Agfacolor – Geschichte eines Farbverfahrens

von Gert Koshofer

Der folgende Text skizziert den Werdegang und die Verbreitung des Agfacolor-Verfahrens. Als Materialien dazu finden Sie Listen mit nahezu allen Filmen, die mit diesem Verfahren hergestellt wurden, darüber hinaus eine Aufstellung der gängigen Kine-Farbnegativfilme von Agfa (Wolfen und Leverkusen) sowie Quellen- und Literaturhinweise.
 

Quelle: Gert Koshofer
Agfacolor-Credit

"Agfacolor" ist wie "Technicolor" ein technischer, aber ebenso ein ästhetischer Begriff, der untrennbar mit der Geschichte des Kinofilms nicht nur in Deutschland verbunden ist. Inzwischen markiert er eine in sich zeitlich und technisch abgeschlossene Periode, denn Agfacolor existiert schon lange nicht mehr als Aufnahme- und Kopiermaterial, und damit hergestellte Filme sind nur noch gelegentlich im Fernsehen oder auf DVD zu finden. Darunter sind zwar auch restaurierte Filme, doch zahlreiche Werke aus der Zeit des Dritten Reichs sind nach wie vor unbearbeitet. Auch werden immer wieder Original-Negative und -Positive nach der Digitalisierung der entsprechenden Werke vernichtet - aus filmhistorischer Sicht eine erschreckende Entwicklung.

Eine Pionierleistung
Nach der schon 1936/1937 erfolgten Einführung der Agfacolor-Umkehrfilme (Dia- und Schmalfilme) wurde das Agfacolor Negativ/Positiv-Verfahren 1936 bis 1939 ausgearbeitet. Es gilt als eine echte Pionierleistung, weil es damit erstmals gelang, Mehrschichtenfilme mit in den Schichten eingelagerten Farbkupplern (zur Farbstofferzeugung im Entwicklungsprozess ) herzustellen, die sich ähnlich wie Schwarzweißfilme von einem Negativ auf ein Positiv kopieren lassen. Die fast gleichzeitig auf den Markt gekommenen Kodachrome-Filme arbeiteten dagegen mit Farbkupplern in den drei Entwicklerlösungen und waren für den Negativ/Positiv-Prozess ungeeignet. In den USA und in England bediente man sich noch vor allem des Technicolor-Verfahrens, das mit seinen Spezialkameras (Beam Splitter Camera) und farbig gedruckten Kopien (Dye Transfer) kompliziert und aufwendig war. Das einfachere Negativ/Positiv-Verfahren stand bis Anfang der 1950er Jahre in den USA noch nicht zur Verfügung. Neben dem von den NS-Machthabern geförderten Kinofilm galt die Ausarbeitung des Agfacolor-Verfahrens dem farbigen Papierbild, welches erst 1949/1950 in beiden deutschen Staaten eingeführt werden konnte.

Quelle: Murnau-Stiftung, DIF
"Münchhausen" (1943) mit Hans Albers (rechts)

Vor 1939 hatte man in Deutschland mit den zur Verfügung stehenden Farbfilm-Verfahren - darunter der Agfa Bipack/Ufacolor Zweifarbenfilm, Gasparcolor und der Siemens-Berthon/Opticolor Linsenrasterfilm - mangels technischer Vollkommenheit keine abendfüllenden Spielfilme, sondern nur Kultur- und Werbefilme sowie wenige Farbinserts in Spielfilmen produziert. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden im Deutschen Reich dann mit Agfacolor 13 abendfüllende Spielfilme: acht von der UFA, darunter "Münchhausen" mit Hans Albers, je zwei von Terra und Tobis, einer von Wien Film). Der erste Spielfilm war "Frauen sind doch bessere Diplomaten" der UFA (Regie: Georg Jacoby), dessen Produktion sich wegen verschiedener Probleme, darunter der Farbwiedergabe, von Juli 1939 bis zur Premiere am 31. Oktober 1941 hinzog. Die Leistungsfähigkeit des inzwischen optimierten Agfacolor bewies dann der nachfolgende UFA-Film "Die goldene Stadt" (Regie: Veit Harlan, 1942). Veit Harlan war es vergönnt, während des Krieges vier Farbfilme mit dem Farbspezialisten Bruno Mondi hinter der Kamera zu inszenieren, nämlich auch "Immensee" (1943), "Opfergang" (1944) und den berüchtigten "Durchhaltefilm" "Kolberg" (1945). Drei Spielfilme wurden erst nach dem Krieg von der DEFA vorführreif gemacht, darunter 1946 "Die Fledermaus" (Terra 1944). Drei weitere Spielfilme, davon einer von der deutschen Prag-Film - "Shiva und die Galgenblume", Regie: Hans Steinhoff -, blieben 1945 unvollendet und sind nur in Fragmenten erhalten. Daneben wurde Agfacolor für mehrere Kultur- und Dokumentarfilme sowie zahlreiche Werbefilme benutzt.

Quelle: DIF
"Verwitterte Melodie" (1943)

Beschlagnahme und Neubeginn
1945 fiel die Agfa Filmfabrik in Wolfen in sowjetischen Besitz und wurde dann eine Abteilung der Staatlichen Sowjetischen Aktiengesellschaft "Photoplenka". Die Farbfilmfabrikation wurde aber schon bald wieder aufgenommen. Nach sowjetischen und tschechischen Filmproduktionen mit Material, das entweder erbeutet oder als Reparationsleistung neu in Wolfen hergestellt worden war, stand Agfacolor erst ab 1950 wieder in Österreich und beiden deutschen Staaten zur Verfügung. Die ersten Spielfilme waren 1950 "Das Kind der Donau" (Regie: Georg Jacoby, Österreich), "Schwarzwaldmädel" (Regie: Hans Deppe, BRD) und "Das kalte Herz" (Regie: Paul Verhoeven, DDR). Die in den Bayerwerken in Leverkusen neu errichtete Agfa Filmfabrik begann 1951 mit der eigenständigen Fabrikation von Agfacolor Negativ- und Positiv-Kinofilmen, weil das Stammwerk in Wolfen in der DDR als "verloren" galt. Dort wurde die Marke Agfacolor nur bis zur Warenzeichenumstellung 1964 aufrechterhalten, um dann aus wirtschaftspolitischen Gründen in die Marke Orwocolor (Orwo = Original Wolfen) überzugehen. Von 1950 bis 1964 waren bei der DEFA über 50 Spielfilme in Agfacolor gedreht worden. Der erste Orwocolor-Spielfilm war dann "Geliebte weiße Maus" (1964).

In beiden Agfa-Filmfabriken wurden die Agfacolor-Materialien selbständig weiterentwickelt (siehe Material "Listen der Kine-Farbnegativfilme"). 1964 fusionierte Agfa Leverkusen mit Gevaert in Mortsel bei Antwerpen zur Agfa-Gevaert-Gruppe. Die Zuständigkeit für Kinefilme fiel nun an das Werk in Belgien, wurde jedoch wegen dort auftretender Schwierigkeiten bis 1968 noch mal in Leverkusen aufgenommen. Bis 1967 wurden von Agfa-Gevaert auch zugehörige Agfacolor Positivfilme für Theaterkopien produziert. Der 1956 eingeführte Wolfener Agfacolor Positivfilm Typ 7 wurde 1964 in Orwocolor PC 7 umbenannt und bis 1991 hergestellt. Er diente vor allem in der Sowjetunion als Kopiermaterial.

Filme auf Agfacolor aus Leverkusen wurden neben der BRD auch in Österreich, Frankreich und mehreren asiatischen Ländern gedreht, während Agfacolor aus Wolfen neben der DDR vor allem in den Staaten des Warschauer Pakts benutzt wurde, und bis mindestens 1948 auch in der Sowjetunion (Credit: "Sowcolor"). Dann begann dort auf der Basis von Agfacolor eine eigene Fabrikation von Farb-Negativ/Positiv-Filmen.

Quelle: Gert Koshofer
Filmstreifen mit Tonspur aus "Das kalte Herz" (1950)

Im Vergleich waren die Wolfener Agfacolor Filme zunächst farbintensiver als die Leverkusener. Die Farbqualität von Orwocolor nahm aber wegen der Umstellung auf andere chemische Bestandteile im Zuge der von der DDR erstrebten Rohstoff-Autarkie ab. Verglichen mit Eastman Color von Kodak, das sich außerhalb der USA ab 1954 auch in westeuropäischen Ländern durchzusetzen begann, waren alle Agfacolor Negativfilme nicht zur Farbkorrektur im Kopierprozess farbmaskiert. Sie konnten auch nicht wie Eastman Color in vielen Ländern entwickelt und kopiert werden. Die Nachfolgematerialien aus dem belgischen Mortsel modifizierte man deshalb dergestalt, dass sie verarbeitungskompatibel mit Eastman Color waren.

Die Abkömmlinge von Agfacolor
Durch die Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg waren alle Patente frei geworden, die Rezepturen allgemein zugänglich. Und bereits 1945 hatten die angloamerikanischen Besatzer Wolfen besichtigt, Mitarbeiter verhört und die ausführlichen BIOS- und CIOS-Berichte mit allen Details zur Herstellung der Agfacolor-Materialien herausgebracht. Doch griff kein Unternehmen in England darauf zurück. Dort experimentierte man sogar mit dem Kopieren vom Agfacolor-Negativ auf den Linienrasterfilm Dufaycolor.

In den USA hatte die früher zum deutschen IG-Farben-Konzern gehörende Firma Ansco ihre eng mit Agfacolor verwandten Ansco Color Filme patentieren lassen. Ähnlich wie bei Agfa mit dem noch versuchsweise auf Umkehrfilm gedrehten Kurzspielfilm "Ein Agfacolor-Film, aufgenommen im Herbst 1937" entstanden zunächst Filme auf Ansco Color Umkehrfilm, darunter der Spielfilm "The Man on the Eiffel Tower" ("Der Mann vom Eiffelturm", USA 1948). Doch 1950 brachte Ansco auch Negativ- und Positiv-Filme heraus, womit als erstes Werk "The Wild North" ("Gefährten des Grauens"/"Der wilde Norden", USA 1950/1951) produziert wurde. Ansco Color, womit auch 3D- und CinemaScope-Filme produziert wurden, war vorübergehend gewissermaßen das "Hausmaterial" von Metro-Goldwyn-Mayer gewesen, weshalb Filme auch den Credit "Metrocolor" trugen. Die Überlegenheit des 1950/1951 fast gleichzeitig eingeführten Kodak Eastman Color bereitete Ansco Color, das in Deutschland nicht zur Anwendung kam, 1956 ein Ende.

Ebenfalls ein Ableger von Agfacolor war der amerikanische DuPont Color Release Positive Film als Kopiermaterial (1949-1953). Trotz dessen Polymer- statt Gelatineschichten folgte seine Verarbeitung nämlich dem Agfacolor-Prozess. Als erster Spielfilm wurde darauf vom Eastman Color-Negativ "Honeychile" (Republic Pictures, USA 1951) kopiert und unter dem Credit "Trucolor" (dreifarbige Ausführung) gezeigt.

Quelle: DIF
"Das Wirtshaus im Spessart" (1957)

Chemisch verwandt mit Agfacolor waren anfangs auch Gevacolor (Creditzusatz: "nach Agfa- und Gevaert-Patenten") aus Belgien und Ferraniacolor aus Italien, die auch in der BRD Agfacolor Konkurrenz machten, sowie erst 1958 Fujicolor in Japan. Ähnlich wie Agfacolor galt die Farbgebung dieser Abkömmlinge als pastellfarben (so genannter "europäischer Farbgeschmack") im Vergleich mit Technicolor und Eastman Color. Gevacolor fasste, anders als Agfacolor, nach seiner Einführung 1947/1948 schnell Fuß in vielen Ländern: In Frankreich entstand "La Maison du Printemps" (1948), in Ungarn "Ludas Matyi" ("Der Gänsemattes", 1949), in Österreich "Frühlingsstimmen" (1951), in England der Kurzfilm "London in the Festival Year" (1951), in Schweden "Eldfägeln" ("Feuervogel", 1952), in Australien als erster dortiger Farbfilm überhaupt "Jedda" (1953), in Indien "Pamposh" (1953), in Italien "Il figlio del diavolo bianco" ("Der Sohn des weißen Teufels", 1953).

In der BRD war nach der westeuropäischen Koproduktion "Blaubart" (1951) der Heimatfilmerfolg "Grün ist die Heide" (1951) der erste Gevacolor-Film. Auch Ferraniacolor gelangte bald mit "Toto a colori" (Italien 1952) in den ersten Einsatz. Zu den wenigen westdeutschen Ferraniacolor-Filmen gehört "Flucht in die Dolomiten" (Koproduktion mit Italien, 1955). Zu Fujicolor sei als erster Spielfilm "Narayamabushi-Ko" ("The Ballad of Narayama", Japan 1958) erwähnt. Die schließlich von Agfa-Gevaert als letzte Nachfolger von Gevacolor 1985 bis 1994 hergestellten AGFA XT Filme waren chemisch nicht mehr mit Agfacolor verwandt, sondern für die Verarbeitung nach dem Kodak-Prozess ECN-2 bestimmt. Vorübergehend (1991 bis 1994) wurden diese Filme auch von der Filmfabrik Wolfen unter der Orwocolor-Marke in die Wolfener Abnahmeländer exportiert.

Laut Dr. Heinz Berger, Agfa Leverkusen, sollen insgesamt rund 700 abendfüllende Spielfilme auf Agfacolor aus Leverkusen entstanden sein, davon alleine 200 in Japan. Nach interner Quelle von Kodak entfielen in der Periode 1951 bis 1961 in der BRD auf Agfacolor (Leverkusen und wenige Wolfen) 129 Filme, auf Eastman Color (erst ab 1954 benutzt, erster westdeutscher Spielfilm: "Zigeunerbaron") 368 Filme, auf Gevacolor 12 Filme einschließlich Koproduktionen, auf Ferraniacolor zwei Filme (kopiert auf Agfacolor Positivfilm) und auf Rouxcolor (französisches additives Verfahren) als einziger Spielfilm: "Das weiße Abenteuer", BRD 1951, Kopie: Gevacolor. Japanische Agfacolor Filme wurden wahrscheinlich auch auf dem Agfacolor gleichenden japanischen Sakuracolor Positivfilm kopiert. Eastman Color Negative wurden oft auch auf Agfacolor oder Gevacolor Positivfilm kopiert, zwei Agfacolor Spielfilme im Technicolor-Druckverfahren: "Rummelplatz der Liebe/Carnival Story", USA/BRD 1954, und die integrale Exportfassung von "Sissi", Österreich 1955-1957.

 

Der Autor ist für Ergänzungen oder Korrekturen der Listen dankbar: G-I.Koshofer@t-online.de

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