Volker Schlöndorff
Volker Schlöndorff, geboren am 31. März 1939 in Wiesbaden, nahm als Gymnasialschüler 1956 an einem Schüleraustausch nach Frankreich teil – und blieb statt der ursprünglich geplanten zwei Monate zehn Jahre: 1959 schloss er die Oberschule in Paris mit dem französischen Abitur Baccalauréat ab (zu seinen Klassenkameraden gehörte der spätere Filmregisseur Bertrand Tavernier). Nach dem zusätzlichen deutschen Abitur in Frankfurt ging er nach Paris zurück, wo er ein Studium der Politikwissenschaft absolvierte. Anschließend studierte Schlöndorff am Institut des Hautes Etudes Cinématographiques (IDHEC) in Paris; dort lernte er Louis Malle kennen, mit dem er in den folgenden Jahren mehrfach zusammenarbeitete.
1960 drehte Schlöndorff unter dem Pseudonym Volker Loki den Kurzfilm "Wen kümmert's" über Algerier in Frankfurt, der von der FSK wegen "Parteinahme gegen eine befreundete Nation" (Frankreich) nicht freigegeben wurde. Im Winter 1960 arbeitete er als Regieassistent Ludwig Bergers beim Sender Freies Berlin; in Zusammenarbeit mit Louis Malle realisierte er Reportagen über Südostasien und Algerien für das französische Fernsehen. Zur gleichen Zeit begann Schlöndorff, als Volontär und Regieassistent an Filmen prominenter französischer Regisseure wie Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais mitzuwirken. 1964 erhielt er für sein erstes Drehbuch "Der junge Törless", eine Adaption von Musils "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", eine Drehbuchprämie von 200.000 DM. Nachdem er 1965 bei Louis Malles "Viva Maria" in Mexiko als Regieassistent fungiert hatte, begann Schlöndorff im Winter 1965/66 mit den Dreharbeiten zu "Der junge Törless". Der Film wurde ein Kritikererfolg, erhielt unter anderem drei Deutsche Filmpreise (Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch) und galt als erster internationaler Erfolg des jungen deutschen Films.
Mit seinem zweiten Film "Mord und Totschlag" (1967) inszenierte er den ersten Farbfilm eines jungen deutschen Filmemachers, gefolgt von der internationalen Großproduktion "Michael Kohlhaas – Der Rebell" (1968). Ab 1969 arbeitete Schlöndorff eng mit Margarethe von Trotta zusammen, die zunächst Darstellerin, dann seine Regie-Assistentin, Co-Autorin und Co-Regisseurin war. 1971 heirateten die beiden.
1969 gründete Schlöndorff gemeinsam mit Peter Fleischmann in München die Produktionsfirma Hallelujah-Film GmbH und 1974 als Mehrheitsgesellschafter mit Reinhard Hauff die Bioskop-Film GmbH, die seither unter Leitung von Eberhard Junkersdorf seine Produktionen betreuten. Auch filmpolitisch war Volker Schlöndorff bereits zu dieser Zeit sehr aktiv. Immer wieder engagierte er sich in den Diskussionen um Filmförderungsgesetze und vertrat von 1974 bis 1978 als Delegierter die SPD-Bundestagsfraktion im Vorstand der Filmförderungsanstalt.
Zwischen seinen filmischen Arbeiten war Schlöndorff zudem immer wieder als Opernregisseur tätig: so inszenierte er 1974 in Frankfurt "Katja Kabanova" von Leo Janacek; 1976 in Berlin "Wir erreichen den Fluß" von Hans Werner Henze; 1976 gemeinsam mit Mathieu Carrière in Montepulciano (Italien) "Zoopalast" von Thomas Jahn; dort 1981 auch "Didon et Enée" von Purcell; und 1984 in Frankfurt "La Bohême" von Puccini.
Der große Durchbruch beim Kinopublikum gelang Schlöndorff 1975 mit der Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", den er gemeinsam mit Margarethe von Trotta inszenierte (seither inszenierte Margarethe von Trotta eigene Filme). Wegen dieses Films, der die Methoden der Boulevardpresse und der Polizei im Kampf gegen die linke Szene und vermeintliche RAF-Terroristen anprangert, und wegen seines Engagements im "Rechtshilfefonds für die Verteidigung politischer Gefangener" wurde Schlöndorff 1977 von der Springer-Presse und der CDU massiv attackiert. Im Jahr darauf war er mit Alexander Kluge einer der Initiatoren und Co-Produzent des Omnibusfilms "Deutschland im Herbst", der sich mit der Situation in Deutschland zur Zeit des RAF-Terrorismus befasst. 1980 und 1982 folgten mit "Der Kandidat" und "Krieg und Frieden" zwei weitere hochpolitische Gemeinschaftsfilme, die in einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarszenen formal und inhaltlich eine Art politischer Gegeninformation zum Fernsehen zu bilden versuchten.
In diese Zeit fiel auch Schlöndorffs bis heute größter Erfolg bei Kritik und Publikum: Die aufwändige Günter-Grass-Verfilmung "Die Blechtrommel" wurde 1979 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet (ex aequo mit Coppolas "Apocalypse Now") und erhielt im Februar 1980 den Oscar als Bester ausländischer Film. Beide Ehrungen, wie auch die zahlreichen anderen Preise, die der "Blechtrommel" zuteil wurden, wurden zu Signalen für die internationale Anerkennung des Neuen Deutschen Films. Nach der Nicolas-Born-Adaption "Die Fälschung", die 1980/81 zu großen Teilen in Beirut gedreht wurde, realisierte Schlöndorff 1983/84 in Paris mit großem Aufwand und internationaler Starbesetzung (Jeremy Irons, Ornella Muti, Alain Delon, Fanny Ardant) die französisch-deutsche Co-Produktion "Eine Liebe von Swann", nach einem Kapitel aus Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit".
1985 inszenierte Schlöndorff in New York für das amerikanische Fernsehen eine Filmversion von Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden", mit Dustin Hoffman in der Titelrolle. Auch seine folgenden Filme, "Ein Aufstand alter Männer" (1987, TV), "Die Geschichte der Dienerin" (1990) und die mit einem Deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnete Max-Frisch-Adaption "Homo Faber" (1991) entstanden als deutsch-amerikanische Co-Produktionen und mit prominenter internationaler Besetzung. 1991 wurde die Ehe mit Margarethe von Trotta geschieden. 1992 realisierte Schlöndorff mit dem Filmkritiker Hellmuth Karasek die sechsteilige TV-Dokumentation "Billy, How Did You Do It?" über den legendären Filmemacher Billy Wilder.
Die Tournier-Verfilmung "Der Unhold" mit John Malkovich feierte 1996 bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere, wurde aber von der Kritik zwiespältig aufgenommen und blieb an den Kinokassen weit hinter den Erwartungen zurück. Auch der in den USA gedrehte Neo-Noir "Palmetto" (1997) mit Woody Harrelson und Elisabeth Shue fand kein großes Publikum. Erst mit "Die Stille nach dem Schuss" konnte Schlöndorff wieder einen veritablen Erfolg verbuchen. Das Drama über das Exil, das Teile der deutschen Terrorszene in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR gefunden hatten, wurde im Wettbewerb der Berlinale 2000 uraufgeführt und brachte den Hauptdarstellerinnen Bibiana Beglau und Nadja Uhl den Silbernen Bären ein. Auch das kammerspielartige Holocaust-Drama "Der Neunte Tag" (2004) mit Ulrich Matthes und August Diehl erntete fast durchweg positive Kritiken und erhielt mehrere Preise.
Nach dem aufwändigen Drama "Strajk – Die Heldin von Danzig" (2006), über die Lebensgeschichte der Mitbegründerin der polnischen Arbeiterbewegung Solidarnosc, Anna Walentynowicz, drehte Schlöndorff "Ulzhan – Das vergessene Licht" (2007) – ein poetisches, in der Steppe Kasachstans angesiedeltes Drama über die seltsame Beziehung zwischen einer Nomadin und einem lebensmüden Europäer.
Neben Peter Greenaway und anderen wirkte Schlöndorff 2010 an dem filmischen Portrait des Komponisten, Musikers und Künstlers Michael Nyman, "Michael Nyman in Progress" mit. Zwei Jahre später feierte das im besetzten Frankreich der 1940er angesiedelte Kriegsdrama "Das Meer am Morgen" auf der Berlinale Premiere. Schlöndorff zeichnete hier für Regie und Drehbuch verantwortlich. Auch sein nächster Film spielte im Zweiten Weltkrieg und wurde auf der Berlinale vorgestellt: Basierend auf dem Bühnenstück von Cyril Gély schilderte "Diplomatie" (2014) ein (fiktives) Streitgespräch zwischen dem schwedischen Generalkonsul und dem deutschen Stadtkommandanten von Paris im Jahr 1944, als Hitler befohlen hatte, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Beim französischen Filmpreis César erhielten Volker Schlöndorff und Cyril Gély 2015 die Auszeichnung für das Beste adaptierte Drehbuch.
2016 inszenierte Schlöndorff die Zeremonie anlässlich des Staatsakts zur Erinnerung an die Schlacht von Verdun während des Ersten Weltkriegs im Jahr 1916. Er entschied sich für eine Art experimentelle Performance: Zum Trommelschlag der französischen "Tambours du Bronx" stiegen rund 3000 Jugendliche aus Frankreich und 1000 aus Deutschland aus den umliegenden Wäldern auf den Soldatenfriedhof hinab, wo gerappt und eine Art Totentanz aufgeführt wurde. Die Jugendlichen selbst filmten das Geschehen mit ihren Handys. Im Anschluss sichteten die anwesenden Politiker die Handybilder und -videos der Jugendlichen und begannen einen Dialog mit ihnen.
2017 feierten gleich zwei Spielfilme von Schlöndorff Premiere: "Rückkehr nach Montauk" (DE/FR/IE), eine dem Schriftsteller Max Frisch gewidmete Beziehungsgeschichte, lief im Wettbewerb Berlinale und kam im Mai 2017 in die Kinos; das viel gelobte TV-Kriminaldrama "Der namenlose Tag" wurde beim Filmfest Hamburg uraufgeführt und lief im Februar 2018 im ZDF.
Schlöndorffs nächsten beiden Regiearbeiten waren Dokumentarfilme. Für "Zeitzeugengespräch" (2021) befragte er den inzwischen 100-jährigen Holocaust-Überlebenden Leon Henry Schwarzbaum, in "Der Waldmacher" (2021) porträtierte er den preisgekrönten australischen Agronomen Tony Rinaudo, der in Afrika Wiederaufforstungsarbeit leistet.
- Darsteller
- Sprecher
- Regie
- Drehbuch
- Kommentar
- Mitwirkung
- Sprecher
- Regie
- Drehbuch
- Kommentar
- Interviews