Der Bundesverband Regie e.V. vergibt im November zum 5. Mal den Deutschen Regiepreis Metropolis in insgesamt acht Kategorien. Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung für das Lebenswerk als Ehrenpreis der VG Bild-Kunst erhält in diesem Jahr Michael Haneke.
Ohne Zweifel gehört er international zu den renommiertesten deutschsprachigen Regisseuren der Gegenwart. Haneke sucht im Kino Wahrhaftigkeit, gerade auch in der gesellschaftlichen Analyse und Kommunikation. Wie kaum ein anderer Regisseur bindet er den Zuschauer ein. Im puristisch, fast spröde gegebenen Bild zwingt er ihn, sich ohne vermittelnde Illusionsbrücken mit oft monströsen Vorfällen auseinander zu setzen.
Haneke hinterfragt die Filmästhetik und ihre wesentliche Zeige- und Bedeutungsfunktionen. Seine Form ist die des realistischen Bildes, das er radikal entschlackt und genauestens cadriert. Bei den Figuren vermeidet er individualpsychologische Erklärungsmuster. Und das trotz extremster Vorfälle, insbesondere in der Erkundung und Bewältigung von Gewalt, die plötzlich aus dem Alltag heraus bricht. Eine Deutung der visuell selten direkt, eist nur vermittelt und äußerst unspektakulär gezeigten Gewalt will er dem Zuschauer entlocken, ihn rückt er quasi als Mittäter oder Mitleidender in die Geschichte mit ein. Er soll die sehr bewusst leer gelassenen Bildstellen des oft beiläufig Gezeigten ausfüllen. Selten hat ein Filmregisseur sein Publikum so ernst genommen wie Michael Haneke es regelmäßig tut.
Geboren 1942 in München und aufgewachsen in Wien beginnt er 1967 als Redakteur beim Südwestfunk, wendet sich aber bald der Theater- und 1976 der Fernsehfilm-Regie zu. Bereits seine frühen, heute leider kaum bekannten oder zugänglichen Fernsehspiele, wie etwa "Lemminge" (1979) zeichnet ein strenger Formwille und antiillusionistische Inszenierung aus. Es dauert noch einmal zehn Jahre bis Haneke mit "Der siebte Kontinent" (1989) seinen ersten Kinofilm heraus bringt. Der völlig unprätentiös umkreiste kollektive Selbstmord einer ganzen Familie ist Ausgangspunkt für eine Trilogie über die "Vergletscherung der Gefühle" in der bürgerlichen Gesellschaft. "Bennys Video" (1992) und "71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls" (1994) gehören dazu und arbeiten sich an extremen Ausbrüchen ab: dem wiederum völlig unspektakulär und nur medial vermittelt gezeigten Mord bzw. Amoklauf.
"Die Klavierspielerin" (2000) schreibt diese Analyse privater wie gesellschaftlicher Vereisung in die intimsten Beziehungen fort. In Cannes erhielt der Regisseur dafür den Großen Preis der Jury. Fortan wird er verstärkt in Frankreich bzw. in entsprechenden Co-Produktionen arbeiten. Auch in "Code inconnu" ("Code: unbekannt", 2000) oder der apokalyptischen Endzeitvision "Wolfszeit" (2003) arbeitet er weiter an der Verunsicherung vor allem des bürgerlichen Subjekts und der Subversion von Zuschauererwartungen, die aus dem Mainstreamkino erwachsen. Für "Caché" (2005) erhielt er den Regiepreis in Cannes und den Europäischen Filmpreis. Für "Das weiße Band" (2009), einer vielschichtigen, aber nur andeutend hingetupften Geschichte um mysteriöse Unfälle und Todesfälle in einem norddeutschen Dorf am Vorabend des 1. Weltkriegs, deutet er auf die grundlegenden Mentalitäten, die diesen kollektiven Gewaltausbruch ermöglichen. Die Goldene Palme in Cannes und viele weitere Auszeichnungen würdigten diesen auch bildstilistisch außergewöhnlichen Film. "Liebe" (2012) gewann nicht nur die Goldene Palme, sondern auch den Oscar. Das Kammerspiel um ein altes, in starker Zuneigung gebundenes Professorenpaar konzentriert den ultimativen Liebesbeweis in höchstmöglicher Radikalität: dem Wunsch nach dem Tod als letzten Akt der Selbstbestimmung und eben der Liebe.
Michael Haneke Filme sind Versuchsanordnungen über die Pathologien der bürgerlichen Gesellschaft. Er fordert dem Zuschauer einiges ab und versucht stets, ihn für die Mechanismen filmischer Manipulation und Illusionsbildung zu sensibilisieren. Er dekonstruiert damit auch den Film selbst, den er gleichzeitig als Medium von Erkenntnis nutzt. Haneke ist ein unpathetischer Aufklärer, der das Kino noch immer als moralische Anstalt versteht.
Der Bundesverband Regie e.V. der Berufsverband von mehr als 700 Film- und Fernsehregisseuren/innen ist stolz, Michael Haneke mit dem Deutschen Regiepreis Metropolis 2015, einer kleinen Retrospektive seiner Filme und einem öffentlichen Fachgespräch in der HFF München ehren zu können. Die feierliche Preisverleihung findet in einer abendlichen Gala im Rahmen der "Tage der Regie" am 9. Nov. 2015 statt. Dabei werden auch die weiteren Jahres-Preisträger des Deutschen Regiepreises 2015 in den Kategorien Beste Regie Kino-, Fernseh-, Dokumentarfilm, Serien- und Nachwuchsregie sowie für eine schöpferische Mitwirkung überreicht.
Quelle und weitere Informationen: www.regieverband.de