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Alle Fotos (3)Biografie
Aelrun Goette wurde am 6. Juli 1966 in Ost-Berlin in der DDR geboren. Als Jugendliche musste sie wegen eines systemkritischen Aufnähers der kirchlichen Friedensbewegung "Schwerter zu Pflugscharen" auf ihrer Jacke die Schule vorzeitig verlassen. In der Folge machte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete eine Zeit lang in der Psychiatrie. Zudem arbeitete sie als Kostüm- und Bühnenbildnerin am Landestheater Altenburg und kurz vor der Wende auch als Fotomodell. Ab 1990 holte sie ihr Abitur nach und nahm zunächst ein Philosophie-Studium an der Humboldt Universität in Berlin auf, danach studierte sie Regie an der Filmhochschule Babelsberg. Im Jahr 2000 legte sie dort ihr Diplom ab.
Während ihrer Studienzeit ging sie diversen anderen Tätigkeiten nach. So trat sie als Schauspielerin in der auf RTL ausgestrahlten Daily Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" auf, arbeitete als Theaterregisseurin und als Vollzugsbetreuerin in der JVA Plötzensee. Im Kontext der letzteren Tätigkeit entstand 1997 ihr erster dokumentarischer Langfilm "Ohne Bewährung - Psychogramm einer Mörderin". Der Film, der vom Bayrischen Rundfunk mitproduziert wurde, beleuchtet die Geschichte einer 15-Jährigen, die in Schwedt an der Oder eine 13-Jährige zu Tode gefoltert hat. Goette wurde die Vollzugshelferin der Täterin, mit der sie für den Film zahlreiche Interviews geführt hatte.
Ihr nächster Dokumentarfilm, "Feldtagebuch – Allein unter Männern" (2002 im SWR erstausgestrahlt), in dem Goette vier der ersten Rekrutinnen in Kampfeinheiten der Bundeswehr mit ihren Erwartungen und Hoffnungen durch die Grundausbildung begleitet, führte im Nachgang zu einem Untersuchungsausschuss im Bundesrat, und der Jahresbericht 2020 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages hielt fest: "Für Aufsehen sorgte im Berichtsjahr der Dokumentarfilm 'Feldtagebuch – Allein unter Männern' […]. Der Film dokumentierte Fehlverhalten im Umgangston von Ausbildern und unangemessenes Führungsverhalten von Vorgesetzten. In zwei Fällen sind gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Der Sachverhalt wurde durch die betroffenen Truppenteile unter maßgeblicher Mitwirkung des Heeresführungskommandos eingehend in Einheitsführertagungen und in Offizier- und Unteroffizierweiterbildungen aufgearbeitet."
Goettes dritter Langfilm "Die Kinder sind tot" (2003) wurde gleich mehrfach ausgezeichnet, darunter 2004 mit dem Bundesfilmpreis in Gold. Der Dokumentarfilm befasst sich mit dem Fall der 23-jährigen vierfachen Mutter Daniela J., die im Sommer 1999 ihre beiden Söhne tagelang in der Wohnung zurückließ, wo sie verdursteten. Nicht auf das Spektakuläre abzielend, vermeidet Goette gängige Erklärungsmuster und gibt unter anderem Einblick in eine Welt, die von der Gesellschaft abgeschrieben wurde.
"Ich möchte durch die Stoffe, mit denen ich mich beschäftige, etwas lernen", sagte Goette im Interview mit der SZ und auch ihre folgenden Filme fokussierten auf Menschen, besonders Frauen, in Grenzsituationen. So inszenierte sie etwa zwei Jahre später den Spielfilm "Unter dem Eis" (2005), mit Bibiana Beglau als Mutter, die ihren siebenjährigen, am Tod einer Spielkameradin schuldigen Sohn vor der Polizei schützen will. Beglau wurde für ihre Darstellung mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, Goette gewann in der Kategorie Beste Regie, Jens Harant für die Beste Kamera. Die Jury begründete ihre Entscheidung so: "'Unter dem Eis' ist ein herausragender Film; ein schonungslos intensives Kammerspiel [...]. Großartig, unmittelbar. Dicht und ergreifend."
Mit Grimme-Preisen für Regie (Goette), Buch (Martina Mouchot) und Schauspiel (Michelle Barthel) ausgezeichnet wurde auch ihr Sozialdrama "Keine Angst", das sich mit Kinderarmut in Deutschland befasst und die Geschichte einer 14-jährigen und deren alkoholkranker Mutter erzählt. Der Film wurde beim Filmfest München 2009 uraufgeführt und im März 2010 in der ARD erstausgestrahlt.
In der Folge realisierte Goette den TV-Film "Die elegante Lösung" (2011) aus der vielgelobten Krimi-Reihe "Unter Verdacht" mit Senta Berger als interner Ermittlerin, die sich in diesem Fall an der italienischen Mittelmeerküste mit der unmenschlichen Behandlung von Geflüchteten aus Afrika durch die im Film EuroBordac genannte Grenzschutzagentur auseinandersetzen muss. Auf dem Filmfest München 2011 uraufgeführt, erhielt "Die elegante Lösung" 2013 den Marler Medienpreis Menschenrechte.
Ihr Fernsehfilm "Ein Jahr nach morgen" über die (familiären) Nachwirkungen der Tat einer 16-jährigen, die mit dem Jagdgewehr ihres Vaters zwei Menschen erschossen hat, gewann 2012 den Günter-Rohrbach-Filmpreis. 2015 feierte "Im Zweifel" beim Filmfest München Premiere, über eine Pfarrerin und Notfallseelsorgerin (Claudia Michelsen), die ihren Mann und Sohn im Verdacht hat, mit einem tödlichen Verkehrsunfall in Zusammenhang zu stehen.
Vielfache Beachtung fand im Anschluss auch ihr Beitrag zur "Tatort"-Reihe "Wofür es sich zu leben lohnt", der 2016 bei den Hofer Filmtagen uraufgeführt wurde. Für den letzten Fall der Konstanzer Ermittlerin Klara Blum (gespielt von Eva Mattes), holte Goette zum ersten Mal wieder die großen Fassbinder-Darstellerinnen Irm Hermann, Hanna Schygulla und Margit Carstensen gemeinsam vor die Kamera, die im Film als Mitbewohnerinnen einer linken Seniorinnen-WG mit radikalen Mitteln gegen rechte Auswüchse in der Gesellschaft vorgehen. Über ihre Intention sagte Goette im Interview mit der ARD: "Ich wollte gern eine radikale Geschichte über unsere Zeit erzählen, die aus den Fugen ist und sich den bösen Mantel der humorvollen Leichtigkeit überwirft. Eine poetische Parabel, die in der Frage mündet, wem und warum man sich beugt." Goette hatte mit dem acht Jahre zuvor ausgestrahlten Krimi "Der glückliche Tod" (2008) mit Ulrike Folkerts als ermittelnder Kommissarin bereits ihren ersten Beitrag zur "Tatort"-Reihe geliefert. Der sich mit dem Thema Sterbehilfe befassende Fall war damals nominiert für den Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.
Das Kammerspiel "Atempause" (2017), ebenfalls fürs Fernsehen realisiert, beleuchtete den sehr unterschiedlichen Umgang zweier Eltern mit der Nachricht, dass ihr Junge nach einem Unfall beim Fußball für hirntot erklärt wird. Auch dieser Film erhielt sehr positive Kritiken.
2019 wurde Aelrun Goette die Urkunde zur Honorarprofessorin der Filmuniversität Babelsberg für die Studiengänge Schauspiel, Regie und Drehbuch/Dramaturgie verliehen, "in Würdigung ihrer hervorragenden künstlerischen Leistungen".
2021 begannen die Dreharbeiten für einen Spielfilm, an dessen Realisierung Goette seit 2014 immer wieder gearbeitet hatte: "In einem Land, das es nicht mehr gibt", angesiedelt in der heute weitgehend unbekannten Modeszene der DDR, handelt von einer 19-Jährigen, die praktisch durch Zufall zu einem gefragten Fotomodel avanciert – eine Parallele zu Goettes eigener Jugend. Der Kinostart erfolgte im Herbst 2022.