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Berlin, 1931: Ein Ort zwischen Untermiete und Unterwelt, wo Bordelle Ateliers sind, Nazis auf den Straßen pöbeln und man in Babelsberg vom "psychologischen Film" träumt. Das Leben brodelt, die Gesellschaft gärt, korrodiert. Solange er noch Arbeit hat, verfasst der promovierte Germanist Jakob Fabian tagsüber Werbetexte, nachts zieht er mit Stephan Labude durch die schrägen Etablissements der Stadt. Während sein Freund – er wird später bekennen, "in den Fächern Leben und Beruf" versagt zu haben – ein Draufgänger in Sachen Kommunismus und Sex ist, bleibt Fabian nüchtern und distanziert. Er wartet auf den "Sieg der Anständigkeit", ohne recht daran zu glauben. Nur die Liebe zu Cornelia lässt ihn an seinem ironischen Fatalismus zweifeln. Sie wird zum Lichtblick in seinem zerrinnenden Leben.
Erich Kästners tieftraurigen autobiografischen "Fabian" – einen der bedeutendsten Romane der Weimarer Republik – aus seinem Schattendasein zu holen, ist bei allen Parallelen zum vermaledeiten Heute eine Herausforderung. Dominik Graf meistert sie kongenial: spitzfindig pointiert sein Stil, kaltschnäuzig flott, und doch von schweigsamer Melancholie. Ein Film wie eine Diskokugel, die sich langsam dreht. Über den Zusammenhang von Geschlechtsverkehr und leerem Kühlschrank – und den Zerfall des Traums vom Glück.
Quelle: 71. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Der promovierte Literaturhistoriker kann sich ein luxuriöses Leben leisten: sein Vater, der so vielbeschäftigte wie wohlhabende Justizrat Labude, gibt selbst den Lebemann und tanzt am Ende der Weimarer Republik auf dem Vulkan, solange es noch möglich ist. Dabei ist der Millionärssohn, der am Lehrstuhl seines Professors gerade seine Habilitationsschrift über Gotthold Ephraim Lessing eingereicht hat, im Herzen ein Sozialrevolutionär, der wie die Kommunisten von einer klassenlosen Gesellschaft träumt. Als er kurz vor seiner Hochzeit von seiner Verlobten betrogen wird, stürzt er sich – zusammen mit Fabian – in zahlreiche Affären, so bei der lesbischen Baronin Ruth Reiter, die ein Etablissement zur Anbahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen unterhält.
Fabian, den auch politisch mit Labude so gut wie nichts verbindet, hält sich bei Frauen wie der liebestollen Irene Moll bedeckt, bis er in einem Kabarett der selbstbewussten Cornelia Battenberg begegnet. Die promovierte Juristin, welche als Justiziarin einer Filmproduktionsfirma ihre Herkunft aus dem Arbeiterbezirk Wedding sorgsam verschleiert, erliegt seinem nachdrücklich-charmanten Werben schließlich, obwohl sie eigentlich zu Männern nur eine berufliche Verbindung sucht. Wie zum einflussreichen Produzenten Makart, von dem sie sich eine Hauptrolle in dessen nächstem Filmprojekt verspricht. Sie ist bereit, für die Karriere Makarts Geliebte zu werden. In den Babelsberger Ufa-Studios spricht sie – erfolgreich - mit einem sehr persönlichen Text Fabians vor.
Der ist inzwischen stellungslos geworden und reiht sich in die lange Schlange vor dem Arbeitsamt ein. „Man magert ab, nicht nur der Körper, auch der Kopp“ lässt ihn ein Einarmiger (Sönke Möhring) in die Zukunft blicken. Doch Fabian ist nicht davon überzeugt, dass Cornelias Arrangement mit ihrem Boss der gemeinsamen Existenzsicherung gilt und trennt sich von ihr. Wenig später wird er eines Morgens von der Polizei aus dem Bett geklingelt: Stephan Labude hat sich in der elterlichen Villa erschossen. Der Grund steht in einem Brief der Universität: danach ist seine Lessing-Arbeit aus Qualitätsgründen abgelehnt worden. Nichts davon ist wahr, erfährt Justizrat Labude (im Roman) bzw. Fabian (im Film) beim Professor: Der hat im Gegenteil Labudes Habilitationsschrift als herausragendes Werk in der Schriftenreihe der Universität publizieren wollen. Den Brief hat der wiss. Assistent Dr. Weckerlin verfasst. Nicht als talentloser Konkurrent, der sich am Begabten gerächt hat, wie es bei Kästner im Buche steht, sondern als Nationalsozialist am Kommunisten. Und weil die Hakenkreuzler inzwischen das Sagen haben, wird besagter Weckerlin nicht gefeuert, sondern der Professor muss anbiedernd von sich geben: „Alles ist für etwas gut, auch ein Opfer. Es muss ja aufwärts gehen.“
Für Jakob Fabian ist Welt vor die Hunde gegangen, er kehrt zu seinen Eltern nach Dresden zurück und hofft auf eine Redakteursstelle bei der örtlichen Zeitung. Cornelia lächelt inzwischen als neuer Stern am Kino-Himmel aus allen Illustrierten. Mit ihr verabredet er sich in ihrem Berliner Stammafé, doch sie wartet dort vergeblich: Fabian wollte nicht mit der Zeit schwimmen. Dass er überhaupt nicht schwimmen kann, wird ihm letztlich zum Verhängnis…
„Fabian“ ist Erich Kästners Meisterwerk. Es wurde vor seinem Erscheinen 1931 verändert, gekürzt und mit dem Untertitel „Die Geschichte eines Moralisten“ veröffentlicht. Ursprünglich hatte der junge Kästner für seinem ersten Roman den Titel „Der Gang vor die Hunde“ vorgesehen. Die vom Herausgeber Sven Hanuschek 2013 wiederhergestellte Fassung des Ursprungstextes diente als Vorlage für die mit 176 Minuten keinesfalls zu lange, teilweise auf Super 8 im früher üblichen, heute sehr intensiv erscheinenden Kino-Format 4:3 gedrehte und mit historischem Schwarz-Weiß-Material ergänzte Leinwandadaption Dominik Grafs.
Die in Kästners so scharfsinnig-sachlichen wie frech-satirischen Großstadtroman erheblich eingegriffen hat, um die Vergangenheit (Dominik Hermanns als „Der Gezeichnete“ aus dem Ersten Weltkrieg) mit der Gegenwart (Sönke Möhring als arbeitsloser „Einarmiger“, Aufmarsch der Braunhemden) und der Zukunft (Stolpersteine auf dem Bürgersteig, finale Bücherverbrennung) zu verbinden, was nicht immer so nahtlos gelingt wie in der Eingangsszene am Heidelberger Platz. Der Regisseur arbeitet mit Zwischentiteln wie im Stummfilm und mit gleich mehreren Versionen der heutigen Split-Screen-Technik, die man durchaus als bewusste Verfremdungs-Effekte wahrnimmt: Graf wollte weder einen historisierenden Kostümschinken noch konventionelles Erzählkino.
Pitt Herrmann