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Im November 2001 wird der in Deutschland geborene und aufgewachsene Türke Murat Kurnaz während eines Aufenthalts in Pakistan bei einer Routinekontrolle festgenommen. Als Terrorist verdächtigt, landet er Anfang 2002 im berüchtigten US-Gefangenenlager von Guantánamo. Doch obwohl sich seine Unschuld bald herausstellt, bleibt er in Haft, weil die türkische Regierung nicht interveniert und die deutsche Regierung ein entsprechendes Angebot der Amerikaner ablehnt. Unterdessen beginnt Kurnaz' Mutter Rabiye einen schier aussichtslosen Kampf, um die Freilassung ihres Sohnes zu erreichen: Gemeinsam mit dem Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke strengt sie eine Klage gegen die amerikanische Regierung an. Dieser mutige Schritt katapultiert die türkische Hausfrau aus ihrem Bremer Reihenhaus direkt in die Weltpolitik. Der zermürbende juristische Prozess zieht sich über Jahre hin und führt das Duo Kurnaz-Docke bis zum Supreme Court der USA.
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Januar 2002. Murat ist in Afghanistan verhaftet und ins US-Gefangenenlager Guantanamo gebracht worden. Über das Rote Kreuz schreibt er einen Brief an seine Eltern, dass er die ganze Zeit in Pakistan war und sich keiner Verfehlung bewusst ist. Vor dem Bremer Reihenhaus der Familie Kurnaz haben sich inzwischen Kamerateams aus aller Welt in Stellung gebracht: „Hier soll ein Taliban wohnen.“ Mutter Rabiye und ihre jüngere Schwester Nuriye verstehen die Welt nicht mehr. Erstere geht zur Polizei, dann zu städtischen Behörden.
Und läuft immer wieder vor eine Wand der Bürokratie: Murat ist türkischer Staatsangehöriger, für ihn fühlen sich weder Deutschland noch die Türkei oder gar Kuba zuständig. Die amerikanische Gerichtsbarkeit gilt nicht für ein exterritoriales US-Gebiet wie Guantanamo, sondern ein vom Präsidenten Bush eingesetztes Militärtribunal. Der so junge wie besonnen-zurückhaltende Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke kapituliert vor dem überbordenden Temperament des Muttertiers Rabiye und nimmt sich des aussichtslosen Falles an. Er kennt und schätzt den zuständigen Bremer Staatsanwalt Marc Stocker, aber es bedarf erst der Intervention eines vom prominenten US-Schauspieler Tim Williams, Special Guest dieses minutiös recherchierten Films, unterstützten Komitees, bis die Medien aufmerksam werden und Akteneinsicht gewährt wird.
Nach Rabiye Kurnaz‘ flammendem Appell vor Angehörigen der Guantanamo-Häftlinge in einer Washingtoner Kirche kommt endlich Bewegung in das Verfahren, das im April 2004 vom Supreme Court übernommen wird. Es dauert bis August 2006, bis Murat in Ramstein landet – und mit seinem Äußeren, schulterlange Haare und Vollbart, von seinen Angehörigen erst gar nicht erkannt wird. Im Nachhinein stellt sich heraus, dass die rot-grüne Koalition das Verfahren aus politischen Gründen über viele Jahre verschleppt hat: Schon 2003 waren Beamte des Bundesnachrichtendienstes in Guantanamo und fanden keine Beweise gegen Murat. Andreas Dresen lässt am Ende dieser knapp zweistündigen emotionalen Achterbahnfahrt keinen Zweifel, dass er das Taktieren des Vizekanzlers und Außenministers Joschka Fischer für einen bis heute unaufgeklärten Skandal hält.
Dieser bewegende Spielfilm über Recht und Willkür, über Menschen, die über sich hinauswachsen, ist ein Ereignis. Er lebt entscheidend von der überwältigenden Präsenz und dem geerdeten Alltagswitz einer Leinwand-Debütantin: die Musical-Darstellerin („West Side Story“) und Standup-Comedienne Meltem Kaptan („NightWash“, „Ladies Night“). Andreas Dresen im Pandora-Presseheft: „Obwohl sie selbst noch keine Kinder hat, möchte man eine wie sie zur Mutter haben. Eine Frau, die die Welt umarmt und nach vorne stürmt. Eine Löwin!“
Ursprünglich sollte Murats kafkaeske Situation im Mittelpunkt der siebten gemeinsamen Arbeit von Andreas Dresen und Laila Stieler stehen. Das Projekt eines klassischen Gefängnisdramas wurde nach der persönlichen Begegnung der beiden Filmemacher mit Rabiye Kurnaz und Bernhard Docke rasch beerdigt zugunsten eines Perspektivwechsels auf die beiden so ungleichen, zu Freunden gewordenen Kämpfernaturen. Andreas Dresen: „Bei Rabiye und Bernhard ergänzen sich Herz und Verstand auf eine geradezu wunderbare Weise. Sie setzen unterschiedliche Prämissen, der eine ist kontrolliert, die andere impulsgesteuert. Es ist unfassbar schön, sie miteinander zu erleben, zu begreifen, wie diese zwei so verschiedenen Menschen über Jahre hinweg aneinander gewachsen sind, sich gerieben, Vertrauen gefasst und im freundschaftlichen Sinne gebraucht haben.“
Pitt Herrmann