Die Goebbels-Rede im Kaiserhof am 28.3.1933

 

Die folgende Rede wurde acht Wochen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Berliner Hotel Kaiserhof vor Filmschaffenden gehalten. In ihr entwirft der am 13. März zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda berufene Dr. Joseph Goebbels bereits Grundzüge der kommenden Filmpolitik des nationalsozialistischen Regimes. Im Sinne des "völkischen Rassismus" behauptet Goebbels eine geistige "Filmkrise" und kündigt radikale Neuerungen an: Der Film soll "völkische Konturen" erhalten, und Kunst sei nur dann möglich, "wenn sie mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich eingedrungen ist". Indem Goebbels behauptet "das Volk" sei "besser als seine Regisseure", um bald darauf explizit jüdische Regisseure verächtlich zu attackieren, wird deutlich, dass der Antisemitismus der neuen Regierung auch den Filmschaffenden gegenüber von Anfang an gezeigt wurde:

"Ich bin dankbar für die Gelegenheit, mich über die Situation des deutschen Films und die zu vermutenden Zukunftsaufgaben des deutschen Filmschaffens aussprechen zu können. Ich tue es als ein Mann, der niemals dem deutschen Film fern gestanden hat, vielmehr als ein leidenschaftlicher Liebhaber der filmischen Kunst. Seit vielen Jahren habe ich erkannt, zu welchen Höhen der deutsche Film durch die Kraft und das Ingenium des deutschen Geistes geführt werden kann.

Man mache sich von dem Glauben frei, daß die gegenwärtige Krise eine materielle ist; die Filmkrise ist vielmehr eine geistige, sie wird bestehen, solange wir nicht den Mut haben, den deutschen Film von der Wurzel aus zu reformieren. Seit 14 Tagen habe ich mich mit Vertretern aller Sparten des deutschen Filmschaffens unterhalten, ich habe dabei sehr belustigende Ergebnisse feststellen müssen. Diese Herren vom Film haben sich ein Bild von dem Nationalsozialismus gemacht, wie er sich in der gegnerischen Presse gespiegelt hat. Die nationalsozialistische Bewegung und ihre Träger sind den Herren des Films unbekannt, auch innerlich.

In allen Unterhaltungen wurde immer wieder die Furcht vor der Unsicherheit ausgesprochen. Die Produktion sei unsicher geworden. Das gerade Gegenteil müßte jetzt für die Filmproduktion der Fall sein. Zu Brünings oder Müllers Zeiten, da hätte man unsicher sein müssen, denn man hätte ja in der Produktion immer nach 4 Wochen nicht gewußt, was gerade modern sei.

Jetzt sind wir da. Und selbst der ungläubigste Thomas wird davon überzeugt sein, daß wir mindestens 4 Jahre an der Macht sind. Das, was ist, bleibt; wir gehen nicht mehr! Die Filmproduktion hätte also auf Grund dieser Tatsache alle Veranlassung, sicher zu sein. Aber ebenso kann nirgendwo ein Zweifel bestehen, daß die nationalsozialistische Bewegung in die Wirtschaft und die allgemeinen kulturellen Fragen, also auch in den Film, eingreift. An Hand von ein paar Beispielen will ich zeigen, was beim Film künstlerisch und was gefährlich ist. Einige Filme haben einen unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht. Zunächst "Panzerkreuzer Potemkin". Er ist fabelhaft gemacht, er bedeutet eine filmische Kunst ohnegleichen. Das entscheidende "Warum" ist die Gesinnung. Wer weltanschaulich nicht fest ist, könnte durch diesen Film zum Bolschewisten werden. Dies beweist, daß Tendenz sehr wohl in einem Kunstwerk enthalten sein kann, und auch die schlechteste Tendenz ist zu propagieren, wenn es eben mit den Mitteln eines hervorragenden Kunstwerks geschieht. Dann folgt "Anna Karenina". Greta Garbo hat bewiesen, daß es eine ausgesprochene filmische Kunst gibt. Dieser Film ist kein Surrogat von Theater und Bühne. Es gibt eben eine eigene filmische Kunst.

"Die Nibelungen". Hier ist ein Filmschicksal nicht aus der Zeit genommen worden, aber so modern, so zeitnah, so aktuell gestaltet, daß es auch die Kämpfer der nationalsozialistischen Bewegung innerlich erschüttert hat. Beweis: es liegt nicht am Thema an sich. Auch ein Stoff aus der griechischen Mythologie kann so modern wirken wie ein Stoff aus der Gegenwart, es kommt nur auf die Erfassungsweise an. Man hat, als die neue Zeit nahte, in Deutschland begonnen, sogenannte nationalsozialistische Filme herzustellen, doch war dies so wenig mit dem Geist der Zeit verwachsen, daß man einen innerlichen Schauder empfinden muß. Solcher Nationalsozialismus ist nur äußere Tünche. Die neue Bewegung erschöpft sich nicht in Parademarsch und Trompetengeschmetter.

Schließlich gibt es einen Film, der auch den Nichtnationalsozialisten umwerfen könnte: "Der Rebell". An diesem Beispiel erkennt man, daß eben allein die Gesinnung den Film nicht macht, sondern das große Können. Es kommt nicht darauf an, daß man einen Film machen kann — die innere Größe der Gesinnung muß mit den äußeren Mitteln übereinstimmen. Dann kann der deutsche Film eine Weltmacht werden, deren Grenze heute noch ganz unvorstellbar ist. Die verwaschenen und gestaltlosen Filme können sich auch in der Welt nicht durchsetzen. Je schärfer völkische Konturen ein Film aufweist, desto größer sind die Möglichkeiten, die Welt zu erobern. Bei den gefährlichen Auswirkungen des Films hat der Staat die Pflicht, regulierend einzugreifen.

Immer wieder höre ich die Klage: wir haben keine Stoffe. - Das ist nicht wahr! Es fehlt an Mut, die Stoffe anzupacken. Der Filmproduzent hat die Aufgabe übersehen, Bahnbrecher der Zeit zu sein. Der Film soll sich nicht so erhaben dünken über die Schicksale, die das deutsche Volk durchmacht. Bringt der Film keine volkstümlichen Stoffe, so wird er die Kinopaläste nicht mehr füllen. Man kann sagen: das Volk ist besser als seine Regisseure. Man darf den Geschmack des Publikums nicht unterschätzen, und wenn er besserungsbedürftig ist, sind wir jungen Menschen der neuen Bewegung nicht zu alt, an die Regeneration des Publikumsgeschmacks heranzugehen und den Geschmack allmählich zu bessern, anstatt ihn aus Konjunkturgründen mit schlechten Filmen noch zu unterbieten.

Die deutsche Krise ist am Film spurlos vorübergegangen; während das deutsche Volk, vollgefüllt mit Sorgen und Sehnsüchten, das größte Leidensdrama der Geschichte durchlebte, ignorierten das die Herren vom Film. Sie packten das Leben dort nicht an, wo es interessant ist. Sie blieben seicht und verwaschen. Wer die Zeit versteht, weiß welche Dramen dem Film zur Verfügung stehen. Jede Nacht auf der Straße draußen. Der deutsche Film hat keine Wirklichkeitsnähe, er ist ohne Kontakt zu den wirklichen Vorgängen im Volke. Es ist doch grauenhaft, daß das ganze Schaffen eine Filmproduktion der Vorkriegszeit sein könnte.

Immer wieder hört man das Argument, Filme, wie wir sie fordern, füllten nicht die Kinos. Das hat man mir auch gesagt, als ich 1926 mit dem Reden begann. Es gehört eben Phantasie dazu, den inneren Sinn und die innere Gestaltung einer neuen Welt lebendig zu machen. Viele Filmschaffende gehen noch umher, als sei die Machtergreifung vom 30. Januar ein Phänomen, das man nur kopfschüttelnd feststellen könnte. Dadurch, daß man sich blitzschnell umzustellen versucht hat, kann man den Geist der neuen Zeit nicht begreifen. Nur wer von ihm durchflutet ist, kann sie gestalten, wer neben der Zeit lebt, kann es nie. Darum ist die Krise auch eine personelle. Viele müssen heute einsehen, daß, wenn die Fahne fällt, auch der Träger fällt.

Wer die Zeit nicht rechtzeitig erkannt hat, hat weder ein politisches noch kulturelles und moralisches Recht, eine andere Fahne zu hissen. Allgemeiner Mangel an Mut, Zivilcourage und Bekenntniseifer kennzeichnet den Film. Wasch" mir den Pelz, aber mach" mich nicht naß, sagen seine Produktionskreise und beruhigen sich damit, eine neue Fahne zu hissen. Möglichst mit einer kleinen Gösch aus der alten Zeit. Das ist für immer begraben, jener geistige Liberalismus, der in Wahrheit Anarchie des Geistes bedeutet. Die Einwände sind dumm, naiv und unlogisch, die behaupten, alle Kunst ist tendenzlos. Wo gibt es denn absolute Objektivität? Gefährlich ist gerade die Nichttendenz, und man muß diejenigen genauer ansehen, die dafür eintreten. Sie wollen in Wahrheit die Reform eines deutschen Volkes an Haupt und Gliedern verhindern. Diese Reform aber ist der Generalnenner des gesamten öffentlichen Lebens.

Allerdings ist Kunst nur dann möglich, wenn sie mit ihren Wurzeln in das nationalsozialistische Erdreich eingedrungen ist. Ich warne davor, das deutsche Volk so billig einzuschätzen, wie es leider auch die anderen Künste vor dem Film getan haben.

Wir denken gar nicht daran, auch nur im entferntesten, zu dulden, daß jene Ideen, die im neuen Deutschland mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, irgendwie getarnt oder offen im Film wieder ihren Einzug halten. Damit ist allerdings ein Einschnitt in die Filmproduktion vollzogen. Die neue Zeit will nicht nach unten abschneiden, sondern Maßnahmen für die Förderung der filmischen Kunst ergreifen. Dabei muß nicht einmal von einer materiellen Leistungsförderung die Rede sein. Die deutsche Regierung kann auch ideell fördern, und ich glaube, sie wird bald von einem so hohen Rang umkleidet sein, daß es als höchste Ehre gilt, von ihr ausgezeichnet zu werden. Der Künstler und die Produktion haben die Konsequenzen aus dieser Lage zu ziehen. Zu neuem schöpferischen Wollen haben sie sich zu bekennen, der Mut zur neuen Zeit ist die Vorbedingung, und nicht neue Ideen allein, auch neue Menschen müssen kommen.

Der künstlerisch schaffende Mensch muß mit seinem Bekenntnis der Zeit vorangehen. Es gibt kein herrlicheres Gefühl, als sozusagen am Webstuhl der Zeit mitzusitzen und für sein bescheiden Teil sagen zu können: "Wir waren dabei!" Allerdings ist der Publikumsgeschmack nicht so, wie er sich im Inneren eines jüdischen Regisseurs abspielt. Man kann kein Bild vom deutschen Volk im luftleeren Raum gewinnen. Man muß dem Volke aufs Maul schauen und selbst im deutschen Erdreich seine Wurzeln eingesetzt haben. Man muß ein Kind dieses Volkes sein.

Man sagt, es fehlt dem Film an Geld! Wenn ich manchen Film anschaue und höre, wieviel er gekostet hat, dann möchte ich dem Produzenten sagen:  "Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld wiedergeben!" Wenn eine Regierung, die in tiefstem Herzen filmfreundlich ist, die Hand bietet, dann soll man dieser Regierung dankbar sein. Denn wir wollen den Film nicht einengen und dem Filmschaffen Grenzen ziehen. Wir lehnen einen autoritären Doktrinarismus ab. Aber Vorbedingung ist immer wieder der engste Zusammenhang mit dem neuen Wollen. Es gibt nichts im Künstlerischen ohne diese Willensrichtung, ohne diese Absicht und Tendenz.

Das Schaffen des kleinsten Amüsements, des Tagesbedarfs für die Langeweile und der Trübsal zu produzieren, wollen wir ebenfalls nicht unterdrücken. Man soll nicht von früh bis spät in Gesinnung machen. Wir empfinden dafür selbst zu leicht, zu künstlerisch. Die Kunst ist frei und die Kunst soll frei bleiben, allerdings muß sie sich an bestimmte Normen gewöhnen. In einem anderen Land als Deutschland wäre es überflüssig, dies zu betonen. Aber man hat in den letzten Jahren jedes normale politische Denken ertötet. Von der Stelle, wo die Zensur einsetzte, bis zu dem Film hinauf, der aus dem ganzen künstlerischen Schaffen als Muster herausgehen wird, ist ein so weiter Spielraum, daß jedes künstlerische Schaffen sich frei gestalten kann. Unterhalb dieser Schnittlinie gibt es kein Pardon. Dort beginnen gefährliche Experimente, die nur zu oft als Ausschreitungen eines kranken Gehirns anzusprechen sind. Unsere Filmproduzenten werden sich daran gewöhnen müssen, daß nach und nach neue Bannerträger auftreten. Wenn die Regierung dann aus der Produktion eines ganzen Jahres einen Film als ganz ihren Wünschen, Zielen und Aufgaben gerecht werdend herausstellt, erfährt dadurch das ganze Filmschaffen einen Anstoß, wie er auf materiellem Wege nie zu erreichen wäre.

Wir haben nicht die Absicht, die Produktion zu lähmen. Wir denken nicht daran, einen Zustand der Unsicherheit aufkommen zu lassen. Bei diesem großen Umbruch der Zeit muß der Film in die Lebensnähe des echten Volksdaseins rücken. Wir wollen auch nicht die private Initiative hindern, im Gegenteil, sie wird einen großen Anstoß durch die nationale Bewegung erhalten, durch das sichere Fundament, das diese Tage für ein neues Deutschland geschaffen haben. Es ist nicht die Absicht der Regierung, in die Gebiete der Berufsorganisationen einzugreifen. Die Organisationen werden vielmehr mit erhöhten Rechten ausgestattet. Die Regierung will mit der schaffenden Filmwelt Hand in Hand gehen und mit dieser den gemeinsamen Weg beschreiten. Nicht parteimäßige Gebundenheit ist dazu notwendig, aber der Künstler muß die neue Grundlage klar erkennen und sich ganz auf das allgemein geistige Niveau der Nation erheben und die weltanschaulichen Forderungen anerkennen.

Glauben Sie nicht, daß wir uns dazu berufen fühlen, Ihnen das Leben sauer zu machen. Die jungen Männer, die jetzt in der Regierung sitzen, sind den deutschen Filmkünstlern im Herzen zugetan. Ich selbst habe an vielen Abenden der vergangenen Zeit nach den entnervenden Kämpfen des Tages mit dem Reichskanzler im Lichtspielhaus gesessen und Entspannung gefunden. Glauben Sie nicht, daß wir des nicht in Dankbarkeit gedächten.

Was wir wollen, ist, daß Sie wieder Freude gewinnen an Ihrer Arbeit. Für den schaffenden Künstler muß es ein großes Gefühl sein, am Webstuhl der Zeit mitzusitzen und sagen zu können, auch für seinen bescheidenen Teil mitgemacht zu haben. Ich glaube, bei solcher neuen Gesinnung wird im Film auch ein neues sittliches Ethos entstehen. Ich bitte um vertrauensvolle Zusammenarbeit, damit es wieder wie auch auf anderen Gebieten vom deutschen Film heißen kann: Deutschland in der Welt voran!"

("Dr. Goebbels' Rede im Kaiserhof am 28.3.1933", in: Dr. Gerd Albrecht: Film im 3. Reich, Karlsruhe, 1979, S. 26-31)

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