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Dore O., geboren als Dore Oberloskamp am 9. August 1946 in Mülheim/Ruhr, studierte bis 1967 Design an der Fachhochschule Krefeld und später Malerei in Hamburg und Perugia. 1967 zog sie mit Werner Nekes, den sie im selben Jahr heiratete, nach Hamburg. Erste Filmarbeiten als Darstellerin, Kostüm- und Kulissenbildnerin entstanden unter seiner Regie. Zwischen 1966 und 1986 war sie an weiteren Filmen von Nekes beteiligt als Darstellerin, Bühnenbildnerin, Ausstatterin und Kamerafrau.
Ihre erste Regiearbeit, gemeinsam mit Nekes, war "Jüm-Jüm" (1967). Er zeigt Dore O., die vor einem von ihr gemalten überdimensionierten, abstrahierten Phallus schaukelt. Die Bewegung ist nach vorab definierten Regeln neu montiert. "Jüm-Jüm" erhielt 1970 beim Bundesfilmpreis das Filmband in Silber. Für Dietrich Kuhlbrodt zeigten sich bereits die je spezifischen Stile: "Zuerst war Dore O. da. Sie brachte in den Film etwas Persönliches, ein Teil ihrer selbst ein: ein Bild, das sie sich gemacht hatte... Und dann kam Werner Nekes. Er benutzte die sensible Dore O.-Vorstellung als Material seiner Gesetzmäßigkeiten" (in Filmkritik 12/1969).
1967 war Dore O. Mitgründerin der Hamburger Filmschau, die jene Kurzfilme zeigen sollte, die im Kino und auf den offiziellen Festivals nicht aufgeführt wurden. Die "Filmschau der Festivalaußenseiter" (Mannheimer Morgen, 2./3. März 1968) fand 1968 statt. Im Anschluss wurde die Hamburger Filmmacher Cooperative auf genossenschaftlicher Basis gegründet. Nach Vorbild der New York Filmmakers Cooperative sollte sie Herstellung und Vertrieb des "Anderen Kinos" sichern und die "Unabhängigkeit vom Establishment und seinen repressiven Einrichtungen wie FSK, FBW, Filmförderungsgesetz" ermöglichen (Helmut Herbst, in Filmartikel, 1/3, 1968).
"Alaska" (1968) war Dore O.s erste Solo-Regiearbeit. Auf das Hamburger Untersuchungsgefängnis und eine kahle Mauerecke folgen Bilder von Wellen und Meeresbrandung, einer im Wasser schwebenden Frau, einem nackten Frauen- und Männerkörper. Für Wilhelm Roth (in Filmkritik 11/69) war er "der schönste deutsche Film der letzten Zeit. Er übertrug auf mich ein Gefühl der Ruhe und überwand damit das Gefühl der Angst, das hinter seinen Bildern lauerte".
Ließ sich in "Alaska" ein utopisches Moment der Verflüssigung erkennen, so zeigte "Lawale" (1969) die Erstarrung. Dore O. stellte sich in ihm "ihrer Familie gegenüber, die nach steifem Zeremoniell in einer alten Villa lebt. Einzelne, sehr statische Sequenzen, die das erstarrte Zusammensein (...) schildern, sind aneinandergereiht. In Überblendungen bringt sie ihr Gesicht neben das ihrer Mutter" (Birgit Hein, Film im Underground, Frankfurt/M 1971). Schließlich verlässt die Filmemacherin das Bild, als einzige überschreitet sie die Begrenzung des Bildkaders.
Für "Kaldalon" (1971) arbeitete Dore O. erstmals mit von der Leinwand abgefilmten Aufnahmen. Bilder eines Aufenthalts in Island wechseln sich ab mit Erinnerungen an das Hamburger Zuhause. Dietrich Kuhlbrodt sah einen "Film voller Hoffnung, voller Behutsamkeit und Tatenlust: zu hören und zu sehen mehr als die Außenseite der Dinge / an sie heran und durch sie hindurchzugehen, ohne sie zu zerstören / sie sprechen zu lassen / zu versuchen, ihre Sprache zu verstehen... Kaldalon ist ein menschlicher, utopischer Film" (in Filmkritik 9/71).
"Blonde Barbarei" (1972) zeigt die Fenstergitter einer Werkstatt im Ruhrgebiet und Dore O., die sich im verschlossenen Raum vor eigenen Gemälden bewegt. Der Film wurde von einer Pergamentwand abgefilmt, ein glitzerndes Dreieck aus Metallfolie und eine aufgemalte Linie teilen das Bild in drei Flächen.
Im selben Jahr nahm Dore O. an der documenta 5 in Kassel teil. Erstmals waren Filme Teil der Ausstellung. Es kam zu heftigen Diskussionen. Marion Gräfin Dönhoff klagte in "Die Zeit", 4.8.1972: "Nun will man uns auch noch weismachen, dass derjenige Künstler die Wirklichkeit am besten erfasst, der sich der Kameralinse bedient". Die documenta 5 gilt heute als wichtiger Einschnitt in der Kunst- und Ausstellungsgeschichte.
In der Hamburger Filmmacher-Coop kam es zu Konflikten zwischen den "politischen/dokumentarischen" und den "ästhetischen/experimentellen" Filmemacher/-innen, die zur Abspaltung der "Sozialistischen Filmmacher-Cooperative" führten. Die Rezeption von Dore O.s Filmen wurde hiervon beeinflusst. Das Kommunale Kino Freiburg rechtfertigte seine Werkschau 1973 damit, dass es dazu anregen wolle, "den Nutzen von künstlerischen Produkten, denen oft belangloser Ästhetizismus und Esoterik zur Last gelegt wird, am praktischen Beispiel zu überprüfen" (Kommunales Kino Freiburg: Dore O. Filme 1967 - 1972). Es verteidigte die Freisetzung von Phantasie, die im Arbeitsprozess unterdrückt werde. Dore O. verfremde die Wirklichkeit gesellschaftlicher Ohnmacht so, dass sie als veränderbare kenntlich werde. 1974 löste sich die "Coop" auf.
Zum größten Erfolg Dore O.s wurde "Kaskara" (1974), der den Preis der deutschen Filmkritik und (als erster Film einer Frau) den großen Preis von Knokke - EXPRMNTL 5 erhielt. "Bildeinheiten stehen in Opposition zu sich selbst, gleichen sich an oder lösen sich ineinander auf... Anziehung, Verschmelzung und Abstoßung der Hälften des Filmbildes, mit dem Ziel einer sinnlichen Topologie, sind die wesentlichen formalen Mittel... Ein Bild frisst das andere" (Dore O.). Die einzige Figur ist Werner Nekes. Im Interview mit Marjorie Keller erklärte Dore O.: "I don't want to make modern films... One should only make personal films, otherwise they are of no interest to anyone else" (Women and Film 2/7, 1975).
In Filmkritik 3/76 schrieb Dore O. programmatisch: "Durch sparsame / intensive Bildinformation - ein Maximum an Assoziation ≈ Eigenproduktion von Bildern herausfordern - Durch unterbrochene Kontinuität im Film, Kontinuität im Kopf erzeugen. Durch bestimmte versetzte Ordnung der Bilder - ein starkes Netz erstellen".
Für "Frozen Flashes" (1976) filmte Dore O. Blitzlichtaufnahmen ab, die auf eine Milchglasscheibe projiziert wurden. Der Film "lässt offen, ob er einen ... Bewusstseinszustand beschreibt (zum Beispiel als Zustand einer jungen Frau, die sich selbst in ihrer Beziehung zu Männern erfährt und ihre Erfahrung verarbeitet) oder ob er ihn in den Zuschauern auslösen will. Beide Möglichkeiten sind erfahrbar" (Christine Noll Brinckmann, in Medien praktisch 2/1980).
1977 nahm Dore O. an der sechsten documenta teil.
Mit Werner Nekes entstand "Beuys" (1981), ein Porträt des Künstlers, der mit dem Rücken zur Kamera gegen eine weiße Mauer und ein zugemauertes Fenster spricht. Einziger Gegenstand der Inszenierung ist ein weißer Heizkörper. "Beuys" erhielt den Preis der deutschen Filmkritik.
"Stern des Méliès" (1982) ist eine Hommage an das früheste Kino. Vor bemalten Papierkulissen bewegen sich Schatten von Figuren. Licht nimmt geometrische Formen an, durch Löcher entsteht künstlicher Sternenhimmel. Als Kinoerklärer singt Helge Schneider Kommentare zur Klaviermusik. "Der Film ... nähert sich formal dem Genre der Animationsfilme, ohne einer zu sein... es geht um eine Reise in die Filmwelt von Méliès" (Eva M. J. Schmid, Dore O. - Zur Komposition ihrer Filmbilder II; unveröffentlichtes Manuskript).
Als "work in progress" erschien 1984 "Enzyklop", eine "Folge loser Nummern, Einfälle, Sketche, Etüden, Materialbearbeitungen und Home-Movies" (Dietrich Kuhlbrodt, Frankfurter Rundschau, 31.12.1988). In den Film eingearbeitet sind Gemälde Dore O.s, die sich mit einer Leinwand und Skizzen von unter anderen Luis Buñuel und Harpo Marx verbinden.
Für "Blindman's Ball" (1988) gewann Dore O. den Preis für den besten Experimentalfilm bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen. Narrativer als vorherige Filme, zeigt er einen erblindenden Mann und eine ihn pflegende Frau. Aus der Pflege entsteht Macht. Zwischen das von der Leinwand abgefilmte Bild und die Zuschauer treten Objekte wie eine brennende Kerze.
"Candida" (1991) war Dore O.s erster Spielfilm. Auf Basis einer Holzschnittfolge von Franz Masereel erzählt er von einem Maler und seinem sich in einer nackten Frau materialisierenden Werk. Nachdem der Maler von einer wütenden Menge hingerichtet wird, bleibt Candida auch ohne ihn bestehen. Den Hintergrund bilden Collagen aus bemalten Papierfetzen.
Mit "Xoanon" (1994), "Endo-Heat" (1997) und "Thermoment" (1998) folgten weitere Künstlerportraits. "Xoanon" zeigt einen Maler inmitten von Bildern und Leinwänden. Für "Endo-Heat" und "Thermoment" filmte Dore O. den Klarinettisten Eckard Koltermann mit einer Wärmeaufzeichnungskamera und übersetzte so die Wärmeregionen des Körperinneren beim Musizieren in Bilder.
"Eye-Step" (2000) war Dore O.s letztes eigenständiges Filmwerk. Seitdem verwendete sie Film als Teil von Installationen aus Projektionen, Gemälden, Objekten und bearbeitetem Filmmaterial. Für ihr bildendes Werk erhielt sie 2012 den Herrmann Lieckfeld-Preis ihrer Heimatstadt Mülheim. Ihre Werke wurden unter anderem ausgestellt in Los Angeles, Wien, Sevilla, Bogotá, Breslau und Mühlheim an der Ruhr.
2016 fand die erste New Yorker Dore O.-Retrospektive statt.
Schon 1988 schrieb Dietrich Kuhlbrodt: "Dore O. ist klassisch geworden. Unversehens zeigt sich, dass ihr Werk die verschiedenen Zeitströmungen unversehrt passiert hat: die Zeit des kooperativen Zusammenschlusses, des Frauenfilms, der Strukturalisten und Grammatiker, der Lehrer neuer Sehweisen... Es ist an der Zeit herauszuposaunen, dass Dore O.s Werk einzigartig im deutschen Avantgardefilm ist. Seit 'Jüm-Jüm' ... bewahrt sie sich ihre Unabhängigkeit auch innerhalb des unabhängigen Films" (Frankfurter Rundschau, 31.12.1988)
Am 7. März 2022 wurde Dore O. in der Nähe ihres Hauses in Mülheim an der Ruhr tot aufgefunden.
Autor: Jan Wetzel
Dieser Text wurde im Rahmen des Masterstudiengangs "Filmkultur - Archivierung, Programmierung, Präsentation" erstellt, der von der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Deutschen Filminstitut gemeinsam angeboten wird.