Inhalt
Seit über dreißig Jahren ist die 69jährige Änderungsschneiderin Inge mit Werner verheiratet. Die beiden verleben einen normalen, geruhsamen Lebensabend ohne große Aufregungen. Dann schlägt in diesem hohen Alter aus heiterem Himmel noch einmal die Liebe zu: Inge verliebt sich Hals über Kopf in den 76jährigen Karl und beginnt mit ihm eine leidenschaftliche Liebesaffäre. Sie erzählt Werner von Karl und von ihren heftigen Gefühlen, was ihn völlig vor den Kopf stößt. Nie hätte er geahnt, dass seine Frau sich so impulsiv wie ein junges Mädchen in eine neue Liebe stürzen könnte. Als sie ihn schließlich sogar verlässt, bricht für Werner eine Welt zusammen.
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Doch was fragt Leidenschaft danach, die brennende Sehnsucht eines Backfischs? Mit Werner fließt das Leben in gewohnten alltäglichen Bahnen dahin. Sie singt im Senioren-Frauenchor, er hört daheim Schallplatten mit bestimmten Lokomotivgeräuschen, und ab und an machen beide gemeinsam einen Ausflug mit der Bahn. Ist doch schön, wenn die Landschaft so am Zugfenster vorbeizieht...
Nach dem ersten Mal stiehlt Inge sich noch heimlich aus Karls Wohnung. Sie hat schließlich Familie, Tochter Petra, zwei süße Enkelkinder und den Schwiegervater (Peter Schmidt), der in einem Seniorenheim in Prenzlberg lebt. Schließlich: Mit Werner klappts auch noch im Bett. Andererseits: Die Ehe mit dem pensionierten Eisenbahner gleicht einem Abstellgleis, die neue emotionale Herausforderung mit Karl dagegen erscheint ihr wie ein Aufbruch zu neuen Gestaden.
Karl nimmt Inge mit zum Steher-Rennen, radelt mit ihr ins Grüne, beide baden nackt im Baggersee und lieben sich wie Backfische wo immer es geht - mit der Erfahrung, das Liebe Zeit braucht und sie alle über Zeit nicht mehr verfügen. Gegen den ausdrücklichen Rat ihrer Tochter beichtet Inge ihrem Gatten ihre neue große Liebe – und Karl stellt sie vor die Entscheidung, sich von Werner zu trennen oder von ihm. Auf die Frage, was er falsch gemacht habe, antwortet Inge ihrem Mann, den sie immer noch liebt: „Vielleicht hat alles seine Zeit.“ Werners Zeit ist abgelaufen, nach dreißig Jahren Ehe packt Inge ihre Sachen...
„Das Altern, und damit letztlich auch der Tod, sind Teile des Lebens“: Andreas Dresen erzählt mit „Wolke 9“ eine ebenso wunderbare wie kompromisslose Liebesgeschichte fernab gesellschaftlicher Klischees. Der 1963 in Gera geborene und heute in Potsdam lebende Regisseur im Presseheft über seinen Film, der auch eine Geschichte über die zerstörerische Kraft der Liebe erzählt: „Die krasseste Konstruktion schien mir, dass eine Frau ihren älteren Mann für einen noch älteren verlässt. Das ist die größte gesellschaftliche Unmöglichkeit und am Ende gewissermaßen ein Sieg der Unvernunft.“
Sein Kammerspiel, das bei der Uraufführung nicht nur mit stehenden Ovationen gefeiert, sondern auch mit dem „Coup de Coeur“ ausgezeichnet wurde, lebt von der Improvisationskunst dreier großartiger (Bühnen-) Schauspieler und des kleinen Dresen-Teams, das schon den Erfolgsstreifen „Halbe Treppe“ ohne festes Drehbuch mit digitaler Technik größtenteils in Echtzeit gedreht hat. Michael Hammons lange Kamera-Einstellungen rücken die Gesichter und Körper der drei Darsteller, der agile Horst Westphal ist mit sage und schreibe 79 Jahren Senior des Protagonisten-Trios, ohne jede Kunstlicht-Effekte ins Zentrum – von verschwitztem Voyeurismus oder gar Peinlichkeit keine Spur. Die Schweißperlen auf der Stirn und anderswo sind echt. Andreas Dresen: „Ich sehe in gealterten Gesichtern viel Lebenserfahrung und unzählige Geschichten. Ich habe mich in diese Gesichter während des Drehens geradezu verliebt und gerne lange Großaufnahmen gemacht.“
Der Filmtitel stammt übrigens aus dem Englischen: „Cloud 9“ ist dort das Idiom für unseren „siebten Himmel“. In dem Inge schwebt – und damit gleichzeitig ihren langjährigen Gatten in die Verzweiflung stürzt. „Wolke 9“ hat kein happy end, ist aber auch keine Tragödie. Sein leidlich tröstliches Ende ist nicht nur ein Plädoyer für die Generation „Silver Sex“, mit ihrem Bedürfnis nach Liebe und Sexualität offen und offensiv umzugehen. Sondern auch eine Bestärkung der Oma-Generation für ein endlich selbstbestimmtes Leben.
Pitt Herrmann