Westen

Deutschland 2012/2013 Spielfilm

Inhalt

Zwei Koffer und ein Kuscheltier – das ist alles, was Nelly und ihr Sohn Alexej mitnehmen in das neue Leben im Westen. Ein Volkswagen hält vor ihrem Haus in Ost-Berlin. Ein Westdeutscher bringt sie über die Grenze. Nelly gibt vor, ihn zu heiraten. Sie ist nervös. Es ist Sommer, Ende der 1970er-Jahre – drei Jahre nach Wassilijs Tod. Nellys Freund starb bei einem Autounfall. Seitdem will auch Nelly gehen. Raus aus der DDR, um die Erinnerungen und die Trauer hinter sich zu lassen. Um neu anzufangen. Auf der anderen Seite der Mauer geht das, denkt Nelly. Bei der Ausreise trägt sie ein Blumenkleid. Doch drüben im Westen kennt sie niemanden. Das enge Notaufnahmelager in West-Berlin ist ihre einzige Anlaufstelle, aber auch der Ort, wo die Alliierten Geheimdienste sie nun durchleuchten und ihre eigene Geschichte sie mit voller Kraft einholt. Nelly muss sich entscheiden, wie viel Raum sie der Vergangenheit gibt – denn sie hätte die Macht, ihre Zukunftsträume zu zerstören.

Quelle: 47. Hofer Filmtage 2013

 

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ost-Berlin, Ende der 1970er Jahre. Nelly Senff wartet mit ihrem neunjährigen Sohn Alexej auf den Mann, der sie über die Grenze bringen wird, in den Westen - die Freiheit. Ganz offiziell mit Ausreisegenehmigung. Dennoch wird Nelly in einer Manier, wie man sie aus Frauentrakten der Konzentrationslager kennt, beim Grenzübertritt gedemütigt: Sie muss sich nicht nur vollkommen ausziehen, sondern allen Schmuck ablegen. Selbst der Ring wird mit Seife und Anwendung körperlicher Gewalt vom Finger gestreift.

Im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde kann Nelly ein kleines Zimmer beziehen. Angekommen in der Freiheit des Westens fühlt sie sich nicht: Es ist die gleiche penibel-peinliche Prozedur wie bei den NVA-Grenztruppen, der die sich unterziehen muss – nun aus medizinischen Gründen, um ihre „Lagerfähigkeit“ festzustellen. Noch ahnt sie nicht, dass ihr eine wahre Odyssee bevorsteht, bevor sie sich beim Arbeitsamt um einen Job bemühen kann, welcher die Voraussetzung dafür ist, dass sie außerhalb des Lagers eine Privatwohnung mieten kann.

Denn so einfach darf frau nicht aus dem sozialistischen Arbeiter- und Bauernparadies ausreisen, noch dazu mit einem schulpflichtigen Kind: Sie wolle wieder in einem qualifizierten Beruf als promovierte Chemikerin tätig sein, so Nelly vor zwei Mitarbeitern der Alliierten Sichtungsstelle Marienfelde, musste aber in den letzten beiden Jahren, nachdem sie den Ausreiseantrag gestellt hatte, auf einem Friedhof arbeiten. Der CIA-Mann John Bird lässt nicht locker: Nellys Freund Dr. Wassilij Batalow, Alexejs Vater, ein Physiker und offenbar hochgradiger Atomwissenschaftler, der zu internationalen Kongressen in alle Welt reiste, ist unter mysteriösen Umständen in Moskau umgekommen.

Er soll bei einem Autounfall gestorben sein. Nelly hat sich aber von Wassilij nicht verabschieden können, seine Leiche wurde eingeäschert und in Moskau beerdigt. Was den alliierten Geheimdienst auf den Plan ruft: Könnte es sein, dass Nellys Lebensgefährte ein Agent gewesen ist, der jetzt unter anderer Identität im Westen lebt, weshalb sie mit dem Kind binnen relativ kurzer Zeit in die Bundesrepublik ausreisen durfte?

„Ich will neu anfangen, leben“: Die selbstbewusste Nelly will niemandem mehr Rechenschaft ablegen, obwohl ihr durchaus Zweifel an ihrem bisherigen Leben an der Seite des anscheinend Verstorbenen kommen. Besonders der US-Offizier, ein verheirateter Vietnam-Veteran, ist beeindruckt von dieser schönen, starken Frau, die um ihren Stolz und ihre Würde kämpft. Nelly trifft sich mehrfach mit John Bird, um ihm mehr Informationen über Wassilij zu entlocken.

Im Lager hat sie sich mit der etwa gleichaltrigen Deutschpolin Krystyna Jablonowska angefreundet, die mit ihrem bereits leicht verwirrten 75-jährigen Vater Jakub in Marienfelde gelandet ist, weil sie sich in der Heimat ihrer Vorfahren ein besseres Leben erhofft. Als Verkäuferin in einer Imbissbude fasst die ausgebildete Cellistin jedoch ebenso wenig Fuß wie ihr vereinsamter Vater: beide kehren nach Polen zurück. Anders verhält es sich dagegen bei Hans Pischke, der Interesse an Nelly zeigt und sich rührend um Alexej kümmert, der die bunte Glitzerwelt des Westens zunächst als großes Abenteuer erlebte. Um sich bald danach in der Schule als „Ostpocke“ beschimpfen lassen zu müssen, weil er outfitmäßig nicht mit den Westberliner Kindern mithalten kann. Hans hat als „Politischer“ zwei Jahre in Bautzen gesessen, nachdem er Flugblätter verteilt hat. An eine Rückkehr ist also nicht zu denken, an ein Fortkommen inzwischen aber wohl auch nicht mehr: „Das ist der Lagerfluch – entweder gleich weg oder hier gefangen.“

Hans hat sich selbst aufgegeben, schleicht sich als ein Verlorener durchs Lager. Aber nicht als Vergessener: Wie auch anfangs Nelly haben andere Bewohner den Verdacht, dass er ein Spitzel sei – und schlagen ihn krankenhausreif. „So hab' ich mir Papa immer vorgestellt“: Nun ist es Alexej, der sich rührend um seinen Ersatz-Vater bemüht. Der zum Weihnachtsfest überraschend vor der Tür der neuen Wohnung der Senffs steht, nachdem Nelly alle bürokratischen Hürden überwunden und endlich einen neuen Job in einem Labor gefunden hat, auch wenn dieser noch nicht ihrer Qualifikation entspricht...

Mit diesem kleinen Hoffnungsschimmer am Heiligen Abend endet der bewegende Film, der nicht nur die Geschichte einer selbstbewussten Frau, die gemeinsam mit ihrem Sohn aus der DDR ausreist und ihre ersten Gehversuche im „goldenen Westen“ wagt, erzählt. Sondern auch einen Einblick in die Verhältnisse eines Notaufnahmelagers gibt: Rund vier Millionen Menschen verließen in den Jahren zwischen 1949 und 1990 die DDR in Richtung Bundesrepublik. „Westen“ schildert authentisch die Verhöre der Angekommenen durch die Geheimdienste der Deutschen und der alliierten Siegermächte: Notaufnahmelager wie das im Film gezeigte waren Schauplätze des Kalten Krieges. Julia Franck hat 1978/79 als Kind neun Monate dort zugebracht und in ihrem Roman „Lagerfeuer“, auf dem Christian Schwochows Film basiert, von ihren bitteren Erfahrungen in Berlin-Marienfelde berichtet.

Nach seinem sensationellen Debüt mit dem Film „Novemberkind“, der zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen erhielt, seinem sensiblen Psychodrama „Die Unsichtbare“, der zahlreiche Festivaleinladungen und mehrere Preise erhielt, sowie dem großen TV-Erfolg mit der Literaturverfilmung „Der Turm“ mit allein sechs Grimme-Preisen, den Publikumspreisen „Bambi“ und „Goldene Kamera“ sowie dem Bayrischen Fernsehpreis, ist dem Regisseur Christian Schwochow mit „Westen“ erneut ein Kinofilm gelungen, der mit persönlicher wie politischer Kraft von der Schwierigkeit erzählt, einen Neuanfang zu wagen. Die Free-TV-Premiere lief am 31. August 2016 auf Arte.

Pitt Herrmann

Credits

Drehbuch

Kamera

Schnitt

Darsteller

Alle Credits

Regie-Assistenz

Continuity

Drehbuch

Kamera

Kamera-Assistenz

Szenenbild

Art Director

Außenrequisite

Innenrequisite

Garderobe

Schnitt

Ton-Design

Ton-Assistenz

Synchron-Ton

Geräusche

Mischung

Stunt-Koordination

Casting

Darsteller

Co-Produzent

Herstellungsleitung

Produktionsleitung

Dreharbeiten

    • 09.10.2012 - 28.11.2012: Gallwitz-Kaserne Bonn, Berlin, Mönchengladbach
Länge:
98 min
Format:
DCP, 1:2,35
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 06.01.2014, 142704, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Aufführung (CA): August 2013, Montreal, World Film Festival;
Erstaufführung (DE): 25.10.2013, Hof, Internationale Filmtage;
Kinostart (DE): 27.03.2014

Titel

  • Originaltitel (DE) Westen
  • Weiterer Titel (DE) Lagerfeuer
  • Weiterer Titel (ENG) West

Fassungen

Original

Länge:
98 min
Format:
DCP, 1:2,35
Bild/Ton:
Farbe, Dolby
Prüfung/Zensur:

FSK-Prüfung (DE): 06.01.2014, 142704, ab 12 Jahre / feiertagsfrei

Aufführung:

Aufführung (CA): August 2013, Montreal, World Film Festival;
Erstaufführung (DE): 25.10.2013, Hof, Internationale Filmtage;
Kinostart (DE): 27.03.2014

Formatfassung

Länge:
98 min
Format:
35mm, 1:2,35
Bild/Ton:
Farbe, Dolby

Auszeichnungen

Günter Rohrbach Filmpreis 2014
  • Preis des Oberbürgermeisters, Beste Darstellerin
Festival des deutschen Films, Ludwigshafen 2014
  • Besondere Auszeichnung, Ensemble
Deutscher Filmpreis 2014
  • Lola - Filmpreis in Gold, Beste darstellerische Leistung - weibliche Hauptrolle
Montreal World Film Festival 2013
  • Beste Schauspielerin
  • FIPRESCI Preis, World Competition