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Ostberlin, 1989. Die 18-jährige Suzie fliegt kurz dem Abitur von der Schule und tritt notgedrungen eine Ausbildung als Facharbeiterin in einem Kabelwerk an. Zufällig wird sie auf dem Weg zur Arbeit von einem Modefotografen geknipst und landet völlig überraschend auf dem Cover der DDR-Modezeitschrift 'Sibylle'. Quasi über Nacht avanciert Suzie zum gefragten Fotomodel und bekommt so die Chance, aus dem sozialistischen Fabrikalltag in die glamouröse Modewelt zu entfliehen. Zu ihren Weggefährten gehören der exzentrische Underground-Designer Rudi und der rebellische Fotograf Coyote, dessen zauberhafte Bilder nicht unter seinem Namen gedruckt werden dürfen. Seite an Seite versuchen die drei, zwischen ausgelassener Modeszene und repressivem Alltag ihren ganz persönlichen Weg zu finden.
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Die Folge: Relegation von der Erweiterten Oberschule und statt Universität nun Bewährung in der Produktion als Zerspannungsfacharbeiterin im Kabelwerk Oberspree (KWO). Suzie lebte bisher mit ihrer 12-jährigen Schwester Kerstin und ihrem Vater Klaus in einer grünen Idylle am Rand der Hauptstadt. „Nur wenn wir träumen, sind wir frei“, hatte ihr die vor einem Jahr verstorbene Mutter auf den weiteren Lebensweg mitgegeben. Jetzt weiß Suzie, wie es sich anfühlt, wenn Träume platzen.
Allerdings ist sie noch gut weggekommen, wie Klaus Schultz von einem Freund erfährt: Für ein ähnliches Delikt ist jemand kürzlich in Karl-Marx-Stadt zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Was Suzie nicht wirklich tröstet, als sie mit der Tram zum neuen Arbeitsplatz weit im Südosten Berlins fährt: Zwar wird „die Kleene“ von ihrer Brigadeleiterin Gisela geradezu mütterlich umsorgt, aber deren Vorgesetzter Petzke, ein überzeugter Sozialist, ahnt Probleme mit der geschassten Oberschülerin und droht „seinen“ Frauen sogleich mit Prämienentzug.
Morgens früh um halb fünf in der Straßenbahn sitzend wird sie von außen durchs Fenster von einem jungen Mann in Lederjacke fotografiert. Der Schnappschuss füllt wenig später eine ganze Seite der weit über die DDR hinaus führenden Modezeitschrift „Sibylle“, die daher auch „Vogue des Ostens“ genannt wird. Kerstin schreibt einen erbosten Brief an die Redaktion, schließlich will sie einmal Mannequin werden – und eröffnet damit ihrer Schwester die Tür in die glamouröse Welt der Mode.
„Gib dem Kleid deine Persönlichkeit. Du bist hübsch, aber hübsch sind viele“: Sybille-Chefredakteurin Elsa Wilbrodt macht Suzie klar, dass noch viel Arbeit auf sie wartet. Beim Erlernen des aufrechten Gangs wird sie unterstützt von Elsas rechter Hand, dem so extravaganten wie kreativen Rudi, und dem aufsässigen Fotografen Frank Dill alias Coyote, dessen großartige Bilder nicht unter seinem Namen gedruckt werden dürfen: „Ick mach wat ick will. Bin ein asoziales Subjekt.“
Suzie, die sich in Coyote verliebt, taucht in die allerdings von der Staatssicherheit ständig überwachte Subkultur Ost-Berlins ein und entwickelt sich rasch weiter zum Unmut der bisherigen Favoritin Uta, die in ihr eine Konkurrentin erkennt. Der Mode-Professor Grünwald kann sich gegen Parteikader durchsetzen und schickt Suzie mit zur wichtigsten Modeschau des Jahres auf der Leipziger Messe, zu der wie in jedem Jahr der Volkskammer-Präsident Horst Sindermann erwartet wird.
Als sie nach einem Eklat auf dem Catwalk, bei dem sich Rudi als Homosexueller zu erkennen gibt, die Situation rettet, indem sie Sindermann eine rote Nelke überreicht, soll sich Suzie mit Wissen Elsa Wilbrodts als Stasi-Mitarbeiterin verpflichten. Was das neue Supermodel der Republik sogleich von sich weist. Aber als Coyotes heimlich gemachten Fotos vom Leipziger Vorfall in der West-Illustrierten „Stern“ landen und dieser plötzlich von der Bildfläche verschwindet, während Rudi zusammengeschlagen und seine Wohnung verwüstet wird, glauben alle, Suzie hätte ihre Freunde verraten…
„In einem Land, das es nicht mehr gibt“ ist ein exzellent besetzter und mit großer Sorgfalt authentisch ausgestatteter Film, in dem drei Monate vor dem Fall der Mauer die Extreme aufeinanderprallen: Sehnsucht nach Freiheit versus kleinbürgerliche Enge eines bürokratischen Überwachungsstaates, sozialistische Gemeinschafts-Ideologie versus individualistisches Streben etwa nach modischer Eleganz. Nicht nur für Suzie stellt sich die Frage, welchen Preis sie bereit ist, für ihren Erfolg zu zahlen.
Die Koproduktion mit gleich fünf Rundfunkanstalten und dem ARD-Vermarkter Degeto beruht auf persönlichen Erlebnissen der Drehbuchautorin und Regisseurin Aelrun Goette, was im Vorspann durch private Fotos und Video-Schnipsel angedeutet wird: In den 1980er Jahren wurde die 19-Jährige auf der Straße in Ost-Berlin von Dorothea Melis als „Mannequin“ entdeckt. Sie modelte für den VEB Exquisit, war auf dem Cover der „Sibylle“ und stand für die großen Fotografen der DDR, Ute Mahler, Sibylle Bergemann und Roger Melis, vor der Kamera.
Aelrun Goette im Tobis-Presseheft: „Es gab in der Diktatur nicht nur Täter, Opfer und Zeitzeugen, sondern auch Menschen, die stark, kraftvoll und wild waren, die von Freiheit geträumt und sie sich genommen haben. Vor allem für die junge Generation gibt es in diesem Teil der deutschen Vergangenheit noch viel zu entdecken.“
Pitt Herrmann