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Alle Fotos (10)Biografie
Kurt Gerron, geboren am 11. Mai 1897 als einziges Kind einer wohlhabenden Berliner Kaufmannsfamilie, besuchte das Gymnasium und wurde nach seinem Abschluss mit 17 Jahren ins Militär eingezogen. Im Ersten Weltkrieg wurde er mehrfach verwundet und kehrte schließlich als "kampfunfähig" befunden zurück nach Berlin. Er studierte dort anschließend Medizin an der Universität Berlin, wurde aber nach verkürzter Studiendauer erneut als Lazarettarzt in den Kriegsdienst geschickt.
Mit 23 Jahren beschloss er, statt Arzt nun Schauspieler zu werden, und war von 1920 bis 1925 unter anderem an den Berliner "Reinhardt-Bühnen" tätig. 1926 spielte er an Moriz Seelers Junger Bühne den Mäch in Brechts "Baal" sowie die Rollen des Polizeichefs und des Moritatensängers in der immens erfolgreichen Uraufführung der "Dreigroschenoper" (31.8.1928, Theater am Schiffbauerdamm), die ihn über Nacht berühmt machen sollte. Neben seinen Inszenierungen und Darstellungen am Theater trat er als Sänger und Schauspieler in zahlreichen Kabaretts und Revuen auf.
Seit Anfang der 1920er Jahre spielte Gerron auch im Film, wobei er aufgrund seiner massigen körperlichen Erscheinung vorwiegend in Nebenrollen zu sehen war. So spielte er Hafenarbeiter ("Variete"), Ringkämpfer ("Halbseide") oder Boxer ("Ein Tag der Rosen im August"). Gerne besetzten ihn Richard Oswald und Manfred Noa in ihren Filmen, häufig spielte er an der Seite von Hans Albers, im Tonfilm dann auch neben Heinz Rühmann ("Einbrecher").
Gegen Ende der 1920er befand sich Kurt Gerron auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit und Prominenz angekommen und ließ sich auch in kleinen Gastauftritten in Filmen befreundeter Regisseure sehen, beispielsweise bei G. W. Pabst als Barbesucher in der UFA-Produktion "Die weiße Hölle von Piz Palü" oder in "Tagebuch einer Verlorenen". Zu seiner bekanntesten Rolle wurde der Varietédirektor Kiepert in Josef von Sternbergs "Der Blaue Engel" (1930). Ihr folgten zahlreiche Auftritte im frühen Tonfilm, unter anderem als Rechtsanwalt in der Filmoperette "Die Drei von der Tankstelle" oder als Casino-Direktor in "Bomben auf Monte Carlo".
Mit dem dünnen Komiker Siegfried Arno trat der massige Gerron seit Mitte der 1920er in Film und Kabarett häufig gemeinsam auf. Der Versuch, als Comedy-Duo "Beef und Steak" eine deutsche Film-Groteske zu inszenieren, scheiterte 1928/29. Schlechte Kritiken und das Aufkommen des Tonfilms verhinderten, dass Gerron dieses Ziel noch weiter verfolgte. Arno war außerdem in Gerrons frühen Kurztonfilmen zu sehen.
Sein Regiedebüt lieferte Gerron 1926 mit dem Kriminalfilm "Der Liebe Lust und Leid", wechselte ab 1931 dann immer häufiger hinter die Kamera. Er produzierte unter anderem auch einige der ersten Lustspielerfolge Heinz Rühmanns wie "Meine Frau, die Hochstaplerin" (1931) mit Käthe von Nagy und "Es wird schon wieder besser" (1932) mit Dolly Haas.
In "Ein toller Einfall" (1932), der zugleich in deutscher und französischer Fassung gedreht wurde, ließ Gerron Willy Fritsch und eine ganze Gruppe bekannter Komödianten wie Max Adalbert, Jakob Tiedtke, Leo Slezak, Paul Hörbiger, Theo Lingen, Adele Sandrock und Oskar Sima in einem zum Hotel umfunktionierten Schloss von einem skurrilen Ereignis ins nächste schlittern. Mit Hans Albers drehte er im gleichen Jahr "Der weiße Dämon", ein Drama um eine kokainsüchtige Sängerin und den internationalen Rauschgiftschmuggel, und die Musikkomödie "Heut' kommt's drauf an" mit Luise Rainer.
Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, emigrierte der wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Haltung gefährdete Gerron mit seiner Frau Olga und seinen Eltern nach Paris, wo er zwei Filmkomödien inszenierte. Im Oktober 1935 zog er über Österreich und Italien weiter nach Amsterdam, wo er unter anderem einen Detektivfilm und einen Dokumentarfilm über einen niederländischen Rundfunksender drehte sowie die holländische Synchronisation von Disneys "Snow White" ("Schneewittchen") herstellte. Nach Fertigstellung einer in Rom gedrehten italienisch-holländischen Produktion wandte er sich mit anderen Emigranten mehr dem Theater und Kabarett zu.
Trotz des Einmarschs der deutschen Truppen in die Niederlande im Mai 1940 blieb Gerron in Amsterdam, wurde dort Direktor des jüdischen Theaters "Joodsche Schouwberg", an dem auch andere deutsche Emigranten wie Rudolf Nelson und Willy Rosen mitwirkten, bis das gesamte Ensemble in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Angebote von Freunden wie Peter Lorre und Marlene Dietrich, die Gerron zur Ausreise in die USA überreden wollten, schlug er aus. Im September 1943 wurden dann auch seine Familie und er verhaftet und in das niederländische Durchgangslager Westerbork gebracht.
Am 25. Februar 1944 wurden sie dann ebenfalls in das KZ Theresienstadt deportiert. Gerron gründete und leitete dort ein Häftlingskabarett mit dem Namen "Karussell". Auf Anweisung von Propagandaminister Goebbels entstand zwischen August und September 1944 unter Gerrons Leitung der Pseudo-Dokumentarfilm "Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet", bekannter unter dem Titel "Der Führer schenkt den Juden eine Stadt". Der Film sollte das Rote Kreuz und die Weltöffentlichkeit von der Harmlosigkeit der Ghettos überzeugen und suggeriert unter Mitwirkung prominenter Häftlinge wie der Komponisten Pavel Haas und Hans Krása einen angenehmen Alltag mit Unterhaltung und kulturellen Veranstaltungen.
Nach Abschluss der Dreharbeiten wurde Kurt Gerron entgegen seiner Hoffnung, aufgrund der Kooperation mit den Nazis verschont zu werden, mit anderen Beteiligten des Films im Oktober 1944 nach Auschwitz transportiert, wo sie in der Gaskammer starben.
"Theresienstadt" gelangte wegen des nahenden Untergangs des Nazi-Regimes nie in der ursprünglich geplanten Form zur Aufführung, Lediglich Ausschnitte erschienen im Herbst 1944 in einer Wochenschau, um zu zeigen, wie die Juden in Theresienstadt angeblich ein Leben in Saus und Braus führen, während die tapferen Soldaten an der Front leiden. Teile der Arbeitskopie blieben erhalten und wurden nach deren Entdeckung im Prager Filmarchiv 1964/65 in "So schön war es in Terezin", einer Dokumentation über den Film, verwendet. Der tschechische Regisseur Zbyněk Brynych verarbeitete die Geschehnisse 1962 im Spielfilm "Transport z raje" ("Transport aus dem Paradies"), der auf Erzählungen von Arnošt Lustig beruht.
Ilona Zioks mehrfach preisgekrönte Dokumentation "Kurt Gerrons Karussell" mit Ute Lemper, Ben Becker und Bente Kahan feierte 1999 auf der Berlinale Premiere und wurde unter anderem beim Filmfest München ausgezeichnet. Sie porträtiert und würdigt die Karriere des Regisseurs, Kabarettisten und Schauspielers mittels Zeitzeugenberichten, Spielfilmsequenzen und Chansons.