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Oberösterreich im Jahr 1750: Ein Karpfenteich reflektiert das Grau des Himmels. Ein tiefer, dunkler Wald schluckt das Sonnenlicht. Auf einem Hügel wird eine Hingerichtete zur Schau gestellt. Als Exempel. Als Warnung. Ein Omen? Die tiefreligiöse und hochsensible Agnes betrachtet die tote Frau mit Mitleid. Auch mit Sehnsucht, denn sie fühlt sich fremd in der Welt ihres Mannes Wolf, in die sie gerade eingeheiratet hat. Eine gefühlskalte Welt voller Arbeit, Verrichtungen und Erwartungen. Immer mehr zieht sich Agnes zurück. Immer enger wird ihr inneres Gefängnis, immer erdrückender ihre Melancholie. Eine Gewalttat scheint ihr bald der einzige Ausweg.
Veronika Franz und Severin Fiala entwerfen das abgründige Psychogramm einer Frau aus Fleisch und Knochen, Sehnen und Seele, gespielt von Anja Plaschg, die als Soap & Skin auch die Filmmusik komponiert hat. "Des Teufels Bad" gibt Frauen aus dem bäuerlichen Milieu, den Unsichtbaren und Ungehörten jener Zeit, eine Stimme und zeigt ihren harten Alltag, bestimmt von religiösen Dogmen und Tabus, die bis ins Heute wirken. Der Film basiert auf historischen Gerichtsprotokollen aus einem erschütternden, bisher unbeleuchteten Kapitel europäischer Geschichte.
Quelle: 74. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Oberösterreich, Mitte des 18. Jahrhunderts: Auf einem von tiefem, dunklem Wald umgebenen Hügel wird die Hingerichtete zur Schau gestellt – als Warnung. Auch für die junge Frau, die sich für ihre bevorstehende Hochzeit gerade einen bunten Früchtekranz geflochten hat. Agnes (grandioses Spielfilmdebüt der österreichische Musikerin, Sängerin und Komponistin Anja Plaschg) betrachtet die Tote mit einer Mischung aus Mitleid und Furcht.
Ahnt sie doch, dass sie sich in der gefühlskalten Welt ihres künftigen Gatten Wolf und dessen eifersüchtiger Mutter Gänglin nicht heimisch fühlen wird. Agnes legt der Tradition entsprechend vor der Hochzeitsnacht einen menschlichen Finger, woher sie diesen auch immer hat, unters Brautbett: der soll in Kombination mit anderen archaischen Bräuchen wie dem Hühnerkopf-Schlagen zur gesegneten Mutterschaft führen.
Doch Wolf verweigert zunächst und dann selbst in der vielbeschworenen Vollmondnacht den Beischlaf in der alten, einsam an einem Karpfenteich gelegenen steinernen Kate, in die das junge Paar ziehen muss, da sein älterer Bruder als Erstgeborener den elterlichen Hof allein bewirtschaftet. Weil die Schwangerschaft ausbleibt, lässt sich Mutter Gänglin immer häufiger mit mehr oder minder gut gemeinten Ratschlägen blicken. Als auch das mehrfache tägliche Vaterunser im Herrgottswinkel und sogar bei der Essenszubereitung nicht hilft, zieht sich die tiefreligiöse und hochsensible Agnes immer mehr in sich selbst zurück.
Eine Blutegel-Kur beim Bader soll Agnes die Schwermut austreiben, was ebenso wenig Erfolg zeitigt wie der durch den Nacken gezogene Faden, an dem das Gift aus dem Körper entrinnen soll. Die von Alpträumen heimgesuchte Agnes verfällt zunehmend dem Wahnsinn, weil sie ihre Mutterrolle nicht erfüllt. Anstatt den Grund beim sich ihr verweigernden Wolf zu suchen, will sie ihrem freudlosen Erdendasein selbst ein Ende bereiten.
Agnes hat freilich mitbekommen, dass der Dorfpfarrer einen Selbstmörder nicht auf dem Friedhof bestatten will, da der Suizid aus Sicht der Kirche ein schlimmeres Verbrechen ist als Mord. Weil letzterer nach einer Beichte des Täters durch den Kirchenmann vergeben werden kann. So plant Agnes eine gottlose Tat, nach der sie – zumindest nach Auffassung der Kirche – dennoch in den Himmel kommen kann…
Die gefeierten Genre-Spezialisten Veronika Franz und Severin Fiala präsentieren nach „Ich seh ich seh“ mit „Des Teufels Bad“ ihren zweiten Spielfilm. Das wuchtig-düstere Werk über ein bisher unbeleuchtetes Kapitel europäischer Geschichte basiert auf vierhundert historischen Gerichtsprotokollen aus Österreich und Deutschland. Das reale Vorbild der Protagonistin Agnes ist Eva Litzfeller, die sich 1762 nach einem Kindesmord der Justiz stellte. Der Film zeichnet darüber hinaus ein universelles Bild vom gesellschaftlichen Umgang mit Außenseitern und Tabus.
Severin Fiala im Plaion-Presseheft: „Wir sind auf einen Podcast gestoßen, in dem die US-Historikerin Kathy Stuart von dem Phänomen des mittelbaren Selbstmordes im 17. und 18. Jahrhundert gesprochen hat und wir wussten sofort: Das ist eine Geschichte, die wir erzählen wollen. Einerseits, weil sie noch nicht erzählt worden ist, andererseits weil sie sich mit historischen Figuren beschäftigt, die normalerweise keine Stimme haben, nicht im Kino und auch nicht in der historischen Überlieferung. Es sind Frauen aus sehr armen Verhältnissen, von deren Leben man heute nur deshalb weiß, weil sie schreckliche Verbrechen begangen haben.“
Martin Gschlachts archaischen Bilder dieses auf 35mm gedrehten dunklen Films prägen „Des Teufels Bad“ ebenso wie die herausragende schauspielerische Leistung von Anja Plaschg, die unter ihrem Künstlernamen Soap&Skin zudem die Filmmusik komponierte – und ursprünglich auch nur dafür vorgesehen war, bis die bereits gecastete Hauptdarstellerin aus terminlichen Gründen absagen musste. In der Rolle der Schwiegermutter glänzt Maria Hofstätter, die selbst in einer sehr religiösen, oberösterreichischen Bauernfamilie aufgewachsen ist und zahllose Hinweise geben konnte: „Maria hat uns mitgegeben, dass das Wichtigste im bäuerlichen Alltag das Pragmatische ist: Alles musste nützlich sein und effizient“, so Veronika Franz im Presseheft.
Die Ko-Autorin und -Regisseurin zur Hauptfigur ihres hochdeutsch untertitelten Historiendramas über bäuerliches Leben, Depression und Einsamkeit, das vor allem in Litschau, der nördlichsten, an das tschechische Südmähren grenzenden Stadt Österreichs, gedreht wurde: „Agnes funktioniert nicht in ihrer Welt. Und die unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserer heutigen, wenn man den Leistungsanspruch betrachtet. Menschen mussten arbeiten, ihren Pflichten nachkommen. Wenn sie dem nicht gewachsen waren oder anders tickten, rief das großes Unglück hervor und das ist, denke ich, ein sehr zeitgemäßes Thema. Das Nicht-Funktionieren ist auch heute noch ein riesiges Tabu. Das ist eine der zentralen Fragen, finde ich: Können wir einander nicht einfach Schwächen, Fehler und Versagen zugestehen und uns trotzdem lieben?“
Pitt Herrmann