlich handelt beispielsweise Fatih Akins Berlinale-Sieger "Gegen die Wand" auch ganz konkret von den Problemen einer jungen Deutschtürkin, die versucht, sich aus dem beengenden moralischen Kosmos ihrer konservativen Familie zu befreien. Zugleich aber bewegt der Film sich weit jenseits der Linie, die "deutsches" und "ausländisches" Kino voneinander trennt. Sehr schnell erkennt man die von Akin behandelten Themen als so universell, dass es schwer fällt, hier von "Migrantenkino" oder speziell "türkischen" Konflikten zu sprechen. Andere transnationale Regisseure sind über die Frage nach "Ausländer"- oder "Migranten"-Themen sowieso schon hinweg. Mennan Yapo beispielsweise hat mit "Lautlos" (2004) einen waschechten Thriller um einen (deutschen) Profikiller inszeniert. Und die Filme des preisgekrönten Dokumentar- und Spielfilmregisseurs Romuald Karmakar ("Warheads", "Manila"), der sich ohnehin dagegen wehrt, als "ausländischer" Regisseur eingeordnet zu werden, drehen sich seit jeher fast ausschließlich um deutsche Charaktere und die Konflikte in einem dezidiert deutschen (Klein)-Bürgermilieu. Eine thematische Gewichtung, die Karmakar mit einem Vertreter der "älteren Generation" transnationaler Regisseure, nämlich dem Exil-Iraner Sohrab Shahid Saless verbindet, der in Filmen wie "Ordnung" (1980), "Empfänger Unbekannt" (1983) und "Utopia" (1983) einen überaus bitteren Blick auf deutsche Lebensrealitäten warf – und mit "Die langen Ferien der Lotte H. Eisner" (1979) einen Dokumentarfilm über eine der bekanntesten Filmkritikerinnen der deutschen Stummfilmära drehte.