Liebeskommando
Tomboy der Herzen – zum 110. Geburtstag von Dolly Haas
Quelle: DFF |
Dolly Haas |
Vor 110 Jahren, am 29. April 1910, wurde Dorothy Clara Louise Haas in Hamburg geboren. Als Dolly Haas eroberte sie in den letzten Jahren der Weimarer Republik die Leinwände und demontierte weibliche Rollenklischees. Ihre moralische Integrität und ihre tiefe Abscheu gegenüber dem menschenverachtenden NS-Regime zwangen die Schauspielerin auf dem ersten Höhepunkt ihrer Karriere in die Emigration, und Zeit ihres Lebens blieb Dolly Haas eine unkonventionelle Persönlichkeit mit Charakter und Rückgrat. Ein willkommener Anlass, um an einen außergewöhnlichen Star und Menschen zu erinnern.
Es war ein prophetischer Titel: "Dolly macht Karriere" hieß die Komödie von Anatole Litvak, mit der Dolly Haas 1930 der Durchbruch als Filmschauspielerin gelang. An der Seite von Oskar Karlweis spielte die damals 20-Jährige eine Verkäuferin, die von einer Bühnenkarriere träumt und nach allerhand turbulenten Verwicklungen dank Talent, Schlagfertigkeit und Chuzpe ihr Ziel erreicht.
So wie ihre Filmfigur reüssierte auch Dolly Haas zunächst am Theater: 1927 kam die Tochter eines Briten und einer Wienerin nach dem Abitur nach Berlin, wo sie binnen weniger Jahre zur gefragten Bühnendarstellerin aufstieg. Und alsbald nahm auch der Film Notiz von der jungen Frau, die in ihrem mitreißenden Spiel scheinbar mühelos zwischen energischer Entschlossenheit und emotionaler Fragilität changieren konnte.
Girls Will Be Boys
Rückblickend wirkt es so, als hätte die frühe Tonfilmkomödie der Weimarer Republik nur auf Dolly Haas gewartet: Selbstbewusst, urban und ungeheuer präsent war sie das aufregende Gegenstück zur entrückten Leinwanddiva. Als schlagfertiger Tomboy avant la lettre wirbelte sie tradierte Geschlechterrollen durcheinander und begegnete ihren männlichen Mitspielern auf Augenhöhe. Folgerichtig wurde sie oft in "Hosenrollen" besetzt, etwa als vermeintlicher Armeekadett in "Liebeskommando" (1931) oder als "Der Page vom Dalmasse-Hotel" (1933). Doch Dolly Haas war nicht nur das burschikose, anarchische Mädchen für alle Komödienfälle, die mit dem kongenialen Curt Bois in der wunderschön absurden Kolportage "Ein steinreicher Mann" (1933) eine kleine Rumba tanzte. Selbst ihre komischsten Figuren zeigten dramatische Tiefe und immer wieder verlieh sie ihren Rollen eine zutiefst berührende Verletzlichkeit, so etwa in "Scampolo, ein Kind der Straße" (1932).
In vielen Komödien sah sie sich umgeben von zwar liebenswerten, aber chronisch begriffsstutzigen Mannsbildern, die erst im letzten Akt kapierten, dass "Das häßliche Mädchen" (1933) die unwiderstehliche Frau ihrer Träume ist. Die war sie zweifellos für zahlreiche Regisseure, darunter Kurt Gerron, Henry Kosterlitz oder Fritz Kortner, sowie für Drehbuchautoren wie Felix Joachimson und Billy Wilder, die der deutschsprachigen Filmkomödie in ihrer kurzen Blütezeit mit pfeilschnellem Wortwitz und ironischer Gegenwartsbetrachtung die träge Biederkeit austrieben. Sie fanden in Dolly Haas die Idealbesetzung für Stoffe, die US-amerikanischen Screwball Comedies weit näher waren als dem schwerfälligen Lustspiel teutonischer Prägung. Dass alle eben genannten Filmemacher wenig später aus Deutschland fliehen mussten, ins Exil gezwungen oder, im Fall von Kurt Gerron, von den Nazis ermordet wurden, spricht traurige Bände. (Mehr zur Emigration Filmschaffender während des Nationalsozialismus hier)
Emigration als moralische Konsequenz
Der Aufstieg der Nazis war für Dolly Haas unerträglich, und die kalkulierten antisemitischen Ausschreitungen gegen ihren Leinwandpartner Max Hansen bei der Premiere von "Das häßliche Mädchen" markierten einen weiteren, unheilbaren Bruch. In den 1980er Jahren erinnerte sich Dolly Haas im Gespräch mit Gero Gandert:
„… Und dann die Premiere am 8. September. Den Max Hansen habe ich verehrt, das trifft einen doch persönlich, wenn ein Kollege beschimpft wird. Genau wie die Bergner und Helene Thimig und die unvergeßliche Grete Mosheim, die ich liebe und liebte als junges Mädchen — wenn solche Menschen weggehen, da passiert doch etwas mit unseren Gefühlen. Als diese Eier da landeten, ich glaube auch eine Tomate, da habe ich gewußt, daß mit meinem Gefühl zum geliebten Publikum etwas passiert ist, und das hat mir wirklich meine persönliche Ambition geraubt. (…)“i
1936 zog Dolly Haas die mutige Konsequenz und verließ Deutschland. Zunächst emigrierte sie nach England, wo sie mit Hauptrollen in den Dramen "Broken Blossoms" – inszeniert von ihrem späteren Ehemann Hans (John) Brahm – und "Spy of Napoleon" an frühere Erfolge anknüpfen konnte.
Als ihr Columbia kurz darauf einen Dreijahresvertrag anbietet, geht Dolly Haas nach Hollywood. Doch die US-Filmindustrie kann ihr keine geeigneten Rollen bieten, und so wechselt sie 1941 an die Ostküste und kehrt dort mit großem Erfolg zum Theater zurück. Neben der beruflichen Erfüllung am Broadway findet sie ihr privates Glück mit dem berühmten Karikaturisten Al Hirschfeld, den sie 1943 in zweiter Ehe heiratet.
Nur noch einmal steht Dolly Haas, seit den 1940er Jahren amerikanische Staatsbürgerin, als Filmschauspielerin vor der Kamera: 1953 hat sie einen eindringlichen Auftritt als in die USA emigrierte Künstlerin in Alfred Hitchcocks "I Confess". Es ist eine zutiefst gebrochene Figur, so überzeugend gespielt und doch Dolly Haas so unähnlich, die mit Empathie, Intelligenz und Wandlungsfähigkeit ihren professionellen und persönlichen Prinzipien folgte und auch nach ihrem Tod im Jahr 1994 eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Filmgeschichte bleibt.
i(Aus: "Da passiert doch was mit unseren Gefühlen", Dolly Haas im Gespräch mit Gero Gandert, in: Helga Belach (Red.): Dolly Haas (Stiftung deutsche Kinemathek: Exil: Sechs Schauspieler aus Deutschland), Berlin 1983. Mehr Auszüge des Gesprächs hier lesen)