Der Umgang mit dem Filmerbe der NS-Zeit
Filme aus der Zeit des Nationalsozialismus sind vielen Menschen in Deutschland auch heute wohl bekannt. Wenngleich kaum explizit als NS-Filme bezeichnet, stellen die Filmproduktionen der 1930er und 1940er Jahre als Teile des nationalen Filmerbes nicht nur ein geschichtliches Phänomen dar, sondern sind auch Bestandteile unserer Alltagskultur, wie u.a. der Germanist und Medienwissenschaftler Hans Krah betonte.Nicht wenige dieser Filme sind als "Klassiker" auf Video und DVD erhältlich. Öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender, in deren Programmen regelmäßig Filmproduktionen mit beliebten Stars der Zeit laufen, haben Filme wie "Die Feuerzangenbowle", "Münchhausen", "Quax der Bruchpilot", "Altes Herz wird wieder jung" u.v.a. einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Eben diese Präsenz der Filme fordert eine aktive, reflektierte Auseinandersetzung mit dem Filmerbe Nazideutschlands. Aspekte der konkreten "Verwaltung" dieses Erbes – seiner Sicherung, aber auch seiner kommerziellen Verwertung und Lizensierung – wurden dabei immer wieder von politischen, moralischen, pädagogischen und filmwissenschaftlichen Fragestellungen begleitet.
Filmpolitik nach 1945
Die entscheidenden Schritte für den praktischen Umgang mit dem NS-Filmerbe erfolgten bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch die alliierten Siegermächte. Kurz nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 7. und 9. Mai 1945 griffen erste entsprechende Maßnahmen: Das "Military Government Law No. 191" vom 12. Mai 1945 zur "Kontrolle über Druckschriften, Rundfunk, Nachrichtendienst, Film, Theater und Musik und Untersagung der Tätigkeit des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda” untersagte bis auf weiteres "die Herstellung oder Vorstellung von Filmen". Mit dem "Military Government Law No. 52" vom 14. Juli 1945 wurde zunächst das gesamte reichseigene Filmvermögen der 1942 gegründeten UFI-Holding beschlagnahmt. Filmproduktion, Verleih und Vorführung wurden unter strenge Lizenzierungsvorschriften gestellt. Alle in Deutschland aufzuführenden Filme waren einer Zensur durch die Nachrichtenkontrollbehörden der jeweiligen Militärregierung zu unterziehen.In der Praxis zeigten sich schon bald wesentliche Unterschiede zwischen dem filmpolitischen Vorgehen in den drei westlichen, d.h. der amerikanischen, britischen und französischen, und in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die sowjetische Militärregierung forcierte mit Gründung der Deutschen Film-AG (DEFA) im Mai 1946 einen raschen Wiederaufbau der Filmstrukturen unter sowjetischer Aufsicht. Wenngleich sich auch die Militärregierungen der westlichen Besatzungszonen der erzieherischen Funktion des Films bewußt zeigten, bestand ihr Hauptziel darin, jegliche Machtanhäufung oder mögliche Monopolbildung in der deutschen (Film-) Wirtschaft zu verhindern. Während die Produktion in den drei westlichen Besatzungszonen daher nur stark verzögert anlief, wurde der Kinobetrieb trotz der Zerstörung vieler Lichtspielhäuser schon früh wieder aufgenommen. Das Filmangebot der Kinos war dabei wesentlich von den Besatzungsmächten geprägt. Neben dem Import französischer, englischer und amerikanischer Filme bestimmten das Kino-Programm der unmittelbaren Nachkriegszeit aber auch Filmreprisen aus der Zeit vor 1945 und sogenannte "Überläufer", d.h. Spielfilme, die noch vor Mai 1945 konzipiert bzw. gedreht worden waren, aber erst – wie z.B. Helmut Käutners "Unter den Brücken" und Karl Antons "Peter Voss, der Millionendieb" – nach Kriegsende zur Aufführung gelangten. Der Rückgriff der Verleihe auf ältere deutsche Filme erwies sich aber in mehrfacher Hinsicht als problematisch: Große Teile des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens waren nicht zugänglich, da sie entweder in den Kriegswirren zerstört, verschwunden oder von den Alliierten sichergestellt worden waren.
"Filmvorführschein" und Prüfverfahren
Gemäß der im Juni 1945 erlassenen "Nachrichtenkontrollvorschrift 2" waren alle vor Kriegsende gedrehten deutschen Filme abzuliefern und vor ihrer Wiederaufführung einer politischen Prüfung der alliierten Nachrichtenkontrollbehörden zu unterziehen. Jede Kopie musste mit einem "Filmvorführschein" der alliierten Kontrollbehörde versehen sein, der die Freigabe des betreffenden Films bestätigte. Zudem benötigte jeder Filmvorführer eine Genehmigung und ordnungsgemäße Registrierung der alliierten Behörden.In den Prüfverfahren, in denen sich besonders die zuständige Filmbehörde der britischen Besatzungszone hervortat, wurden die geprüften Filme in drei Kategorien eingeteilt: Alle Filme der Kategorie A wurden als politisch unbedenklich eingestuft und sofort freigegeben. Die Filme der Kategorie B waren mit Änderungs- und Schnittauflagen belegt. Filme der Kategorie C, bei denen es sich mehrheitlich um "Staatsauftragsfilme" mit eindeutig propagandistischer Funktion handelte, durften dagegen nicht aufgeführt werden. Eine Anfang 1952 von den drei westlichen Alliierten vorgelegte "Liste verbotener deutscher Spielfilme" umfasste 221 Titel der Kategorie C.Diese Liste wurde der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft (FSK), die bereits mit Gründung der Bundesrepublik ab Juli 1949 offiziell die Aufgaben der alliierten Filmzensur übernommen hatte, als Richtlinie übergeben, um endgültige Zensurentscheide über die Freigabe von Filmen aus der NS-Zeit zu erarbeiten.
Propagandafilm oder Unterhaltungskino?
Der überwiegende Anteil der Filmproduktion aus der Zeit des Nationalsozialismus unterliegt heute keinem öffentlichen Aufführungsverbot mehr. Nur einige wenige offensive Propaganda-Filme gelten aufgrund ihres rassistischen, antisemitischen, militaristischen oder volksverhetzenden Inhalts als "Vorbehaltsfilme", die nur in geschlossenen Veranstaltungen mit wissenschaftlich fundierter Einführung und Diskussion gezeigt werden dürfen.Richtlinien für die Entscheidungen hinsichtlich des Umgangs mit den Filmen der NS-Zeit gab dabei die scheinbar klare Grenze zwischen einigen wenigen "gefährlichen" Propagandafilmen und der Masse kommerzieller Unterhaltungsfilme vor. Diese Unterscheidung bestimmte lange Zeit auch die öffentlich geführten Debatten und den filmwissenschaftlichen Fachdiskurs. Seit den frühen Auseinandersetzungen mit dem Filmerbe der NS-Zeit ab den 1960er Jahren entwickelte sich die Diskussion grob an zwei Grundlinien entlang:Auf der einen Seite, die aus diversen Opportunitätsgründen auch dem praktischen Umgang mit dem NS-Filmerbe eher entgegenkam, wurde der Standpunkt vertreten, dass es sich beim Kino des "Dritten Reichs" – abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen – nicht um Nazi-Filme gehandelt habe, sondern um ein unpolitisches Star-Kino. In diesem Sinne wurde für eine Normalisierung im Umgang mit dem Gros der Filme plädiert, was sowohl von kommerziell Interessierten aufgenommen wurde als auch von Rechtfertigungsstrategien vieler, die ehemals in der NS-Filmproduktion beschäftigt gewesen waren. Dagegen wurde auf der anderen Seite der Vorwurf der Verharmlosung erhoben. Hier wurden ideologiekritisch in der gesamten Spielfilmproduktion der NS-Zeit Manipulationsinstrumente der Nationalsozialisten entdeckt. Generell hing diese konträre Beurteilung der Filme der NS-Zeit zwischen Verdammung einerseits und Rechtfertigungsversuchen andererseits und die dichotome Unterscheidung zwischen politischen und unpolitischen Filmen nicht zuletzt damit zusammen, dass – darauf hat der Filmhistoriker Eric Rentschler hingewiesen – Zuschreibungen der Nationalsozialisten in der Nachkriegszeit als Parameter oft unkritisch übernommen wurden.Zu Beginn der 1990er Jahre vollzog sich eine entscheidende Trendwende in der Forschung, als nicht mehr Definition und Kategorisierung des NS-Films im Mittelpunkt des Interesses stand, sondern vielmehr nach der ideologischen Funktion von Spielfilmen der NS-Zeit in ihrem weiteren diskursiven Kontext gefragt wurde. Damit wurde auch die Forderung nach einem reflektierteren Umgang mit dem NS-Filmerbe in der Öffentlichkeit wieder laut, der bis heute nicht an Bedeutung verloren hat.