Inhalt
Winfried, ein sozialromantischer Alt-68er mit einem übergroßen Hang zu Scherzen, lebt allein mit seinem Hund. Seine einzige Tochter Ines jettet derweil um die Welt und arbeitet ehrgeizig an ihrer Karriere als Unternehmensberaterin. Als sein Hund stirbt, reist Winfried spontan nach Bukarest, um den Kontakt zu Ines wieder aufzunehmen. Doch zwischen Meetings, Businessempfängen und Hotelbars fühlt er sich schnell fehl am Platz, seine unentwegten Witze irritieren seine gestresste Tochter, und bald kommt es zum großen Krach. Da verwandelt Winfried sich in sein Alter Ego Toni Erdmann – mit schlechtsitzendem Anzug, Perücke, schiefem Gebiss und neuer Persönlichkeit mischt er sich kühn und voller Witz als "Coach ihres Chefs" in Ines' Berufsalltag. Es kommt zu einem offenen Schlagabtausch, der Vater und Tochter verblüffenderweise wieder einander näher bringt.
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Ganz zu schweigen von der Furzkissen-Attacke oder der total abgefahrenen Handschellen-Nummer, aus der die beiden nur mit Hilfe recht zwielichtige Freunde von Ines' rumänischem Fahrer Bogdan befreit werden. Winfried stürzt seine Tochter von einer Verlegenheit in die andere, bis Ines zurückschlägt – und aus ihrem vom Chef eingeforderten Teambuilding-Abend unangekündigt eine Nacktparty macht. Bei der ihre Sekretärin eindeutig die beste Figur abgibt. Mit diesem vor allem in den Medien als spektakulär empfundenen Befreiungsschlag der Tochter könnte Maren Ades dritter Spielfilm zu Ende sein, allein es muss noch einiges mehr passieren, bevor sich Vater und Tochter, in deutlich entspannter Atmosphäre, bei der Beerdigung seiner Mutter wiedersehen.
Zu einem in der deutschen Komödienlandschaft unter TV-Koproduktions-Bedingungen üblichen Happy End hat sich die 39-jährige Autorenfilmerin nach dann doch recht langen 162 Minuten nicht durchringen können: Ines hat zwar Bukarest glücklich hinter sich gelassen und hängt nicht mehr ganz so junkiehaft am Smartphone, hat aber einen neuen Stress-Job angenommen: für zwei Jahre geht es nach Schanghai.
Im Mittelpunkt stehen mit Peter Simonischek und Sandra Hüller zwei mutige Ausnahme-Schauspieler, deren Botschaft offenbar global ankommt: „Toni Erdmann“ ist in mehr als sechzig Länder verkauft worden. Mit dem soften Anarcho-Papa und seiner toughen neokonservativen Tochter, die sich im Macho-Business der Unternehmungsberatung behaupten muss, stehen sich nicht nur zwei Generationen, sondern auch zwei Lebensmodelle gegenüber. Maren Ade schildert bei aller Skurrilität und Überzeichnung Situationen des Alltags, die einen hohen Wiedererkennungseffekt beim Publikum haben. Und die Sympathien auf beide Protagonisten gleichmäßig verteilen.
Weshalb es doch kein so großes Wunder ist, dass „Toni Erdmann“ zu „dem“ Überraschungsfilm bei der Uraufführung am 14. Mai 2016 im Rahmen der 69. Int. Filmfestspielen in Cannes wurde, und das als erster deutscher Beitrag im Wettbewerb nach „Palermo Shooting“ von Wim Wenders acht Jahre zuvor. Es gab stehende Ovationen vom (Fach-) Publikum und wahre Hymnen auch in der französischen Presse, aber keinen Preis. Dafür ist der Eröffnungsstreifen des Münchner Filmfestes 2016 mit dem Fipresci-Preis der intern. Filmkritik ausgezeichnet worden. Free-TV-Premiere war am 12. November 2018 auf Arte.
Der sich im Kino äußerst rar machende Wiener „Burg“-Star Peter Simonischek war von seiner Doppelrolle als Toni Erdmann so begeistert, dass er das horrible Gebiss am 3. Mai 2016 zur Eröffnung der 70. Ruhrfestspiele Recklinghausen trug als Pantalone in Christian Stückls Goldoni-Inszenierung „Der Diener zweier Herren“. Man(n) kanns auch übertreiben...
Pitt Herrmann